Albrecht von Graefe, Begründer der modernen Augenheilkunde - Apostel der leidenden Menschheit
Bild: imago stock & people
von Ursula A. Kolbe
Als ich las, dass es Albrecht von Graefe war, der einst das Zeitalter der modernen Augenheilkunde begründete und den grauen und grünen Star heilen konnte, hatte ich sofort meine eigene OP vor Augen, denn erst kurze Zeit davor musste ich an beiden Augen operiert werden – Diagnose grauer Star.
Vorgewarnt hatte mich die Augenärztin schon längere Zeit. Doch dann war es ernst geworden. Ist doch gerade auch das Augenlicht so lebenswichtig. Lange Rede, kurzer Sinn: Beide Eingriffe waren erfolgreich. Dem gesamten Team sei Dank.
Zu den beeindruckenden Denkmalen, die an den berühmten Augenarzt Albrecht von Graefe erinnern, gehört zweifellos jenes vor dem Klinik-Gelände der Charitè an der Ecke Luisen-/ Schumannstrasse. Ein Figurenrelief weist auf den Arzt und den von Blindheit bedrohten Menschen, die auf seine Hilfe hofften, hin. Hat Albrecht von Graefe doch Bahnbrechendes geleistet. Und nicht nur das. Er machte auch keinen Unterschied hinsichtlich der sozialen Schichten, nicht zuletzt deshalb nannte ihn sein Schüler Julius Hirschberg in einem Nachruf einen „Apostel der leidenden Menschheit.“
Von „humanem, empathischem Arzttum“ heißt es auch in der Erklärung der Deutschen Ophtalmologischen Gesellschaft (DOG) anlässlich des 150. Todestages von Albrecht von Graefe am 20. Juli 2020. Er hatte diese Gesellschaft 1857 ins Leben gerufen. Ophtalmologie – so nennt sich das eigenständige Fach der Augenheilkunde, die vor dessen Gründung ein Gegenstand der Chirurgie war. Wie wichtig solch ein eigenständiges, gut ausgestattetes Fach ist, zeigt sich heute besonders deutlich. Unbestritten ist, dass die deutsche Gesellschaft altert. Im Jahre 2030 werden voraussichtlich 28 Prozent der Deutschen zwischen 60 und 80 Jahre alt sein.
Damit sind auch die Augenärzte immer mehr gefragt. – nicht nur wegen der Lesebrille, die die meisten im Alter brauchen, sondern vor allem wegen altersbedingter Augenkrankheiten. Dazu gehören die Makuladegeneration, die Katarakt (grauer Star) und das Glaukom (grüner) Star. Dafür hat Graefe entscheidende Grundlagen gelegt
Persönlicher Werdegang
Albrecht von Graefe, der Sohn des königlich preußischen Geheimen Medizinalrates und Begründer der Chirurgischen Klinik der Berliner Charitè, wurde in einer Villa in Berlin-Tiergarten geboren. Er studierte Medizin an der Berliner Universität, war Assistenzarzt in Prag, wo er begann, sich ganz der Augenheilkunde zu widmen. Weitere Studienzwecke führten ihn nach Paris, Wien und London. Er kehrte 1852 nach Berlin zurück, wo er sich habilitierte und eine private Augenklinik mit 120 Betten eröffnete, die sowohl in der Praxis wie auch in der Forschung bald Weltruhm genoss.
Mediziner aus England, Amerika, Indien und China pilgerten zu Graefe, um von dem gerade mal Dreißigjährigen zu lernen. Auch die Patienten kamen von überall her. Die Klinik hatte bald rund 10.000 ambulante Patienten im Jahr. Sie wurde eine „rastlos schaffende Werkstatt der Wissenschaft“ genannt.
Es war Graefe, der als Erster den modernen Augenspiegel in die Praxis einführte. Mit diesen Untersuchungen machte er Entdeckungen, die das Fach revolutionierten. Dreizehn „bedeutende Erstbeschreibungen“ Graefes listet der Augenarzt und Medizinhistoriker Jens Martin Rohrbach in einer Festschrift zum 150. Todestag auf. Bereits 1854 hatte Graefe den erhöhten Augeninnendruck als Ursache für den grünen Star (Glaukom) erkannt. Auch andere Krankheiten beschrieb er, so z. B. den Verschluss der Netzhautarterie, der oft zur einseitigen Erblindung führt, und Tumoren des inneren Auges. Auch die Ursachen der Nachtblindheit erkannte er.
Graefe entwickelte Geräte und Methoden für die Diagnostik und Behandlung. Er verbesserte entscheidend die kurz zuvor entwickelte Operationstechnik des grauen Stars (Katarakt), bei der die getrübte Linse nach einem Einschnitt ganz aus dem Auge gezogen wurde. Vor allem aber erfand er eine Methode, um Hunderttausenden, die am grünen Star (Glaukom) erkrankt waren, das Augenlicht zu retten. Denn hier trübt sich nicht die Linse ein, sondern der wachsende Druck im Augapfel schädigt den Sehnerv und die Netzhaut irreversibel – bis hin zur Erblindung.
Der Augenarzt entwickelte die sogenannte Iridektomie, einen Schnitt in die Regenbogenhaut, durch den das Kammerwasser abfließen konnte und sich der gefährliche Druck senkte. Diese Methode bezeichnete der Augenarzt Ferdinand von Arlt, einer der Lehrer Graefes, als die größte Errungenschaft der Augenheilkunde des 19. Jahrhunderts.
Eine Zeitschrift hat Albrecht von Graefe so beschrieben: „Eine große, schlanke Gestalt, aber von etwas nachlässiger Haltung und nachlässigem Wesen, wie es berühmte Ärzte nicht selten anzunehmen pflegen.“ Zeitgenossen schilderten seinen Humor, seinen zuweilen ätzenden Witz, seine „geniale Begabung und tiefe Herzenswärme”, seine Offenheit. „Er liebte die Wahrheit und hasste das Falsche“, sagte Julius Hirschberg, zeitweilig Augenarzt in Graefes Klinik. Vor allem wird sein Wirken für die Patienten hervorgehoben. Hunderte untersuchte und behandelte Graefe mit seinem Team jeden Tag.
„Da gab es keine Ermüdung, keine Ruhe bis tief in die Nacht hinein. So lange Unglückliche der Hülfe bedurften, war auch der Helfer da“ erinnerte sich ein anderer Zeitgenosse. Es gibt weitere solcher Aussagen. Nur noch die von DOG-Präsident Hans Hoerauf anlässlich des 150. Todestages von Graefe, der u. a. erklärte: Wir sollten uns heute an seinem Vorbild messen und uns gegen Fehlentwicklungen angesichts der zunehmenden Ökonomisierung im Gesundheitswesen wehren, die diesen Zielen entgegenstehen.“
Albrecht von Graefe starb 1870 im Alter von nur 42 Jahren in Berlin an Lungentuberkulose. Beigesetzt wurde er auf dem Friedhof II der Jerusalems- und Neuen Kirche vor dem Halleschen Tor. Er ruht dort an der Seite seiner Gattin Anna geb. von Knuth. Auch die Gräber seiner Eltern und seines Großvaters mütterlicherseits befinden sich in der Nähe. Als Grabstein des Ehepaars Graefe dient eine dunkle Stele mit Dreiecksgiebel, die auf einem Granitsockel steht. An der Vorderseite ist ein marmornes Relieftondo eingelassen, welches das Ehepaar im Profil zeigt. An der Grabstele findet sich die Inschrift: „Es ist das Licht, süße und liebliche, die Sonne zu schauen.“
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