Von Luther zu Twitter und 500 Jahre Medien
von Ursula A. Kolbe
Einer der weltbekanntesten Politiker ist ohne Zweifel Donald Trump, der 45. Präsident der USA. Und er gehört zu den Menschen, deren Twitter-Account kaum zur Ruhe kommt. So wie auch Smartphones und Social Media das öffentliche Leben wie das des Einzelnen veränderte – und das nicht immer im positiven Sinne.
Angesichts der aktuellen Debatte gerade jetzt in der Corona-Pandemie und in Wahlzeiten gewinnt die gegenwärtige Ausstellung „Von Luther zu Twitter. Medien und Politische Öffentlichkeit“ im Berliner Deutschen Historischen Museum an besonderer Bedeutung, beschäftigt sie sich doch mit den Wechselwirkungen von Medien, Politik und Gesellschaft.
Stiftungspräsident Prof. Dr. Raphael Gross betonte dabei die Bedeutung der Medien, die nicht nur „Überbleibsel“ historischer Ereignisse seien, sondern diese vielmehr politisch-gesellschaftliche Umwälzungen angestoßen oder sogar erst ermöglicht hätten.
„Gerade mit Blick auf die Digitalisierung zeigt sich diese Verflochtenheit von materiellen Voraussetzungen und immateriellen Prozessen sehr deutlich. Deshalb war es mir besonders wichtig, keine technikgeschichtliche Ausstellung zu präsentieren, sondern gezielt auf das Verhältnis von medialer Entwicklung und Veränderung der politischen Öffentlichkeit zu schauen.“
Anschaulich zeigt die Ausstellung, wie es zum aufklärerischen Ideal demokratischer Öffentlichkeit und freier Meinungsäußerung gekommen ist. Die Kuratoren Prof. Dr. Harald Welzer, Soziologe, und die Historikerin Melanie Lyon beleuchten vom Buchdruck und seiner Bedeutung für die Reformation die Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit im Zuge der Pluralisierung der Presselandschaft im 19. Jahrhundert über die Erfindung des Rundfunks und seine Bedeutung für das totalitäre NS-System bis hin zu den Bilderwelten des Fernsehens der Nachkriegszeit.
Dabei werden die Kontinuitäten und Brüche eines auch immer medial bewegten Strukturwandels der Öffentlichkeit bis in die Gegenwart verfolgt. Nötig sind dabei aber auch immer medial besonders intuitive Personen und Gruppen, die das politische Potential eines neuen Mediums erkennen und für den eigenen politischen Erfolg einsetzen.
Rund 200 kulturhistorische und zeitgenössische Objekte aus Deutschland, Österreich, Spanien, Großbritannien und China veranschaulichen, wie sich neue mediale Räume im Spannungsverhältnis von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit, Zensur und Protest, Überwachung und Emanzipation entwickelten. Am Beispiel zentraler Momente der deutschen, aber auch der internationalen Medienevolution wird sichtbar, wie sich das, was wir heute als demokratische Öffentlichkeit kennen, formiert hat und auch, was wir heute als demokratische Öffentlichkeit kennen, formierte und auch, wie es vielleicht in Auflösung begriffen ist.
Auf 1.000 Quadratmetern entfalten sich dabei anhand von Originalobjekten wie den Flugschriften Martin Luthers, einer preußischen Zensurakte, einem Großlautsprecher aus der NS-Zeit oder der zerstörten Hauptplatine der von Edward Snowden geleakten Dokumente die Besonderheiten und Ambivalenzen der jeweiligen Medieninnovation.
Fünf Epochen der Mediengeschichte
Die Ausstellungsarchitektur inszeniert die Epochen der Mediengeschichte auf eine Weise, die die Umgestaltung der medialen Umwelten auch sinnlich erfassbar macht. Die Reformation wird so auch als Mediengeschehen erlebbar, wie z. B. ein Erstdruck von Luthers Übersetzung des Alten Testaments. Darin hat der ehemalige Besitzer nicht nur eine Luther-Radierung von Cranach, sondern auch Autographen von Luther und Melanchthon eingeklebt. Ebenso die anschließende Epoche der Flugschriften, Zeitungen und Manifeste als eine Phase umkämpfter Öffentlichkeit zwischen Aufbruch und Zensur. Schon damals wurde deutlich, dass sie auch zur Lenkung öffentlicher Meinung im Sinne des Obrigkeitsstaats genutzt werden konnte.
Rundfunk und Fernsehen sind dagegen Echtzeitmedien und erlauben völlig neue Möglichkeiten der politischen Kommunikation, die sich in Spannungsverhältnissen von Unterhaltung und Propaganda, Aufklärung und Formierung entfalten. Ereignisse der Radiogeschichte, besonders die von Joseph Goebbels erkannte formative Kraft des Rundfunks werden genauso dargestellt wie der politische Schlüsselmoment des ersten Fernsehwahlkampfs der Geschichte, aus dem John F. Kennedy als Sieger hervorging, weil er das neue Medium weit besser beherrschte als sein Konkurrent Richard Nixon.
Wir aber leben heute mit Blick in die Zukunft einer digitalen, sich nochmals pluralisierenden, aber auch polarisierenden Öffentlichkeit. Vor dem Hintergrund des Aufstiegs autoritärer und populistischer Strömungen und der Sorge um das Überwachungs- und Manipulationspotenzial digitaler Medien steht die Frage, was aus dem Versprechen einer demokratischen, vernetzten Weltgemeinschaft wurde.
In der Ausstellung stehen dazu drei Szenarien nebeneinander: Per Zufallsprinzip betreten die Besucherinnen und Besucher einen von drei Ausstellungsgängen zur hochdynamischen Jetztzeit, zu den utopischen Hoffnungen, die in das Internet gesetzt wurden, oder den Gefahren, die mit einem digital gestützten politischen Totalitarismus einhergehen. Künstlerische Positionen wie Florian Mehnerts Fotoprojekt „Smartphone Stacks“ machen die Kehrseite digitaler Partizipation sichtbar: Der Mensch wird hier zum berechenbaren Datenmaterial. Fest steht: Im digitalen Zeitalter liegt die Zukunft – Transparenz und Bürgerbeteiligung eingeschlossen.
Die Ausstellung ist inklusiv und barrierefrei. Inklusive Kommunikationsstationen, die jeweils mindestens zwei Sinne ansprechen, sind neben einem taktilen Bodenleitsystem, Gebärdensprachvideos, Ausstellungstexten in Braille, kontrastreicher Großschrift und Leichter Sprache Teil der Ausstellungsgestaltung. Ein Begleitbuch in deutscher Sprache ist im S. Fischer Verlag (320 Seiten, 18 Abbildungen, 18 Euro) erschienen.
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