Ist Panettone der neue Stollen?
Bild: Imago
von Sonja Helms, Hans-Jürgen Kolbe
Erstmals urkundlich erwähnt wird der Dresdner Christstollen 1474 auf einer Rechnung des christlichen Bartolomai-Hospitals. Seither hat er einen unvergleichlichen Siegeszug in die weihnachtlichen Rituale in allen deutschen Landen angetreten.
Als gebürtiger Dresdner ist für mich ein Weihnachtsfest ohne Stollen schlichtweg nicht vorstellbar. Selbst in den schweren Nachkriegsjahren im zerbombten Dresden stand an jedem Weihnachtsfest in meiner Kindheit ein Stollen auf dem Tisch. Mir ist bis heute schleierhaft, wie meine Eltern das bewerkstelligt haben. Fest steht jedenfalls: Der Stollen gehört heutzutage zu den weihnachtlichen Lieblingsdesserts der Deutschen.
Doch seit Jahren macht sich Konkurrenz breit – ein Weihnachtskuchen aus Italien: Der Panettone ist die italienische Antwort auf den Stollen und darf auch hierzulande zum Fest gerne aufgetischt werden – er schmeckt nämlich köstlich!
Der Panettone sah nicht immer so aus wie heute. Früher war der lockere Weihnachtskuchen eher flach, wie ein Brot. Mit der Zeit wurde er höher, was unter anderem daran liegt, dass er in einer Papiermanschette gebacken wird.
Er stammt aus dem Norden Italiens, so viel ist sicher. Aber wurde der Panettone von einem Küchenjungen erfunden? Oder von einem verliebten Gesellen? Suchen wir nach einer Antwort!
Uns interessiert vielmehr: Wie ist er eigentlich entstanden? Wer hat ihn erfunden und wann? Das ist leider nicht so genau überliefert. Und wie bei jeder Spezialität, deren Herkunft unklar ist, rankt sich so manche Legende um ihre Entstehung. Weil Weihnachten die Zeit der herzerwärmenden Geschichten ist, erzähle ich Ihnen zwei der bekanntesten.
So entstand Tonis Brot
Es war einmal… ein Küchenjunge. Er hieß Toni und diente in Mailand am Hofe des italienischen Herzogs Ludovico Sforza. Viel ist nicht von Toni überliefert. Bescheiden soll er gewesen sein, sicher auch klug, fleißig und talentiert. Immerhin so talentiert, dass er eines Tages seinen Küchenchef zu retten wusste.
Das Unglück geschah ausgerechnet an Weihnachten. Der Chef patzte, und zwar gewaltig! Er hatte ein fürstliches Bankett zu organisieren, alle Adligen der Gegend waren geladen, in der Küche herrschte große Aufregung. Überall wurde geschnippelt und gerührt, gekocht und gebraten, und alles ging gut – bis der Küchenchef feststellte, dass er die Süßspeise im Ofen vergessen hatte. Der Höhepunkt des prunkvollen Mahls: verbrannt!
Es war eine Katastrophe, Toni hatte seinen Chef nie so verzweifelt gesehen. Also nahm der Küchenjunge all seinen Mut zusammen und sagte, er habe aus übrig gebliebenen Zutaten wie Mehl, Butter, Zucker und Eiern, kandierten Früchten und Rosinen einen Kuchen gebacken. Der Chef könne ihn nehmen, wenn er nichts anderes habe. Da dieser keine Wahl hatte, servierte er ihn der adligen Gesellschaft und stand zitternd hinter dem Vorhang, um die Reaktion der Gäste zu beobachten. Die aber waren – entzückt. Als der Herzog nach dem Namen des Gebäcks fragte, verriet ihm der Küchenchef sein Geheimnis und sagte, es sei das „Brot des Toni“, “pan del Toni”. Daraus wurde mit der Zeit der “Panettone”.
So erzählt man sich es. Das Ganze soll sich vor etwa 500 Jahren abgespielt haben. Wahr daran ist – so gut wie nichts. Die Geschichte erinnert ein wenig an die Geschichte der Sachertorte, die ebenfalls ein Küchenjunge erfunden haben soll.
Schöner und romantischer ist folgende Legende.
Verliebter Falkner
Ugo, einer der Falkner am Hofe des oben genannten Herzogs Ludovico Sforza, soll sich jede Nacht in die Mailänder Altstadt geschlichen haben. Sein Ziel war eine Bäckerei. Vordergründig half er bei einem Bäcker namens Toni aus, der in Not geraten war. Aber eigentlich wollte er das Herz von Tonis schöner Tochter Adalgisa erobern. Trotz aller Bemühungen blieb der Erfolg aus.
Der Bäcker und sein Gehilfe waren verzweifelt. Eines Tages entwendete Ugo seinem Herrn zwei Falken und verkaufte sie. Von dem Geld besorgte er Butter, die er mit in den Teig schummelte, ohne dass Toni es mitbekam. Schnell sprach sich herum, dass das Brot von Toni einen sensationellen Geschmack hatte – daraufhin wurde es sein Verkaufsschlager. Es lief so gut, dass er irgendwann auf die Idee kam, den Teig an Weihnachten noch mit Eiern, Rosinen und kandierten Früchten anzureichern, was ebenfalls gut ankam. Toni wurde seine Geldsorgen los, und Ugo und Adalgisa konnten endlich heiraten.
Beide Legenden gibt es in zahllosen Varianten, die wir hier nicht weiter ausführen können, das würde den Rahmen sprengen. Die Wahrheit ist, wie so oft, sicher weitaus weniger romantisch.
Eine Scheibe für den Heiligen Blasius
Und wer weiß? Vielleicht stimmt das ja. Noch heute ist es in Italien Brauch, eine Scheibe Panettone erst am 3. Februar zu essen. Laut katholischem Kalender ist das der Tag des Heiligen Blasius, der im Winter vor Halserkrankungen schützen soll. Medizinisch ist das sicher anfechtbar, aber die Wissenschaft zieht gegen den Glauben und eine uralte Tradition sicher den Kürzeren.
Dabei fällt mir ein, dass meine Oma auch immer einen Stollen bis Ostern aufgehoben hat. Aber gegen Halsschmerzen hat der Stollen nicht geholfen!
Neben dem Original Panettone mit kandierten Früchten und Rosinen gibt es übrigens noch zahlreiche andere Varianten: mit Schokolade, mit einer Cremefüllung, mit Marsala oder mit Pinienkernen verfeinert – und auch ganz ohne Früchte. In dem Fall handelt es sich um einen Pandoro aus Verona. In welcher Form auch immer: In Italien gehört der Weihnachtskuchen auf jede Tafel. Wer ihn mag, zupft ihn und trinkt ein Glas süßen Wein dazu. Wohl bekommt’s!
Die Welt im Panettone-Rausch
Es gibt wirklich einen Boom, nicht nur in Deutschland. In Großbritannien wurde schon mehr Panettone als traditioneller Christmas Pudding verkauft.
„Handwerksbäckereien könnten den weltweiten Hunger nach abertausenden Panettone nicht stillen“, sagt Amerigo Martucciello, Präsident des italienischen Panettone-Konsortiums. Eine Statistik, wie viele der Italien-Klassiker nach Deutschland exportiert werden, gibt es zwar nicht. Aber in Italien vermelden Hersteller große Zuwächse: Von Spanien bis in die USA und nach Asien.
Italien verfällt schon Wochen vor Weihnachten in einen regelrechten
Panettone-Rausch. Es gibt Panettone-Messen, Panettone-Werbefilme, Panettone-Zeitungsartikel, Panettone-Kreationen mit Alkohol, Schokolade oder Trockenfrüchten. Es gibt sogar ein großes Panettone-Wettbacken. Dazu reisen auch Bäcker aus Tokio, New York und Sydney an.
Die Berliner haben es nicht so weit. Wer zu Weihnachten einen Panettone auf den Tisch bringen möchte braucht sich nur in eines der drei „Centro Italia“ der Stadt begeben.
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