Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben

Tröstende Hände zum Abschied

Tröstende Hände zum Abschied

von Ursula A. Kolbe

Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht des Einzelnen gestärkt, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Damit ist der leidige, umstrittene und vieldiskutierte Paragraph 217, der seit Dezember 2015 die geschäftsmäßige Sterbehilfe verboten hat, nun vom Tisch.

„Geschäftstüchtig“ hat dabei nichts mit Gelderwerb zu tun, sondern bedeutet „auf Wiederholung angelegt“. Aber aktive Sterbehilfe, z. B. Tötung auf Verlangen, bleibt verboten. Bei der assistierten Sterbehilfe dagegen wird das tödliche Medikament zur Verfügung gestellt, und der Patient nimmt es selbst ein.

Zugleich hatte das Gericht an den Gesetzgeber die Forderung gestellt, nun das Berufsrecht von Medizinern und Apothekern entsprechend anzupassen, möglicherweise auch das Betäubungsmittelrecht. Damit war übrigens auch Gesundheitsminister Jens Spahn in Zugzwang, der bisher die Abgabe tödlich wirkender Medikamente an Schwerstkranke verweigert hat, obwohl das ihm unterstellte Bundesmittelinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Dezember 2017 rechtskräftig dazu verpflichtet ist.

Aber weit gefehlt. Nur wenige Tage später lautete die Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage der FDP-Bundestagsabgeordneten Katrin Helling-Plahr (s. „Tagesspiegel“ vom 7. März 2020) unter anderem: „Die Auslegung des Betäubungsmittelrechts und insbesondere die Frage, ob das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte den Erwerb eines tödlich wirkenden Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung erlauben muss, war nicht Gegenstand des Verfahrens.“

Das Spahn unterstellte Bundesinstitut war schon 2017 vom Bundesverwaltungsgericht verpflichtet worden, im Ausnahmefall tödlich wirkende Medikamente an leidende Sterbenskranke herauszugeben. Der Minister hatte die Behörde jedoch angewiesen, entsprechende Anträge abzulehnen. Mehr als hundert Patienten haben seitdem eine Absage bekommen.

Schluss.PUNKT – eine niederschwellige Beratungsstelle

Auch die Vereine DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben – mit Sitz in Forch-Zürich (Schweiz) sowie DIGNITAS Deutschland in Hannover hatten zu den Beschwerdeführern gezählt. Die Bürgerrechts- und Patientenschutzorganisation DGHS war in ihrer Vereinstätigkeit nicht unmittelbar vom Paragraphen betroffen und hatte keine eigene Klage eingereicht.

Die Verunsicherung bei Mitgliedern und Interessierten durch die seit Dezember 2015 verschärfte Gesetzeslage war aber oft Inhalt von Beratungsgesprächen und Veranstaltungen. DGHS-Vizepräsident Rechtsanwalt Prof. Roßbruch vertrat in Karlsruhe als Verfahrensbevollmächtigter betroffene Patienten und zwei helfende Ärzte.

Nach dem befreienden Urteil können beide Vereine nun auf weitere Grundlagen für solide Beratungen setzen. So gründeten DGHS und DIGNITAS gemeinsam unter dem Namen Schluss.PUNKT eine niederschwellige Beratungsstelle. Dabei soll Menschen, die eine Beendigung des eigenen Lebens in Betracht ziehen, ergebnisoffen und unvoreingenommen umfassende Informationen als Entscheidungsgrundlage zur Gestaltung des weiteren Lebens bis zum Lebensende vermittelt werden.

Ziel dieser Beratungsstelle ist es, kurzschlüssige und riskante Suizidversuche zu verringern und wohlerwogenen Suizide zu ermöglichen.
In ihrer Presseerklärung heißt es weiter: „Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht eines jeden frei verantwortlichen Menschen, selbst über Zeitpunkt und Umstände des eigenen Lebensendes entscheiden zu können, bestätigt.

Damit hat es einen wichtigen Beitrag geleistet, kurzschlüssige und riskante Suizidversuche zu verringern. Denn nur schon das Wissen um die Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebensendes gibt betroffenen Menschen Sicherheit, um in Ruhe sämtliche Optionen, deren Risiken und Konsequenzen in Ruhe zu reflektieren.“

Vergegenwärtigen wir uns: Jedes Jahr sterben weltweit mehr als 800.000 Menschen durch Suizid. In Deutschland nahmen sich 2017 insgesamt 9.235 Männer und Frauen das Leben. Die vorsichtigeren Schätzungen gehen davon aus, dass auf jeden erfolgten Suizid 20 Suizidversuche kommen, die nicht mit dem Tod enden. Das bedeutet, dass im Jahre 2017 wahrscheinlich 184.700 Menschen einen Suizidversuch überlebt haben – oft körperlich und seelisch schwer verletzt und von der Gesellschaft stigmatisiert.

Suizide und Suizidversuche haben aber auch auf weitere Personen eine schädigende Auswirkung, wie z. B. Angehörige, Freunde, Lokomotivführer und andere Betroffene. Das Tabu der Selbsttötung, welches durch Inkrafttreten des Paragraphen 217 StGB noch wesentlich verstärkt wurde, führt dazu, dass sich Menschen mit Suizidgedanken nicht trauen, darüber zu sprechen und in der Not zu riskanten Suizidmethoden greifen. Solange Suizidprävention Angelegenheit von Menschen und Gruppen ist, die den Suizid ablehnen und unbedingt verhindern wollen, wird sich daran nichts ändern.

Bei Schluss.PUNKT kann über Suizid und Suizidgedanken offen und ohne Angst vor Repressalien gesprochen werden. Die Entscheidung, seinem Leben ein Ende zu setzen, soll wohlüberlegt sein. Das bedeutet, alle Handlungsoptionen, deren Risiken und zu erwartende Konsequenzen zu durchdenken und anschließend miteinander zu vergleichen. In dieser Beratungsstelle werden die nötigen Informationen einfühlsam vermittelt.
Dabei ist die Selbsttötung eine von mehreren Optionen. Denn das Wissen um die Möglichkeit einer selbstbestimmten und begleiteten Lebensbeendigung gibt den Betroffenen Sicherheit, um in Ruhe die notwendigen Überlegungen anzustellen.

Die Beratungsstelle Schluss.PUNKT ist unter der Tel.Nr. 0800 / 80 22 400 jeweils von Montag bis Freitag zwischen 12 und 14 Uhr zu erreichen. Die Dienstleistungen sind kostenlos und an keine Mitgliedschaft gebunden. www.schluss-punkt.de.