Vor 100 Jahren erreichte die Spanische Grippe Deutschland
Bild: Edward A. "Doc" Rogers 1873-1960 / Wikimedia Commons
von Tristan Micke
Ende Juni / Anfang Juli des Kriegsjahres 1918 erreichte die als Spanische Grippe bezeichnete Pandemie, die im Ausland bereits tausende von Toten gefordert hatte, auch das Deutsche Reich. Mit weltweit 25 bis 50 Millionen Toten forderte die vom Influenzavirus A/H1N1 hervorgerufene Krankheit mehr Opfer als der Erste Weltkrieg (etwa 17 Millionen Tote).
Sie war in ihren Auswirkungen vergleichbar mit der Pest von 1348. Die genaue Zahl von Todesopfern konnte nicht ermittelt werden, da in Folge der Kriegswirren in vielen Ländern keine Statistiken darüber geführt wurden. Gegenüber anderen Grippewellen hatte diese die Besonderheit, dass ihr vor allem 20 bis 40 Jahre alte Menschen erlagen. Andere Influenzaviren gefährden dagegen besonders Kleinkinder und alte Menschen. Die Sterberate wurde bei über 2,5 % vermutet, während sie bei vorherigen Influenza-Pandemien bei etwa 0,1 % lag. Insgesamt war etwa ein Fünftel der gesamten Weltbevölkerung infiziert.
Den Namen “Spanische Grippe” erhielt diese schwere Krankheit, weil erste Nachrichten darüber aus dem im Ersten Weltkrieg neutralen Spanien kamen. Dieses Land hatte eine liberale Zensur und es wurde hier Ende Mai 1918 berichtet, dass mehr als 8 Millionen seiner Einwohner, darunter auch König Alfons XIII., erkrankt waren. In Madrid war jeder dritte Einwohner von der Grippe befallen, sodass das öffentliche Leben zum Erliegen kam.
Andere Länder unterdrückten dagegen solche Informationen. Im Deutschen Reich durfte aus strategischen Gründen nicht über Erkrankungen an der Front berichtet werden. Im Sommer 1918 schrieben aber deutsche Zeitungen über Grippefälle im zivilen Bereich. Um Panik zu vermeiden, wurde verbreitet, dass auf 500 Erkrankten nur ein Todesopfer falle. Gelegentlich wurde die Krankheit auch “Blitzkatarrh” oder “Flandern-Fieber” genannt.
Wahrscheinlich nahmen aber die ersten virulenten Grippeausbrüche im US-Bundesstaat Kansas im Januar und Februar 1918 ihren Ausgang und wurden durch Truppenbewegungen weltweit verbreitet. Beengte Unterbringung der Soldaten in Ausbildungslagern, Kasernen und Lazaretten sowie die unhygienischen Verhältnisse auf den Schlachtfeldern förderten die Ausbreitung der Krankheit.
In den Schützengräben Europas starben wöchentlich tausende von Soldaten an dieser Grippe. Auch die Zivilisten trafen auf wenig vorbereitete Krankenhäuser, in denen die Zustände schlecht waren. Die Spanische Grippe wurde zu einer Begleiterscheinung des Ersten Weltkrieges, wobei sie aber auch in am Krieg unbeteiligte Länder herrschte. Die Krankheit breitete sich über das ganze Jahr 1918 hinweg aus, trat dabei aber in drei Hauptwellen auf: im Frühjahr, im Herbst und in einigen Ländern auch noch einmal 1919.
Die zweite und dritte Welle forderten die meisten Todesopfer. Zum Höhepunkt der Herbstwelle 1918 schätzten die preußischen Gesundheitsbehörden ein, dass zwei von drei Bürgern erkrankt waren. Die Krankheit verlief heftig und kurz mit hohem Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen. Hinzu kamen Husten und starke Reizungen im Hals- und Rachenbereich sowie manchmal Nasenbluten.
Sauerstoffmangel führte häufig zu einer bläulich-schwarzen Verfärbung der Haut. Die Todesfälle waren meist auf eine Lungenentzündung als zusätzliche Komplikation zurückzuführen. Ein besonderes Protein im Virus verursachte eine sehr schnelle Vermehrung und rief die Lungenentzündung hervor. Manche der Erkrankten entwickelten schwache Symptome und erholten sich schnell wieder, während andere an der von starken Blutungen begleiteten Lungenentzündung starben.
Dass besonders junge Erwachsene der Spanischen Grippe erlagen, lag wohl daran, dass diese Altersgruppe im Gegensatz zu Älteren und Jüngeren in jungen Jahren kaum Kontakt mit einer H1-Influenza hatten. Ihr Immunsystem wurde vor allem mit der H3N8-Variante konfrontiert und war nicht auf Grippevieren mit dem H1N1-Protein eingestellt. Die meisten Opfer starben nicht an der Grippe selbst, sondern diese war nur der Wegbereiter für bakterielle Infektionen, vor allem für die Lungenentzündung.
Der überstandenen Krankheit folgten dann oft noch wochenlange starke Müdigkeit und Erschöpfung. Häufige Folgeerscheinungen waren neurologische Funktionsstörungen und Depressionen.
In vielen Ländern kam es bis in die 1920er Jahre hinein zu Nachepidemien, die aber dann im „normalen“ Zeitraum, in Europa also im Winter, auftraten. Forscher kamen zu der Erkenntnis, dass das Virus direkt von einem Vogelgrippevirus abstammte und der Übergang auf den Menschen durch Mutation stattgefunden habe. Bisher ist nie mehr danach ein derart aggressives Grippevirus aufgetreten.
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