Rückenschule

Figuren beim Training

von Waltraud Käß

Nichts ging mehr. Ich konnte mich weder drehen noch wenden. Der Zahn der Zeit hatte an allen Gelenken genagt. Die Bauchmuskeln brauchten auch ein besonderes Lifting. Meinen Kopf trug ich im Moment immer sehr senkrecht, der hintere Nackenmuskel war einfach zu kurz zum Nicken geworden. Meiner Haltung nach zu urteilen, musste ich dem Neandertaler sehr ähnlich sein.

Die Vernunft sagte zu mir:“Du musst dich bewegen. Am besten wäre Sport.“ Ich rollte mit den Augen, denn Nicken ging nicht. „Okay“, sagte ich, „du hast völlig Recht.“ Mein innerer Schweinehund meldete sich zu Wort „Du hast doch keine Zeit. Außerdem ist es anstrengend. Das musst du dir doch nicht mehr antun.

„Okay“, sagte ich, „du hast auch Recht. Aber bevor ich mich umsonst anstrenge, werde ich die Brustwirbelsäule fragen.“ Ächzend und stöhnend brachte die ihre Beschwerde vor „Denkst du noch an die Blockade, als du nur nach einer Spritze gejammert hast?“ O ja, ich erinnerte mich.

Von unten tönte das linke Kniegelenk „Du willst wohl nicht mehr wahr haben, dass ich dich gerade mal bis zur 1.Etage gebracht habe?“ Ja, ich hatte es nicht vergessen. Sie hatten alle Recht. „Okay“, sagte ich. „Ich werde mich kümmern und euch dann etwas anbieten.“

Fitness hier-Wellness dort. Die Angebote sprangen mir von allen Häuserwänden und Litfaßsäulen entgegen – nur 50 € monatlich. Meine Organe und ich lehnten ab. Wir entschieden uns schließlich für ein sanftes Wohlfühlprogramm für den Rücken, welches auch noch die Kasse bezahlte. Schließlich wollte ich von den Beiträgen auch mal etwas abhaben.

Offensichtlich hatte nicht nur mein Körper eine heftige Warnung ausgesprochen. Zur ersten Trainingsstunde erschienen gleich mehrere Probanden mit der gleichen schlaffen Haltung wie ich. Unser Problem war der Kursleiter. Er stand vor uns, jung, schlank, eine biegsame Gestalt. Ein erfreulicher Anblick für jedes Frauenauge.

Wie sollten wir vor diesem Mann bestehen? Alle warteten gespannt. Es war wie in der Schule. Brav auf unseren Gymnastikbällen sitzend, stellten wir uns vor, redeten über körperliche Befindlichkeiten und strengten uns zunächst theoretisch sehr an.
Zur anschaulichen Erörterung der Übungen arbeitete unser Kursleiter oft mit Hilfsmitteln.

So lag z.B. auf dem Boden, wie hingehaucht, eine Wirbelsäule. Bei der Demonstration an den Bandscheiben fiel sie plötzlich auseinander. Ich sah hin und hatte böse Gedanken. Mein rechter Nachbar sagte leise „Das sind bestimmt die Überreste von einem ehemaligen Kursteilnehmer. Hoffentlich sehen wir nach dem Kurs nicht auch so aus.“

Nach und nach stiegen wir in die körperlichen Übungen ein. Voller Neid starrte ich auf den Körper unseres Kursleiters, der sich mit einer Leichtigkeit bewegte, die nicht von dieser Welt war. Der Rest der Truppe stöhnte und ächzte bei jeder Übung um die Wette. Von wegen Wohlfühlprogramm! „Kannst du nicht aufpassen, du tust mir weh“, regte sich mein Oberschenkel auf, als ich versuchte, die Figur eines Käfers in der Seitenlage nachzustellen.

„Hab dich nicht so“, sagte ich, „mir tut`s auch weh. Du wolltest es ja so.“ „Pass auf“, warnte ich meinen Rückenmuskel, „gleich üben wir Beide den Adler.“ Aber wahrscheinlich waren meine Flügel sehr kurz. Verdammt, war ich steif. Anstatt stolzer Adler sah ich wohl aus wie eine lahme Ente.

Überhaupt spielten die Tiere in unserer Rückenschule eine große Rolle – so z.B. das Pferd. Wir redeten über den Pferdesport. Pferdesport eignet sich hervorragend für den Rücken, wollte uns der Kursleiter weismachen. Nur hatten wir alle kein Pferd. „Und außerdem“, sagte mein Nachbar von gegenüber, „darf man auf dem Pferd nicht nur so herum hampeln wie wir. Auf einem Pferd muss man gerade sitzen.“ Aber das wollten wir ja gerade lernen.

Oder nehmen wir den Katzenbär. Unserem Kursleiter war er im Tierpark begegnet. An ihn erinnerte er sich, als er uns alle auf die Knie zwang und uns anwies, unsere Wirbelsäule nach und nach in einen Katzenbuckel zu verwandeln. Wir lernten auch die Giraffe kennen. „Und jetzt legen wir den Kopf nach rechts – mit Anspannung bitte, und die Augen gehen zum Horizont.

Und dann das Ganze nach links“, sprach unser Kursleiter. Und die Halswirbelsäule reckte und streckte sich, knackte und schmerzte, und wurde so lang wie ein Giraffenhals.

„Kennt ihr eine Seekuh?“, fragte der Kursleiter, „und wisst ihr, wie beweglich die im Wasser ist?“ Wir wussten es, aber wir wollten es erst werden. Nach einer anstrengenden Übung lagen wir alle erschöpft auf dem Bauch. An Schwimmen war nicht zu denken.

„Bitte die Arme ausschütteln, die Beine ausschütteln“, wies uns der Kursleiter an. „In diesem Jahr wird in Vietnam das Jahr des Affen gefeiert. Also wuw, wuw, wuw, die Arme ausschütteln. Denkt an die Affen.“ Irgendwie fühle ich mich in die Urgeschichte der Menschheit zurück versetzt und habe urplötzlich Appetit auf eine Banane. „Sucht euch alle eine Wand und dann mit dem linken Arm anfangen, dehnen, dehnen, bis in die Brustmuskulatur.

Die Affen brauchen keine Dehnung. Warum wohl?“ Die Antwort kommt prompt von meiner linksseitigen Nachbarin „ Na weil die alle den ganzen Tag so in den Bäumen rum hängen“. Sie hat die Lacher auf ihrer Seite.

Die Belohnung kommt immer zum Schluss – Entspannungsübungen. Wir beginnen eine Reise durch unseren Körper. Leise Musik – „lasse deine Gedanken fließen wie ein Bächlein, welches über die Steine im Fluss murmelt. Helles, klares Wasser fließt durch deinen Körper. Spüre deine Arme, lass dich fallen, Lass alle schweren Gedanken von dir abfallen.

Horche in deinen Bauch hinein, lass deinen Atem fließen, spüre deinen Körper. Und dann gehen wir mit einem Lächeln in unsere Oberschenkel“, murmelt die Stimme des Kursleiters. Ich lächle. Zu schön, was ich da alles so zu sehen kriege. „Spüre deine Zehen, entspanne dich, lass sie fallen.“ Die Zehen sind das Stichwort.

Aufwachen, Recken und Strecken. Wir stehen auf, klatschen unseren Körper ab, Gesicht, Brust, Nieren, die Innenseite der Arme. Schluss für heute. „Vergesst nicht, eure Hausaufgaben zu machen. Manche Übungen gehen sogar auf dem Klo“. Protest kommt von der noch liegenden Nachbarin mit dem schwarzen Zopf „Auf dem Klo liege ich aber nicht“, meint sie und erhält Unterstützung von einer anderen „stimmt, noch nicht mal im hohen Alter.“ Wir sind eine lustige Truppe.

Jeden Dienstag werde ich an das Programm denken. Es hat mir gut getan. Ich laufe wieder bis zur 6. Etage ohne einen einzigen Aufenthalt – und das in meinem Alter. Ich kann weit zum Horizont blicken und auch hinter mich. Die Schmerzen in den Gelenken sind verschwunden. Meine Muskeln sind voller Kraft. Ich bin froh, dass ich meinem inneren Schweinehund ein Schnippchen geschlagen habe.