Neustart für den Körper - „Fasten bekämpft die Alterung“
Bild: Deutsches Gesundheitsjournal
von Heike Schmoll
Dr. Françoise Wilhelmi de Toledo leitet eine Fastenklinik. Im Interview spricht sie über die Vorteile des Intervallfastens, wie lange wir fasten sollten – und warum wir keine Angst vor dem Nahrungsentzug haben müssen.
Frau Dr. Wilhelmi de Toledo, lange wurde das Fasten nur als Verzicht auf Essen gesehen. Heute weiß man, dass es ein Neustart für den gesamten Körper ist. Was heißt das genau?
Wenn ein Mensch – oder ein Tier – keine Nahrung mehr zu sich nimmt, schalten sein Stoffwechsel und seine Genprogrammierung auf den Fastenmodus um. Es ist wie bei einem Hybridauto, das von Benzin- auf Stromzufuhr umschaltet, um die Versorgung des Motors mit Brennstoff zu sichern. Dieser „epigenetische Switch“ einige Gensequenzen desaktivieren sich, andere aktivieren sich – bringt viele Gesundheitsvorteile: Veraltete und geschädigte Zellen werden repariert und entsorgt, das Entzündungsrisiko wird gesenkt, der Stoffwechsel steht vor einem Neustart. Nach dem Fasten, wenn die Nahrung langsam wieder eingeführt wird, verjüngt sich das Gewebe durch aktivierte Stammzellen und Proteinsynthese.
Welche Fastenformen gibt es?
Es gibt eigentlich zwei Fastenformen: das kurze Fasten von einigen Stunden täglich, das mit der Rotation der Sonne um die Erde verbunden war, und das Langzeitfasten, das durch die Jahreszeiten bestimmt war. Beim kurzen Fasten während der Nacht, das meistens zehn bis 16 Stunden dauert, darf Wasser getrunken, aber nichts gegessen werden. Das nächtliche Fasten zusammen mit dem Schlafen ist mit dem Einbruch der Dunkelheit in unserem Gehirn
Fasten soll gut für die Gesundheit sein. Aber macht es Spaß?
programmiert. Heute nennt man das „intermittierendes Fasten“, und es ist sinnvoll, das zu praktizieren.
Inwiefern kann der Organismus durch das Intervallfasten profitieren?
Das Intervallfasten entspricht der Programmierung des Menschen im Einklang mit dem Wechsel von Tageslicht und Nachtdunkelheit. Es bringt eine Normalisierung des Insulins, des Blutzuckers und, wenn es lang genug dauert, eine Umstellung auf Ketose, bei der Fett als Brennstoff dient. Es wirkt gegen Gewichtszunahme, metabolische Störungen wie Insulinresistenz, Diabetes Typ 2, Schlafstörungen und bekämpft Alterungsprozesse von Körper und Gehirn. Das Langzeitfasten hat die gleichen Wirkungen, nur viel intensiver.
Wie erklären Sie sich, dass auch die Schulmedizin das Intervallfasten inzwischen als probates Mittel der Gesundheitserhaltung einschätzt?
Die Fastenforschung dokumentiert die positiven Wirkungen des Intervallfastens klar. Hinzu kommen heute Selbsterfahrungsberichte von Menschen, die darüber in den sozialen Medien und in der Presse kommunizieren. Vor allem jüngere Ärzte haben oft selbst Erfahrung und hören auf ihre Patienten. So langsam verstehen Medizinfakultäten, dass die Medizin nicht nur aus Medikamenten und Operationen besteht, sondern auch aus nichtpharmakologischen Interventionen wie Fasten, gesunder Ernährung, gesundem Schlaf, emotionalem Gleichgewicht, körperlicher Aktivität, Massagen und anderen Anwendungen sowie einer guten Umweltqualität außerhalb und innerhalb der Wohnungen. Wie oft fasten Sie, und welche Form des Intervallfastens praktizieren Sie selbst? Täglich faste ich 14 bis 16 Stunden vom Abend bis Mittag, je nachdem wie groß die Abendmahlzeit war; meistens warte ich, bis ich einen gesunden Hunger verspüre, etwa um 12 bis 13 Uhr. Wenn Feste zu ungewöhnlich reichhaltigen und oft
köstlichen Mahlzeiten geführt haben, kommt der Hunger später zurück. Jährlich im April unterwerfe ich mich einer kalorien-, kohlenhydrat- und proteinreduzierten Ernährung, durch die ich die schlimmen Symptome meiner Birkenallergie quasi eliminiere. Und seit 43 Jahren faste ich zwölf Tage im Sommer mit Exerzitien in einer ökumenischen Gemeinschaft.
Was bedeutet Langzeitfasten?
Dass man den Fastenmodus während mehrerer Tage aufrechterhält. Vor Tausenden Jahren gab es keine Kühlschränke oder Möglichkeiten, Nahrung von warmen Ländern zu importieren. Daher mussten Menschen während der sonnigen Jahreszeit Reserven im eigenen Körper als Fett ansammeln. Dieses Fett ist der Hauptbrennstoff des Langzeitfastens. Längere Fastenperioden fanden in den Monaten statt, in denen die Sonneneinstrahlung schwach ist, etwa im Winter bei uns.
Wie lange soll ein Langzeitfasten mindestens dauern?
Für Tiere, die Winterschlaf halten, wie den Bären, dauert das Fasten den gesamten Winter lang. Heute fasten Menschen in unseren Fastenkliniken meist zwischen fünf und 20 Tage, je nach Alter, Ernährungszustand, Gewicht und eventuellem Krankheitsbild. Manchmal mehr.
Und welche Wirkungen hat das?
Es gibt viel Forschung zum Thema auch aus unseren Kliniken, die etwa 6000
Fastenaufenthalte jährlich begleiten. Das Fasten soll bei Stoffwechselstörungen wie Diabetes Typ 2, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen zwischen zwei und vier Wochen dauern, wobei in dieser Zeitspanne immer ein bis zwei Tage Übergang in das Fasten und vier bis fünf Tage langsamer Aufbau inbegriffen sind. Bei metabolischem Syndrom oder einer Fettleber kann das Fasten eine vollständige Normalisierung bringen. Chronisch entzündliche Erkrankungen wie Arthritis, sogar rheumatoide Arthritis, Allergien, Asthma werden positiv beeinflusst, Medikamente und Symptome reduziert, manchmal geheilt. Andere Krankheiten, wie depressive Verstimmung oder chronische Müdigkeit, sind gute Indikation für ein Fasten, das die Lebensenergie erneuert und kognitive Funktionen verbessert. Aber schwieriger als das Fasten selbst ist oft der Wiedereinstieg ins Essen. Für alle Krankheiten sind Qualität und Zusammensetzung der Nahrungswiederaufnahme wichtig für die Konsolidierung der Wirkungen. Es
gibt viel Forschung bei Indikationen wie Prävention von Alzheimer, adjuvante Therapie zu Krebsbehandlung durch Chemotherapie und Radiotherapie, Prävention und Behandlung von Parkinson und Multipler Sklerose.
Gibt es auch Konstitutionstypen und Menschen, für die der starke Reiz einer Fastenkur zu viel ist?
In den Kliniken Buchinger Wilhelmi beginnt jeder Fastenaufenthalt mit einer ärztlichen Untersuchung. Je nach Alter, Ernährungszustand, Gewicht und eventuellen Krankheiten wird man sich für ein klassisches Buchinger-Wilhelmi-Fasten von 250 Kalorien mit Gemüsebrühe und Saft entscheiden. Alternativ gibt es andere Strategien. Meist werden die Kalorien und einige Makronährstoffe, besonders Kohlenhydrate und Proteine, temporär reduziert. Auch das Zeitfenster, in dem man essen darf, kann im Sinn des intermittierenden Fastens reduziert werden. Damit können fast alle Menschen für eine Zeit eine Fastenvariante oder eine Ernährungsstrategie praktizieren, die ganz oder partiell Wirkungen des Fastens aufweist. Wenn ein Patient extremes Untergewicht hat oder von starkem Muskelabbau (Sarkopenie) betroffen ist, muss statt Fasten eine aufbauende Diät empfohlen werden.
Sie haben in der Klinik am Bodensee jahrzehntelange Erfahrung mit dem Fasten. Was bedeutet Fasten nach Buchinger?
Es gibt sehr wenige Kliniken, die von Otto Buchinger, der von 1878 bis 1966 lebte, selber gegründet wurden. Dazu zählen Buchinger Wilhelmi Bodensee und Marbella. Unser Programm wurde im Laufe von quasi 100 Jahren entwickelt. Das Fasten nach Buchinger ist Otto Buchingers ursprüngliches Fastenprogramm. Das Buchinger-Wilhelmi- Fastenprogramm ist dessen Weiterentwicklung durch drei Generationen von Ärzten und Familienmitgliedern. Seit einem Jahrzehnt ruht es auf einer soliden Basis von zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen.
Wie nehmen Sie Menschen die Angst vor dem Nahrungsentzug?
Unsere klinischen Studien haben zunächst die Sicherheit unseres Fastenprogramms an 1422 Probanden dokumentiert. Weiterhin konnten wir therapeutische Wirkungen wie die Senkung des Blutdrucks, des Gewichts und des Bauchumfangs, Normalisierung von Fett- und Zuckerstoffwechsel sowie einen Neuaufbau des Mikrobioms im Darm beweisen. Schließlich konnte eine signifikante Erhöhung des emotionalen und physischen Wohlbefindens in mehreren Studien dokumentiert werden. Als ich 1980 als junge Ärztin bei Buchinger Wilhelmi angefangen habe, war Fasten in medizinischen und wissenschaftlichen Milieus unbekannt. Heute wird das Intervallfasten medizinisch anerkannt. Wir erhoffen uns, das Langzeitfasten als die potenteste nichtpharmakologische Intervention zu etablieren
Quelle: F.A.Z.
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