Alt und Jung gesellt sich gern

alte und junge Hand berühren sich

von Waltraud Käß

An diesen Spruch aus meinen Kindertagen, von meiner Mutter oft benutzt, wenn Oma und der Rest der Familie einen Sonntagsausflug planten, erinnere ich mich noch immer.

Das war in der Organisation unkompliziert, denn die ältere Generation und die junge Familie mit den Enkelkindern wohnten auf dem Dorf eng beieinander.

Es war selbstverständlich, dass die „Alten“ in das Leben der Jüngeren mit eingebunden wurden. Und umgekehrt erlebten die Kinder, wie Oma und Opa, Onkel und Tante alt, älter und gebrechlicher wurden, so dass sie die Hilfe ihrer Kinder und Enkelkinder brauchten.

Selbst alleinstehende Bewohner mussten nicht abseits stehen, sondern waren durch nachbarschaftliche Kontakte in dieser Dorfgemeinschaft gut aufgehoben.
In der Stadt und auch allgemein in der heutigen Zeit gibt es eine andere Situation.

Die Anzahl der Single-Haushalte nimmt immer mehr zu, was insbesondere bei älteren, hilfsbedürftigen, alleinstehenden Frauen und Männern zum Problem wird. Die jungen Familien suchen ihren Lebensmittelpunkt dort, wo sie Arbeit finden, und der liegt mitunter sogar im Ausland. Opa und Oma bleiben zurück.

Der Generationenvertrag gilt nicht mehr in jedem Falle. Die, die am Ort bleiben, können Opa oder Oma nur noch in seltenen Fällen ins eigene Heim nehmen und sich um sie kümmern. Andererseits wollen die Älteren die Jüngeren aber nicht noch zusätzlich belasten. So bleibt letztendlich, irgendwann, wenn die eigene Versorgung und Hygiene selbst nicht mehr gewährleistet werden kann, nur der Gang ins Alten-und Pflegeheim.

Damit sind die Alten und die Jungen voneinander separiert, und vor allem den Kindern ist die Beobachtung, die Kenntnis und der Umgang mit dem Alterungsprozess und seinen Folgen nicht mehr gegenwärtig.

Mit der höheren Lebenserwartung der Menschen nimmt auch die Anzahl bestimmter Krankheiten wie z.B. der Demenz, stetig zu, die eine besondere Betreuung braucht. Diese Entwicklung ist weltweit zu beobachten, aber auch in Deutschland sind laut Deutscher Alzheimer-Gesellschaft gegenwärtig etwa 1,4 Millionen Menschen betroffen.

Die Krankheit Demenz (lat.: ohne Geist) geht einher mit dem Verlust kognitiver, emotionaler und sozialer Fähigkeiten. Bei den Erkrankten ist außerdem der Mangel an körperlicher und sozialer Aktivität, oder die Zunahme sozialer Isolation, die der Krankheit noch Vorschub leisten, zu beobachten.

Alles beginnt mit Gedächtnisstörungen und endet im schwersten Stadium mit dem Verfall des Langzeitgedächtnisses. Diesen Zustand so weit wie möglich in die Zukunft zu verschieben, ist Inhalt jeder Therapie. Und so ist jede Initiative, jedes Projekt, welches zum Erhalt körperlicher und geistiger Fähigkeiten beiträgt, die Pflege sozialer Kontakte in den Vordergrund stellt und neue Kontakte aufbaut, von großem Wert.

Wohngemeinschaften für Demenzkranke sind dabei ein Schritt. Aber es kommt vor allem darauf an, die erkrankten Menschen in das Leben noch voll mit einzubinden, ein „generationenübergreifendes Miteinander“ für Bewohner von Heimen oder Wohngemeinschaften zu schaffen.

Bei meinen Recherchen zu diesem Beitrag bin ich auf ein Stuttgarter Projekt gestoßen, von dem ich meine, dass man es sehr weit propagieren sollte. Es besteht nicht erst seit gestern, sondern bereits im Jahre 2004 entstand die Idee, Kooperationsbeziehungen zwischen einer 3. bzw. 4. Klasse einer Schule und einem Zentrum für Demenzkranke aufzubauen. Schon im Jahre 2005 erhielt dieses Projekt, welches den Namen „Besuch im Anderland“ trägt, den Stuttgarter Bürgerpreis.

„Anderland“ – wie ich finde, ein zärtlicher Ausdruck dafür, dass die betroffenen Bewohner in einer anderen Welt, in einem anderen Bewusstseinszustand, ihren Lebensabend verbringen. Im Jahre 2009 wurde der gemeinnützige Verein „Besuch im Anderland“ gegründet, der nun die Beziehungen zwischen Schulen und Pflegezentren koordiniert und weiter ausbaut.

Rund um Stuttgart laufen inzwischen mehrere Projekte, d.h. es sind neben der ersten Schule weitere Kooperationsschulen und Heime dazu gekommen. Das Kultusministerium unterstützt ideell das Projekt im Land Baden-Württemberg. Auch in Berlin soll es bereits eine Schule geben, die diese Idee aufgegriffen hat.

Ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber vielleicht will man erst Erfahrungen sammeln.
Natürlich bedurften diese Kooperationsbeziehungen einer guten Vorbereitung sowohl der Schüler als auch der Heimbewohner. Ein Projektplan wurde erarbeitet, der die Ziele für die Schule, die Lehrer, die Heimleitung und die Pflegekräfte, für die Kinder und die Heimbewohner formulierte.

Sehr eng wurde von Anfang an mit den Eltern zusammen gearbeitet. Dann gab es die erste Unterrichtsstunde in einer 3. Klasse, in der kindgerecht die Krankheit Demenz vorgestellt wurde.

Der nächste Schritt war die Auswahl von 8-12 Kindern, die nun regelmäßig alle 2-4 Wochen, die Dauer liegt im Ermessen der Lehrkraft, eine Gruppe von Bewohnern in „ihrem Heim“ besuchen. So entstehen persönliche Kontakte schon allein dadurch, dass sich Jeder bei Jedem vorstellt.

Die Kinder musizieren und singen mit den Bewohnern und es ist nicht selten der Fall, dass den Personen der Text der Lieder wieder präsent ist und sie laut mitsingen. Es wird gemeinsam gebastelt und gemalt, die Kinder erzählen von der Schule, von ihren Hobbys, von Erlebnissen aus den Ferien. Und plötzlich fangen auch die Bewohner an zu erzählen, was sie früher erlebt haben, Kindheitserinnerungen tauchen auf und der Geräuschpegel nimmt langsam zu.

Beim Spielen mit Bällen, Tüchern oder Luftballons, im Sommer wird sogar Boule gespielt, wird gelacht und sich geärgert, gibt es Erfolge und Misserfolge, doch die Stimmung steigt. Gefühle werden aufgerufen, die mitunter schon verschüttet waren. So ist es folgerichtig, dass sich Heimbewohner und Kinder auf den Gegenbesuch in der Schule gleichermaßen freuen.

Den älteren Menschen bringt der Kontakt Freude mit den Kindern, sie leben förmlich auf, und die Kinder haben einen nachhaltigen, sozialen Lernerfolg. Folgt man den Eindrücken der Kinder, gehen sie sehr gerne in „ihr Heim“, denn sie wissen, dass sie sehnsüchtig erwartet werden. Und dann geht die Zeit viel zu schnell um.

Doch oft bleiben kleine Andenken zurück, die die Kinder selbst gebastelt, gemalt oder geschrieben haben, eine Blume, ein Armband, eine Zeichnung, ein Gedicht.
„Bis zum nächsten Mal dann“, rufen die Kinder und winken beim Abschied. Es stimmt also noch immer dieses alte Sprichwort „Alt und Jung gesellt sich gern“.