Die Entführung der Quadriga
Bild: Gereon Balzer / pixelio.de
von Waltraud Käß
Vor sechzig Jahren, am 27.9.1958 kehrte die Skulpturengruppe der Quadriga auf das Brandenburger Tor in Berlin zurück.
Im 2. Weltkrieg war das Ensemble des Brandenburger Tores mit der Quadriga nicht von den Zerstörungen verschont geblieben. Nur ein Original-Pferdekopf war noch erhalten.
Doch es herrschte wohl Einigkeit darüber, dass dieses Wahrzeichen Berlins wieder in alter Schönheit entstehen müsste. In einer „gesamtdeutschen“ Aktion erfolgte der Neuaufbau und die Wiederherstellung. Die DDR restaurierte das Tor, die BRD die Quadriga. Als sie auf das Tor gehoben wurde, fehlten allerdings einige Insignien des ursprünglichen Entwurfs. Dazu später mehr.
Als Wahrzeichen von Berlin hat das Brandenburger Tor eine wechselvolle Geschichte. Es war nicht nur der Endpunkt der Flaniermeile Unter den Linden, sondern es wurde von den Mächtigen vergangener Zeiten auch missbraucht. Schon die kaiserliche Armee marschierte vor dem 1. Weltkrieg mit klingendem Spiel durch das Brandenburger Tor und die Wehrmacht Hitlerdeutschlands tat dies ebenfalls vor dem 2. Weltkrieg.
Ab August 1961 lag es im Grenzgebiet zwischen der DDR und Westberlin. Niemand konnte mehr hindurch marschieren oder hindurch gehen. Auf der westlichen Seite wurden die Besuchergruppen zum Tor gefahren, um einen Blick über die Grenze in die „Ostzone“ zu werfen und es gab mehr als eine „Brandrede“ von westlichen Politikern am Brandenburger Tor.
Heute nach seiner Öffnung ist es fast der größte Anziehungspunkt für die Touristen und damit anderen Gefahren ausgesetzt. Jeder Berlin-Besucher hat einen besonderen Wunsch: Er möchte einmal durch das Brandenburger Tor gehen. Und da das viele Menschen tun möchten, ist das Bauwerk eben auch den vielen Gebrauchsspuren ausgesetzt.
Viele Events starten am Tor, da gibt es den Marathonlauf am Brandenburger Tor, Radrennen am Brandenburger Tor, Demos aller Art am Brandenburger Tor, ja sogar Modenschauen fanden dort statt. Doch die schlimmste Beschädigung wurde ihm während der Silvesternacht 1989/90 beigebracht. Einige Vandalen erkletterten das Tor bis zur Quadriga und rissen dort Blätter des Kranzes und Zaumzeug der Skulpturengruppe ab.
Doch wie und warum entstand eigentlich diese Gruppe und worin liegt ihr Symbolwert? Zwischen den Jahren 1788 und 1791 wurde nach den Entwürfen von Carl Gotthard Langhans das Brandenburger Tor erbaut. Johann Gottfried Schadow erhielt vom König den Auftrag, eine Quadriga (lat. quattuor, vier) also ein Vierergespann als Schmuck für das Tor zu entwerfen.
Das antike Vorbild fand er in einem zweirädrigen Streitwagen, der von vier nebeneinander gehenden Zugtieren, meist Pferden, gezogen wird. Die Quadriga wurde vor allem im alten Rom bei Wagenrennen und Triumphzügen eingesetzt. Schadows Entwurf wurde für gut befunden und 1793 vom Kupferschmied Emanuel Jury in die Tat umgesetzt. Schadow hatte die Wagenlenkerin als Friedensgöttin Eirene konzipiert.
Sie sollte nach dem Siebenjährigen Krieg von 1756 – 1763, den Preußen gewann, den Frieden wieder zurück in die Stadt bringen. So unschuldig nackt, wie die Göttin auf dem Tor stand, fanden die Berliner wenig Gefallen an ihr. Es fehlte etwas Züchtiges und etwas Triumphales. Also hüllte Schadow die Göttin in ein langes Gewand und gab ihr eine Lanze mit römischem Lorbeerkranz und einem römischen Adler an der Spitze in die Hand.
Zwischen den Jahren 1792 – 1815 gab es nahezu 23 Jahre lang kriegerische Auseinandersetzungen- die so genannten Koalitionskriege- zwischen Frankreich und den verschiedensten Monarchien Europas wie z.B. England, Russland, Österreich. Während seiner Feldzüge eroberte Napoleon I. auch Berlin.
Offensichtlich fand er Gefallen an der Quadriga auf dem Tor. Kurzerhand wurde das Ensemble demontiert. Pferde und Wagenlenkerin wurden nach Paris entführt. Das war für Preußen und für die Berliner eine große Schmach. Diesen Verlust konnten die Berliner nur schwer ertragen. Doch sie mussten acht Jahre auf das Ensemble warten.
Erst während des Koalitionskrieges von 1813 – 1815 und dem Sieg über Napoleon I. fiel die Stadt Paris am 31.3. 1814. Nun war der Weg zu der entführten Quadriga frei. In Kisten verpackt, aber im Triumph, kehrte sie nach Berlin zurück auf das Brandenburger Tor. Um den Triumph dauerhaft zu dokumentieren, erhielt der Platz den Namen „Pariser Platz“.
Zwischenzeitlich hatte sich auch Karl Friedrich Schinkel einen Namen als Baumeister im Dienste des Königs gemacht. Anlässlich des Sieges über Napoleon stiftete König Friedrich Wilhelm III. einen Verdienstorden und Schinkel wurde beauftragt, diesen zu entwerfen. Schinkel entwarf ein Kreuz, ein eisernes Kreuz, welches dann den Soldaten für besondere Leistungen in den Befreiungskriegen überreicht wurde. Es blieb eine soldatische Auszeichnung bis in die Wehrmacht Hitler hinein.
Die Rückholung der Quadriga nach Berlin war nicht nur ein Triumph für die Berliner, sondern hatte nun eine preußisch-politische Bedeutung. Die sollte das Ensemble zukünftig auch zum Ausdruck bringen. Die Quadriga sollte preußischer werden, sie sollte mit dem Eisernen Kreuz geschmückt werden. So veränderte Schinkel das Ensemble. Der Lorbeerkranz wurde durch einen größeren Eichenkranz ersetzt.
In der Mitte des Kranzes platzierte er das Kreuz und auf den Kranz setzte er den preußischen Adler mit den ausgebreiteten Schwingen, einen Raubvogel also. Die eindeutige Symbolik als Friedensgöttin ging damit der Wagenlenkerin Eirene verloren.
Doch damit nicht genug. Ein groß dimensioniertes preußisches Nationaldenkmal mit einem großen Eisernen Kreuz wurde durch Schinkel entworfen und zur Erinnerung an die Siege in den Befreiungskriegen 1813 – 1815 im Victoria-Park auf einer die Stadt überragenden Anhöhe errichtet. Seitdem heißt diese Anhöhe der „Kreuzberg“.
Die „Neuerschaffung“ der Quadriga nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg dauerte mehrere Jahre und wie schon erwähnt, wurde das Brandenburger Tor durch die DDR in alter Schönheit errichtet, und die Quadriga durch die BRD. Als beides zusammengeführt werden und die Quadriga ihren Stammplatz auf dem Tor wieder einnehmen sollte, gab es eine große Überraschung. An der Spitze der Lanze fehlte das Eiserne Kreuz und der preußische Adler. Die DDR-Führung hatte verfügt, dass die militaristischen Machtsymbole zu entfernen sind. Die Quadriga sollte zu ihrer ursprünglichen Bedeutung als Friedenssymbol zurückgeführt werden. Diese Entscheidung ist mit Kenntnis der Geschichte des Ensembles durchaus zu verstehen.
Der Zahn der Zeit nagte am Brandenburger Tor und an der Quadriga. So wurde nach dem Jahre 1990 eine Grundsanierung vorgenommen. Und nachdem alles erledigt war, gab es wieder eine Überraschung: Die Wagenlenkerin trägt auf der Lanze nun wieder das Eiserne Kreuz und den preußischen Adler. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Übrigens besitzt die Quadriga auf dem Brandenburger Tor nicht das Alleinstellungsmerkmal. Neben anderen finden wir z.B. Quadrigen auf dem Bolschoi-Theater in Moskau, auf dem Siegestor in München (da lenkt die Bavaria ein Löwengespann), auf dem Thoryaldsen-Museum in Kopenhagen, an der Semperoper in Dresden (dort wird der Wagen von Panthern gezogen), um nur einige zu nennen.
Man kommt hinter so manches Geheimnis, wenn man den Entstehungsgeschichten von Bauwerken in ihren Epochen nachspürt. Zum Glück wurde dieses Ensemble des Brandenburger Tors schon im 18. Jahrhundert erbaut und nicht erst in der DDR. Sonst hätte man es vielleicht nach 1990 abgerissen.
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