Die wechselvolle Geschichte der Finckensteinallee 63 – Teil II
Bild: Waltraud Käß
von Waltraud Käß
Sie erinnern sich? Teil I der Geschichte endete mit dem Tod des Begründers dieses Berliner Ortsteils v. Carstenn-Lichterfelde. Auf dem Land, welches er dem preußischen Staat bzw. dem Kaiser geschenkt hatte, stand nun die Kadettenanstalt in voller Pracht. Der Ortsteil Lichterfelde erlebte eine rasante Entwicklung, so wie der Begründer sich dies vorgestellt hatte. Die Geschichte nimmt ihren weiteren Verlauf.
Während in der Hauptkadettenanstalt Berlin-Lichterfelde der Offiziersnachwuchs für Kaiser und Vaterland gedrillt wurde, erklärte Österreich-Ungarn am 28.7. 1914 Serbien den Krieg. Vorausgegangen war das Attentat auf den österreichischen Thronfolger am 28. Juni 1914. Am 1. August 1914 erklärte der deutsche Kaiser den Eintritt Deutschlands in den Krieg. Die kaiserlichen Truppen überfielen Frankreich.
Die Zöglinge der HKA waren sehr jung, zwischen 14 – 17 Jahre alt, die Ausbildung war hart. Jeden Tag wurde ein straffes Programm absolviert. Nach dem Frühsport kam die Morgenandacht. Danach begann der Schulunterricht. Das Fach Militärwissenschaften, versteht sich, nahm wohl einen besonderen Rang ein. Die Fächer Mathematik, Geographie, Geschichte, Deutsch, Französisch, Latein und Physik rundeten das Unterrichtsprogramm ab, es entsprach der Schulausbildung an einem Realgymnasium, welches mit dem Abitur abgeschlossen werden konnte.
Gleichermaßen konnte am Ende der Ausbildung das Offiziersexamen abgelegt werden. So wurden seit 1878 mehrere Generationen von Spitzenoffizieren für das Heer oder die Kaiserliche Marine ausgebildet. Sehr bekannt wurden z.B. die Namen Walther v. Brauchitsch, Hermann Göring, Erich Ludendorff, Hasso v. Manteuffel oder Manfred Freiherr v. Richthofen.
Im Jahre 1918 endete der 1. Weltkrieg mit dem Versailler Friedensvertrag. Das Ende des Krieges bedeutete gleichzeitig das Ende der kaiserlichen Monarchie. Die Bedingungen, denen das besiegte Deutschland sich nach dem Ende der mörderischen Kämpfe, da denke ich nur an die Giftgaseinsätze an der Westfront, unterwerfen musste, wurden im Versailler Vertrag geregelt.
U.a. wurde festgeschrieben, dass Deutschland noch maximal 100 000 Armeeangehörige haben durfte, einschließlich der Zahl von 4000 Offizieren. Die allgemeine Wehrpflicht durfte es nicht mehr geben. Da die Hauptkadettenanstalt die maßgebliche militärische Ausbildungsstätte für den Offiziersnachwuchs war, verlor sie nun ihre Daseinsberechtigung. Am 9. März 1920 wurde sie geschlossen.
Nun stand die Frage im Raum, wie dieses riesige Ensemble einer zivilen Nutzung zugeführt werden sollte. Es gab unterschiedliche Vorstellungen, u.a. unterbreitete das Reichskolonialamt den Vorschlag, das 1919 gegründete Reichsarchiv dort unterzubringen. Allerdings hatte die Gemeinde Berlin-Lichterfelde andere Vorstellungen.Sie sprachen sich für die Umwandlung der HKA in eine zivile Erziehungsanstalt aus und stellten diesen Antrag auch an die Staatsregierung, dem stattgegeben wurde. Das lag insbesondere im Interesse der noch verbliebenen ehemaligen Kadetten. Sie konnten damit ihre schulische Ausbildung bis zum Abitur abschließen. Das jedoch ging nicht ohne Konflikte ab.
Schon bei der Eröffnungsfeier der Staatlichen Bildungsanstalt (Stabila) am 5. Mai 1920 revoltierten die ehemaligen Kadetten. So versuchten sie z. B. die neu gehisste schwarz-rot-goldene Flagge zu entfernen. Sie benahmen sich auch danach noch „sehr militärisch“, führten eigenständige Exzerzierübungen durch, revoltierten gegen die Neubelegung der Stuben. Der erste Schulleiter der Stabila, Oberstudienrat Dr. Karsen nahm daraufhin nach drei Monaten seinen Hut.
Die Schülerzahlen der Stabila sanken beständig, mit Beginn des Schuljahres 1922/23 lag die Schülerzahl erheblich unter 500 Personen. Viele Gebäude standen leer, viele begehrliche Blicke anderer Institutionen richteten sich auf deren Belegung.
Im März 1933 wurde im Auftrag von Adolf Hitler die Stabswache Berlin mit 117 ausgewählten SS-Männern eingerichtet. Ende April 1933 wird sie als „SS-Sonderkommando Berlin“ bezeichnet und zieht in eines der Gebäude der ehemaligen HKA ein.
Die Staatliche Bildungsanstalt muss den neuen Herren weichen. Im Heft 2 der Blätter der Stabila, die inzwischen nach ihrem letzten Direktor benannt Hans-Richert-Schule heißt, wurde der Vorgang so beschrieben:“ Mitte Juni 1933 stand endgültig fest, dass die Gebäude der preußischen Hochschule für Leibesübungen und des Lehrerseminars in Spandau für die Staatliche Bildungsanstalt ausersehen waren.
Am 27.7. 1933 fand in der feierlich geschmückten Anstaltskirche in Lichterfelde ein schlichter Abschiedsgottesdienst statt. Am letzten Schultag sah der Feldmarschallsaal die Jugend der Hans-Richtert-Schule mit ihren Lehrern zum letzten Mal in seinen Räumen.“
Am 9. November 1933 wurden 835 SS-Männer auf Adolf Hitler vereidigt. Diese Einheit erhielt den Namen „Leibstandarte“ und wurde ab 13. April 1934 offiziell als „Leibstandarte SS Adolf Hitler“ bezeichnet. Bis 1935 wuchs sie auf etwa 3000 Mann an. Die Gebäude der ehemaligen HKA wurden nun den Nutzungsbedingungen der SS entsprechend ausgebaut, umgebaut und erweitert. Das Eingangstor zur Kaserne wurde mit zwei überlebensgroßen Soldatenfiguren, den „ewigen Rottenführern“ geschmückt.
Die alte Turnhalle der HKA wurde abgerissen. An ihrer Stelle wurde im Jahre 1938 eine moderne Schwimmhalle für die körperliche Ertüchtigung der SS-Männer eingeweiht. Sie wurde auch nach dem Krieg weiterhin genutzt, inzwischen ist sie nach umfangreicher Sanierung wieder zugänglich.
An der Niederschlagung des so genannten „Röhm-Putsch“ waren vor allem die Greifkommandos aus der Kaserne von Lichterfelde beteiligt. Heinz Höhn spricht in seinem Buch „Mordsache Röhm“ davon, dass es im Zuge der Niederschlagung 17 namentlich bekannte Tote geben soll, die auf dem Gelände der ehemaligen HKA am 30.6./1.7.1934 erschossen wurden.
Wie wir wissen, dauerte das Tausendjährige Reich nicht ewig. Siegreiche sowjetische Truppen waren in ihrem Verteidigungskampf bis nach Berlin gekommen. Im April 1945 eroberten sowjetische Verbände vom Süden, aus Richtung Teltow kommend, das Gelände der ehemaligen HKA.
Im Heft 3-5/1985 der evangelischen Johannes-Kirchgemeinde Berlin-Lichterfelde beschreibt Rudolf Möller seine Erinnerungen um den 22. April 1945 herum so: “Recht bezeichnend ist das Abrücken großer Teile der SS aus der Hitler-Kaserne, in Lastwagen und vielen kleinen Personenwagen, vollgestaut mit Hausrat und Proviant, begeben sich Chargierte mit ihrem Familienanhang auf die Reise.
Am 28. April wogt der Kampf dann und wann in Hörweite. Bomberverbände fliegen über uns hinweg. Die russische Artillerie ist sehr aktiv.“
Die sowjetischen Truppen blieben bis zum 2. Juli 1945 Herren des Geländes und der Gebäude, die bei den Kämpfen z.T. stark zerstört wurden.
Wie es weiter geht? Das erfahren sie in der nächsten Ausgabe Januar/Februar 2017.
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