Blick vom Wolkenhain
Bild: IGA Berlin 2017
von Kempen Dettmann
Marzahn-Hellersdorf hat seit der IGA 2017 ein neues Wahrzeichen, eine Landmarke besonderer Art. Wenn ich früher mit meinem Sohn am Schlittenhang des Kienberges den Winter genießen konnte war ein Blick vom Kienberg in das Umfeld durch den Baumbestand etwas versperrt. Das ist jetzt anders: Der Wolkenhain erhebt sich über den Gipfel des Berges hinaus auf etwa 130 m. Der Blick ist frei.
Vom Wolkenhain ergibt sich jetzt in vielfacher Hinsicht ebenfalls ein ganz neuer Blick auf den Stadtbezirk. Das merkt man immer wieder, wenn man auf der Aussichtsplattform mit Besuchern oder Touristen ins Gespräch kommt, die dabei ihre erstaunten Erkenntnisse nicht zurückhalten.
Da ist natürlich an erster Stelle der Blick auf die zu Füßen des Kienberges gelegenen Gärten der Welt. Sie sind ja nicht einfach ein Park mit Blumen und Bäumen. Das weltweit einmalige Konzept der Gärten der Welt, die auch in ganz Europa einmalig sind, bringt die Vielfältigkeit der Welt in den Stadtbezirk. Dazu gehört der größte Chinesische Garten in Europa, der schönste Japanische Garten in Europa und mit den zur IGA entstandenen Internationalen Gartenkabinetten von Australien, Libanon und England bis nach China, Thailand, Südafrika, Chile, Brasilien und Los Angeles Landschaftsgartenkunst vom Feinsten. Auch noch eine Einmaligkeit ! Und dazu kommen dann schon mal die erstaunten Bemerkungen, dass man so etwas hier, in Marzahn-Hellersdorf, nicht erwartet hätte. Nicht umsonst hatte man deshalb auch die Feierlichkeiten zum 40. Stadtbezirksgeburtstag in diesem Jahr in den Gärten der Welt organisiert.
Dann bietet sich dem Blick vom Wolkenhain ganz direkt die Tatsache, dass der Stadtbezirk ein sehr grüner Bezirk ist, was auch die Zahlen belegen. Hier kommen 22 qm Grün auf einen Einwohner. In ganz Berlin sind das 18 qm. Und teilweise verdeckt das Grün unter seinem Blätterdach schon mal Teile der unterschiedlichen Wohngebiete. In Biesdorf, Mahlsdorf und Kaulsdorf konzentrieren sich ja die Einfamilienhäuser – in ganz Deutschland (manche sagen sogar in ganz Europa) das größte, zusammenhängende Einzugsgebiet mit derartiger Bebauung. Überraschend ist das für die meisten Besucher, wenn sie das von Wolkenhain aus sehen können. Auch das haben sie nicht erwartet. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die nüchternen Zahlen, denn diese drei Stadtteile haben zusammen eine Größe von 34,19 qkm mit immerhin fast 80 000 Einwohnern. Die Wohngebiete der Großsiedlungen von Marzahn und Hellersdorf mit den unterschiedlichen Plattenbauten sind mit 27,64 qkm kleiner.
Was vom Wolkenhain natürlich sehr gut zu sehen ist – das sind diese beiden Wohngebiete mit den charakteristischen Bauten. Hier ist auch der Unterschied zwischen Marzahn und Hellersdorf sehr genau auszumachen. In Marzahn überwiegen die Häuser mit 10 und mehr Etagen, in Hellersdorf Häuser mit 5 oder 6 Etagen. Insgesamt entstanden hier bis 1990 genau 99 237 Wohnungen, alle als Plattenbauten. In den 1990er Jahren wurden darum viele Stereotype formuliert, die von denen bis heute benutzt werden, die noch nie hier waren, geschweige denn auf dem Wolkenhain.
Dabei ist die Geschichte der Plattenbauweise schon über 100 Jahre alt und sie wird in der ganzen Welt genutzt. Die ersten Häuser mit Großplatten entstanden schon 1910 in Queens, einem Stadtteil von New York. Der Ingenieur und Architekt Atterbury zeichnete dafür verantwortlich, was dazu führte , dass dieses Konstruktionsprinzip dann als System Atterbury auch nach Europa kam. In England und Frankreich hatte man auch ähnliche Experimentalbauten errichtet. In Deutschland entstand das erste Projekt dieser Art in Frankfurt/Main 1925-1930.
Der Architekt Ernst May ließ dafür extra ein Werk zur Fertigung der Betonplatten errichten. 1926 entstand in Berlin Lichtenberg die erste Plattenbausiedlung mit 138 Wohnungen. In den Niederlanden war in Amsterdam das Betondorp (Betondorf) entstanden. Hochhäuser in Plattenbauweise wurden von Le Corbusier projektiert, die er bereits 1925 in Paris vorstellte. Viele Wohnviertel, von den Ideen Le Corbusiers beeinflusst, entstanden in den späteren Jahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte die Bauweise natürlich in erster Linie den Wohnungsmangel lindern.
Das Verfahren mit vorgefertigten Betonplatten wurde in Anlehnung an moderne Architektur umgesetzt, die bereits im Bauhaus entstanden war. Interessant ist auch die Tatsache, wie diese Bauweise verschiedentlich genannt wurde. In der Schweiz sind das „Bauten in Elementbauweise“. Begriffe wie „Großtafelbauweise“ oder einfach „Tafelbauweise“, „Serielles Bauen“, „Industrielles Bauen“ finden auch Anwendung.
In Schweden entstanden Vorstadtviertel in Plattenbauweise in Stockholm (Rinkeby), in Göteborg (Angered) und Malmö (Rosengard) Gebaut wurde nach diesen Methoden überall auch in Plattenbaugebieten der BRD: München-Neuperlach (55 000 Ew.), Nürnberg-Langwasser (36 000), Berlin-Märkisches Viertel (36 000), Berlin–Gropiusstadt (34 000), Frankfurt/Main-Nordweststadt (23 000), in 3 Stadtgebieten Hamburgs (insgesamt 50 000), Kiel (18 000), sowie auch in Köln, Bremen, Pforzheim, Würzburg, Heidelberg, Reutlingen. In allen osteuropäischen Ländern wurden Großsiedlungen in Plattenbauweise noch bis Ende der 1980er Jahre angelegt. In asiatischen Ländern ist diese Bauweise heute sehr verbreitet.
Und Marzahn-Hellersdorf besitzt zusammen die einst größte Großplattenbausiedlung Europas. In einer Sendung von ZDF-History zu Plattenbauten in Ost und West hatte man Bewohner in derartigen Siedlungen befragt mit eigentlich einheitlichen Antworten vor allem der Stammbewohner. Sie fühlen sich wohl. In Marzahn-Hellersdorf gibt es heute auch ein Kompetenzzentrum Großsiedlungen e.V., das sich für die Sanierungen engagiert. Sogar aus Australien, Brasilien und Japan waren Delegationen hier.
Zudem denkt man angesichts der Probleme auf dem Wohnungsmarkt schon lange wieder an die „Großtafelbauweise“ oder „Plattenbauweise“ Übrigens haben wir damals immer gesagt, dass wir eine „Neubauwohnung“ bekommen haben und nicht eine „Plattenbauwohnung“. Ein Blick vom Wolkenhain kann also viele Erkenntnisse bringen.
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