Wer so einen Garten hat, fühlt sich wohl in der Stadt – Mein Einsatz als Volunteerin zur IGA 2017 in Berlin-Marzahn
Bild: Waltraud Käß
von Waltraud Käß
Und Berlin-Marzahn hat ihn, diesen „Garten Eden“, eingebettet zwischen Marzahn und Hellersdorf, zwischen Hochhäusern und Wohnsiedlungen, zwischen dem Angerdorf Marzahn und dem Siedlungsgebiet Biesdorf. Und rundherum und mittendrin kann der Gast, besonders vom Wolkenhain aus, den grünen Charakter des Bezirks bewundern.
Als die Entscheidung fiel, dass die Internationale Gartenausstellung 2017 nicht auf dem Tempelhofer Feld stattfindet, sondern durch landmäßige Erweiterung der Gärten der Welt nach Berlin-Marzahn geholt wird, war ich total begeistert. Obwohl diese Entscheidung mancherorts bei den Anrainern für Unmut sorgte, weil sie diese und jene persönlichen Unannehmlichkeiten wie besetzte Parkplätze, verschandelte Natur durch die Seilbahn und vieles mehr, befürchteten.
Im Nachhinein zeigt sich jedoch, dass es insbesondere die Anrainer und die Bewohner von Marzahn und Hellersdorf waren, die die 33.000 Dauerkarten für die IGA erwarben. Wie oft habe ich einige von ihnen in der Seilbahn angetroffen, die nach einem Rundgang mit Verwandten und Bekannten noch fix mal über das Gelände schweben wollten. Da waren alle Vorbehalte vergessen.
Die Freiwilligenagentur Berlin-Marzahn hatte schon frühzeitig Anzeigen geschaltet, in denen Volunteers (Freiwillige) für einen Einsatz als Gästebetreuer in der Zeit vom 13. April bis 15. Oktober für die IGA gesucht wurden. Und so warteten kurz vor Eröffnung der iga über 200 weibliche und männliche Volunteers auf den Startschuss, darunter auch ich.
Ausgerüstet waren wir mit blau leuchtenden und weiß beschrifteten T-Shirts, Anoraks und Basecaps. In unseren orangefarbenen Umhängetaschen steckte umfängliches Informationsmaterial, u.a. auch ein Stadtführer und ein Informationsheft mit wichtigen Telefonnummern und Aussagen zum Gelände, welches die auch ehrenamtlichen Koordinatoren für die Volunteers erstellt hatten.
Während einer Schulung und einer Geländeführung wurden wir intensiv vorbereitet. Wir waren akkreditiert und konnten uns ausweisen. Und wir waren voller Spannung, voller Freude und Enthusiasmus, der während des gesamten Einsatzes nicht einbrach. Wir wussten, dass wir nicht nur als Ansprechpartner der IGA für die Gäste mit Rat und Tat zur Verfügung stehen sollten. Wir sollten in dieser Funktion auch den Stadtbezirk gegenüber den Gästen präsentieren. Das ist gelungen und wurde in manchen Feedbacks und in den Interviews von über 800 Gästen bestätigt.
Der Wettergott war allerdings nicht so enthusiastisch. Nicht nur der April war stürmisch, regnerisch und nicht gastfreundlich, und als ich meine ersten Gäste am 16. April am Einsatzort Kienbergpark mit den Worten „Herzlich willkommen auf der IGA in Berlin “ begrüßte, zeigten sie nur verdrießlich auf ihre nassen Schuhe oder hoben den Regenschirm zum Gruß. Ich brachte mit klappernden Zähnen, wir hatten 10°C, noch immer ein Lächeln zustande.
Fünf Stunden stand ich bei Regen und Sturm und es war mein härtester Einsatz während der gesamten Zeit. Wohl deshalb war ich an diesem Standort nur zwei Mal. Nach Aussagen des Wetterdienstes hatten wir in Berlin ausgerechnet in diesem Jahr den nassesten Sommer seit der Wetteraufzeichnung. Damit konnte niemand rechnen.
Einsatzorte gab es mehrere. Ich begrüßte die Gäste am Haupteingang Blumberger Damm/Besucherzentrum oder stand an der Seilbahn, informierte die Gäste am Eingang Eisenacher Straße, oder hatte Dienst an den Kienbergterrassen/Horizonte. Drei Mal stand ich auf dem Wolkenhain und einmal am Standort rbb-Radio 88,8. Ein schöner Einsatz, denn an dieser Stelle standen drei große, weiße Leinwände, die in Vorbereitung der Veranstaltung „Kunst des Lachens“ von Kindern bemalt werden sollten.
Und so sind drei wunderschöne Gemälde entstanden, die im Nachhinein für einen guten Zweck versteigert wurden. Die Farbkleckserei hat auch mir Spaß gemacht und ich habe mich mit einem klitzekleinen „Gemälde“ ebenfalls darauf verewigt.
Für die Kinder gab es überhaupt viele Möglichkeiten für Spiel, Sport und Betätigung in der Natur. Tausende von ihnen kamen mit der Familie, als Kita-Gruppen oder Schulklassen aufs Gelände. Auf dem Campus konnten sie Natur pur erfahren. Und sie waren mit Ernst und Eifer bei der Sache.
Wie viele der 1,6 Millionen Gäste, darunter sollen 40% aus ganz Deutschland und Europa gewesen sein, werde ich wohl in meinen 120 Einsatzstunden begrüßt und betreut haben? Es waren Hunderte aus allen Teilen des Landes. Manche haben durch mich hindurch gesehen, als wäre ich aus Glas. Obwohl ich doch so schick und auffallend bekleidet war. Aber das ist verständlich.
Da gibt es in der Gruppe einen gewissen Herdentrieb, und wer auf das Gelände kam und von weitem den großen Lageplan sah, hatte diesen Tunnelblick. Ich konnte ihm helfen, denn ich hatte den „kleinen Lageplan“ zum Mitnehmen für ihn in der Hand. Das war dann mein Auftritt. Obwohl man mich vorher ignoriert hatte, hörte ich dann oft den Satz: „Ach guck mal, hier ist ja jemand, der ist dafür zuständig“. Oder ich sagte in die fragenden Augen am Lageplan: „Ich kann ihnen helfen, das ist hier meine Aufgabe.“ Dann hörte ich: „Ach, jetzt wo Sie das sagen. Kann man Sie ansprechen?“ Natürlich, dafür war ich ja da.
Wer wollte, konnte meine Dienste in Anspruch nehmen, bekam auf alle Fragen eine Antwort. Bei vielen Grüppchen war die Zeit knapp, so dass ich je nach Bedarf eine größere oder kleinere Tour für die Gäste zusammenstellte. War ich mit meinen Erläuterungen fertig, habe ich manchen Dank einkassiert und mancher Daumen wurde mir hoch erhoben gezeigt. Aber besonders erfreut hat mich das Lob eines jungen Mannes.
Ich sprach gerade mit zwei Gästen, meine Stimme war schon etwas angerauht, es ging auf 13.00 Uhr, als er mir von hinten auf die Schulter tippte und sagte: „Sie stehen ja immer noch hier.“ Ich:“ Ja, warum? Haben Sie mich etwa beobachtet?“ „Nein“, sagte er, „ich war heute Morgen um 9.00 Uhr hier, da standen Sie schon. Und jetzt stehen Sie immer noch und geben geduldig Antwort auf alle Fragen. Das finde ich sehr beeindruckend.“ Ich glaube, ich errötete leicht. Wir wurden also wahrgenommen. Doch hier hatte es einer ausgesprochen.
Zwei Ehepaare wollten mich gleich als persönliche Hilfe engagieren, was ich natürlich dankend ablehnen musste. Eines der Ehepaare kam im Trachtenlook, in der Veranstaltungsstätte „Arena“ war Seniorentanz und die Busse voller Gäste kamen aus allen Bundesländern. Mitunter standen 18. 22, 30 oder sogar 57 Busse auf dem Busparkplatz am Kienbergpark.
Ein Ehepaar aus Münster interessierte sich insbesondere für die Entstehung des Stadtbezirks. Ich habe sie sehr neugierig gemacht, so dass sie am nächsten Tag auch das Angerdorf Marzahn besuchen wollten. Sie luden mich ein, mir die Stadt Münster einmal anzuschauen, sie wäre auch sehr schön. Sehr gefreut hat mich aber ihre Aussage zum Stadtbezirk selbst. Denn sie meinten: „Man muss nicht alles glauben, was in der Zeitung steht. Man sollte sich immer selbst überzeugen. Marzahn ist nicht grau und trist, sondern bunt und grün, das gefällt uns sehr.“
Mit einem Herrn aus Tempelhof hatte ich einen Diskurs, sie werden es erraten, über das Tempelhofer Feld, die Entstehung Marzahns, das Leben in der DDR. Er wollte mich wohl testen. Aber am Ende unseres Gesprächs stellte sich heraus, dass er Inhaber einer Dauerkarte war.
Aber natürlich gab es auch ganz praktische Fragen zum Aufenthalt im Gelände: Wie lang ist die Seilbahntrasse? Wieviel Zeit braucht man von einer Endstation zur anderen? Muss ich an der Seilbahn bezahlen? Wie hoch ist der Kienberg? Wie viele Stufen sind es vom Kienberg zum Wuhleteich? Wissen Sie, wie hoch der Wolkenhain ist? Wo kann man denn hier Mittag essen? Wie komme ich zur Sommerrodelbahn? Was bleibt später von dem Gelände zugänglich?
Was kostet die Unterhaltung des Geländes? Wie komme ich zum chinesischen Garten? Wo ist der Waldspielplatz? Heute soll Musik auf dem Gelände sein, wissen Sie wo? Welches ist der neue und der alte Teil des Geländes? Wie groß ist überhaupt die Fläche? Was für eine Ausstellung ist in der Blumenhalle? Wo sind die städtischen Gärten? Wann fahren die Shuttle-Busse?
Die originellste Frage stellte eine Besucherin. Sie kam von der U-Bahn Kienbergpark/Gärten der Welt und wollte wissen: Warum muss man von der U-Bahn kommend die Hellersdorfer Straße überqueren, um zur IGA zu kommen. Hätte man nicht einen Tunnel zur anderen Straßenseite führen können? Sicher, nichts ist unmöööglich.
Das ist nur eine kleine Auswahl der Fragen, die ständig zu beantworten waren. Das bedeutete aber, dass ich mit jedem Einsatz auf dem aktuellsten Stand des Tages sein musste. Die Koordinatoren haben ihr Bestes und uns alle Informationen mit Beginn des Einsatzes gegeben.
Nie habe ich böse Worte gehört, sondern nur begeisterte Einschätzungen von den Gästen, die die Gartenausstellung verließen, wenn ich ihnen einen guten Heimweg wünschte. Die Seilbahn, die internationalen Gartenkabinette, die vielen unterschiedlichen Gärten, die Blumenhalle, die grenzenlose Aussicht vom Wolkenhain und die vielfältigen Bepflanzungen hatten es ihnen besonders angetan.
Als Helfer in der Not wurde ich einige Male in Anspruch genommen. Einen jungen Mann musste ich zum Sanitätsstandort an der Arena begleiten. Er wurde schon am frühen Morgen von einer ausgeprägten Halssteifigkeit und Kopfschmerzen geplagt.
Ein zweijähriges Kind war unbeobachtet von den Großeltern ins Wasser in den Wassergärten geplumpst. Die Sanitäter kamen mit Wärmedecke schnell ins Besucherzentrum. Oma fuhr dann mit dem nackten kleinen Kerl, eingehüllt in seine Wärmedecke, mit dem Taxi nach Hause. Der Opa musste leider mit dem öffentlichen Nahverkehr hinterher fahren, denn der Kinderwagen passte nicht in das Taxi.
Auf dem Kienberg hatte ein älterer Herr große Kreislaufprobleme. Lag es daran, dass ihm auf dem Gelände die Frau abhanden gekommen war? Die Sanitäter holten ihn zum Stützpunkt. Es rächt sich halt, wenn man nicht mehr Händchen haltend so ein Gelände durchstreift. Ich hoffe, dass sie sich bei der Abfahrt des Busses wiedergetroffen haben.
Der Dame mit dem gebrochenen und geschienten Bein konnte ich auch helfen. Am Eingang Blumberger Damm waren die Rollstühle leider alle reserviert. Über das Besucherzentrum orderte ich ein Elektrofahrzeug, mit dem die Dame zum Eingang Eisenacher Straße und wieder zurückgefahren wurde, um sich dort einen Rollstuhl abzuholen. Ich traf diese Gäste dann noch zweimal auf dem Gelände. Sie waren munter unterwegs.
Beim vorletzten Einsatz begleitete mich ein Kollege zum Einsatzort Horizonte. Wir kamen an diesem Tag mit einigen Gästen ins Gespräch, u.a. mit einem Ehepaar aus Blankenburg im Harz. Der ältere Herr begrüßte uns mit Handschlag, und es entspann sich folgender Dialog: „Wir sind aus Blankenburg im Harz, bei Bekannten zu Besuch und heute den zweiten Tag auf der IGA.“ Mein Kollege: „Ach, ich bin auch aus Blankenburg, dort geboren, wohne aber schon vierzig Jahre in Berlin.“ Der ältere Herr: „Ich heiße – er nannte seinen Namen- und wie heißen Sie?“ Mein Kollege: „Ich heiße -er nannte seinen Namen-.“ „Na sowas“, meinte der ältere Herr, „da kenne ich ja Ihren Vater und Sie auch. Ihr Vater war doch der Bahnhofsvorsteher von Blankenburg.
Er kam immer mit seiner roten Mütze zu mir in den Friseurladen, ich musste ihm sein Toupet richten, darauf legte er großen Wert. Manchmal hatte er Sie an der Hand.“ Mein Kollege hob seine Mütze, da war kein Toupet, aber auch keine Haare. Allgemeines Gelächter, welches in eine weitere, launige Unterhaltung mündete. So klein ist die Welt.
Insgesamt habe ich eine wunderschöne Zeit auf der iga verbracht. Neben den Einsätzen haben wir mit einer Grillparty, einem selbst gestalteten Picknick zur Halbzeit mit der Park-Band und einer Schnitzeljagd für Erwachsene uns selbst gefeiert. Und wir waren zum 100-Tage-Fest gemeinsam mit den iga-Mitarbeitern eingeladen. Die Leitung der iga hat sich auch sehr großzügig gegenüber den Volunteers verhalten. Für viele Veranstaltungen bekamen wir Freikarten und es war toll, die Tausende von Menschen zu sehen, die begeistert am Konzert von Daniel Barenboim teilnahmen, die „Die Prinzen“ begeistert feierten oder auch „Elvis- Stars im Concert.“ Bleibende Erinnerungen.
Was mache ich im nächsten Sommer? Ich kaufe mir bestimmt eine Dauerkarte für die „Gärten der Welt“, denn bis zur BUGA 2019 in Heilbronn dauert es mir zu lange.
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