Fremd in einem anderen Land – oder – Wenn man nicht dazu gehört…
Bild: Bernd Wachtmeister / www.pixelio.de
von Waltraud Käß
Dieser Gedanke ging mir durch den Kopf, als ich den inhalts- und lehrreichen Vorträgen im Rahmen des Tages der Regional- und Heimatgeschichte am 10.10. 2015 in Marzahn-Hellersdorf lauschte. Erinnerungen an die Flucht aus dem ehemaligen Schlesien im Jahre 1945, die ich als Kind erlebte, stiegen in mir auf.
Es war eine Nacht im Januar und das Thermometer war bei -20° C stehen geblieben…Wie findet man sich zurecht in einem fremden Land, und wie lange dauert es, bis man wirklich ankommt?
Initiator dieses „Tages der Regional- und Heimatgeschichte“, der regelmäßig jedes Jahr durchgeführt wird, war der Heimatverein Marzahn-Hellersdorf e.V. in Zusammenarbeit mit dem Bezirksmuseum Berlin-Marzahn. Das Thema „Besiedlung, Bevölkerung, Migration“ gab bereits den Hinweis auf die Bandbreite der zu erwartenden Informationen aus Vergangenheit und Gegenwart.
Die Bezirksstadträtin für Gesundheit und Soziales des Bezirks Marzahn-Hellersdorf von Berlin, Frau Dagmar Pohle, gab gleich zu Beginn einen Überblick über die Anzahl und Situation der Flüchtlinge und Asylsuchenden im Bezirk. Gegenwärtig befinden sich in vier Unterkünften etwa 2500 Schutz suchende Menschen, das macht etwa 1% der Bevölkerung des Bezirks aus.
Sie informierte, ebenso wie Frau Dr. Schilling, über die große Hilfsbereitschaft und Solidarität der Einwohner, wusste aber auch zu berichten, dass es andererseits einer großen Wachsamkeit bedarf, um diese Menschen vor hasserfüllten Angriffen zu schützen. Brandstifter, die auch den Tod von Asylbewerbern billigend in Kauf nehmen, müssen hart bestraft werden.
Die Sorgen der Menschen, ob das Land, die Stadt, der Bezirk, mit dieser Situation fertig werden können, sind bekannt und werden auch ernst genommen. Deswegen bedarf es einer ständigen Aufklärung und Vermittlung von Informationen an die Bevölkerung. Ich schätze ein, dass sich alle Teilnehmer darüber einig waren, dass es dabei insbesondere um die Aufdeckung der wahren Ursachen dieser gegenwärtigen Fluchtbewegungen und ihre Bekämpfung am Ursprungsort geht.
Die einführenden Worte des Vorsitzenden des Heimatvereins, Herrn Wolfgang Brauer: „ Es ist wichtig, den Blick auf die Geschichte zu richten, da relativiert sich vieles…“ standen sozusagen als Motto über der Veranstaltung, denn ähnliche Herausforderungen gibt es in der Geschichte immer wieder. Drei Vorträge möchte ich besonders hervorheben.
Erinnern wir uns an das Ende des 2. Weltkriegs in Europa, den Deutschland angezettelt hatte.
Was Menschen zu leisten imstande sind, zeigte der Vortrag von Prof. Jürgen Hofmann mit dem Thema „Heimatverlust und Neuanfang 1945/46“. Im Jahre 1945 bewegten sich innerhalb Europas 25 Millionen Menschen auf der Suche nach einer neuen, oder auch nach ihrer alten Heimstatt. Die Bedingungen waren äußerst kompliziert, denn der größte Teil der Infrastruktur war zerschlagen oder funktionierte nur noch halbwegs.
Deutschland war in vier Zonen aufgeteilt. Die minimalste Infrastruktur besaß die britische und die sowjetische Besatzungszone. Jeder 5. Einwohner der sowjetischen Besatzungszone, also 20%, war ein Flüchtling oder Umsiedler. Dazu kamen die Kriegsgefangenen, die Zwangsarbeiter, traumatisierte Kinder ohne Eltern…
Alle brauchten ein Dach über dem Kopf, sie wollten ihren Hunger stillen und es musste eine ärztliche Versorgung aufgebaut werden. Allein in Berlin befanden sich im Juli 1945 über eine halbe Million Flüchtlinge in der Stadt. Typhus, Ruhr, G-Krankheiten, Läuse und andere Krankheiten grassierten. Notkrankenhäuser mussten eingerichtet und Quarantänebedingungen geschaffen werden.
Die einheimische Bevölkerung reagierte mit Solidarität und Widerstand. Der Widerstand damals war verständlich, denn fast alle waren gleich arm. Aber die materiellen und finanziellen Bedingungen von damals und heute unterscheiden sich doch gravierend. Vielleicht erinnern sich ehemalige Flüchtlinge heute daran, wie dankbar sie damals für jede kleine Hilfestellung waren.
Herr Alexander Reiser ist ein Spätaussiedler, ein so genannter Russland-Deutscher. Er erinnerte in seinem Vortrag daran, dass es im 19. Jahrhundert viele deutsche Aussiedler ins russische Zarenreich zog. Man bot ihnen Land und die Möglichkeit, sich eine Existenz aufzubauen. Im Jahre 1881 bestand die Elite des russischen Imperiums in hohem Maße aus Deutschen. Sie kamen zu Wohlstand und Ansehen.
Das änderte sich jedoch mit dem Ende des 1. Weltkriegs, die Stimmung schlug um. Im 2. Weltkrieg wurden die „ehemaligen Deutschen“ nach einem Erlass des Obersten Sowjets der Sowjetunion nach Sibirien und Mittelasien umgesiedelt. Die Angst vor Kollaborateuren und vor der Zusammenarbeit mit der deutschen Wehrmacht war groß. Geschätzt wird, dass in der Sowjetunion etwa 2 Mill. Deutsche lebten.
Aus dem Artikel 116 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland „Deutscher im Sinne dieses GG ist vorbehaltlich anderer gesetzlicher Regelungen, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder als Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31.12. 1937 Aufnahme gefunden hat“ wurde ein Rechtsanspruch abgeleitet, um diese so genannten Russland-Deutschen in die Bundesrepublik zu holen.
Dieser Aufgabe widmete sich nach 1990 die damalige Regierung Kohl mit Hingabe. Und so kam es, dass für die Jahre zwischen 1992 – 1996 die höchsten Zuwanderungsquoten der so genannten „Russland-Deutschen“ zu verzeichnen sind. Auch im Bezirk Marzahn–Hellersdorf leben über 30 000 von ihnen, die inzwischen gut integriert sind.
Eine große Gruppe von Menschen, die bis zum Jahre 1989/90 auf dem Gebiet der DDR lebten und arbeiteten, waren die vietnamesischen Vertragsarbeiter. Die DDR deckte mit ihnen einen großen Bedarf an Arbeitskräften vor allem in der Leichtindustrie und im Dienstleistungssektor.
Andererseits war die Republik Vietnam daran interessiert, diese Arbeitskräfte zu exportieren, um mit den Erlösen Schulden abzubauen, denn das Land war ausgeblutet und arm. In der Regel blieben diese Arbeitskräfte im Rotationsprinzip etwa drei bis maximal fünf Jahre. Für sie erfolgte mit dem Umbruch der soziale Einbruch. Es bestand ab dem 3.10.1990 ein vertragsloser Zustand.
Erst im Jahre 1997 erhielten die Menschen, die nicht zurück wollten oder konnten, ein Bleiberecht in der Bundesrepublik und konnten damit auch sozial abgesichert werden. Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf leben viele vietnamesische Familien, inzwischen schon mit der nächsten Generation, im Stadtbild ist es an den jungen Frauen mit ihren Kindern zu erkennen. Inzwischen fühlen sie sich zugehörig, haben Nischen im Arbeitssektor gefunden. Wiederum ein Beleg dafür, was eine Gesellschaft zu leisten imstande ist.
Das Land und die Stadt Berlin haben im Laufe der Jahrtausende/Jahrhunderte eine multi-kulturelle Entwicklung genommen. Germanen, Slawen, Flamen, Holländer, Hugenotten und Pfälzer, Polen, Tschechen, Slowaken, Ungarn und andere Nationalitäten gehören zu ihrer Stammbevölkerung. Viele Beweise dafür sind in den etwa 2000 Ausgrabungsstätten im Raum Berlin zu finden, wie man aus dem Vortrag von Herrn Michas vom Landesdenkmalamt lernen konnte.
Eindrucksvoll ist diese Entwicklung im Märkischen Museum in Berlin dokumentiert. Alle haben ihre eigene Sprache, ihre Sitten und Gebräuche, auch ihre Religionen mit eingebracht. Im 20. Jahrhundert kamen als Gastarbeiter Griechen, Spanier, Italiener, Türken, Jugoslawen, Chinesen und so weiter und so fort ins Land, sind geblieben und haben die kulturelle Vielfalt wiederum bereichert. Von allem leben Deutschland und diese Stadt Berlin in ihrer Vielfalt noch immer.
Woher also kommt diese Angst vor „dem Fremden“ in der Wahrnehmung der Bürger bzw. woher kommt der Hass auf „den Fremden“?
Der Heimatverein Marzahn-Hellersdorf wird zu diesem Tag der Regional- und Heimatgeschichte ein weiteres Heft seiner Beiträge mit allen Vorträgen zu diesem Thema herausgeben. Einzelheiten können über die Homepage des Vereins unter www.heimatverein-marzahn.de erfragt werden.
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