Am 1. Oktober 2024 luden Berliner Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (SenMVKU) und Architektenkammer Berlin (AK Berlin) zum Fachdialog „Zirkulär Planen und Bauen – Instandhaltung, Bestandsertüchtigung und Umbaukultur“ ein. Mit über 150 Teilnehmenden stieß die Veranstaltung auf großes Interesse. In Vorträgen aus Wissenschaft und Praxis wurden Bestandserhalt, selektiver Rückbau und Wiederverwendung sowie klima- und ressourcenschonende Baustoffe diskutiert. Diese Themenfelder wurden anhand zahlreicher praktischer und wissenschaftlicher Projekte und Erfahrungsberichte veranschaulicht.
Auf die Begrüßung durch das ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg gGmbH schlossen sich Grußworte von Dr. Benjamin Bongardt (Leiter des Referats I B – Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung, umweltfreundliche Beschaffung, Stadtsauberkeit der SenMVKU) und Theresa Keilhacker (Präsidentin der AK Berlin) an, in denen die Bedeutung des zirkulären Bauens für die nachhaltige Entwicklung des Gebäudebestands dargelegt wurde. Ein Leitfaden zum zirkulären Bauen wird in Kürze über die Architektenkammer Berlin veröffentlicht (Anmeldung zum Newsletter hier).
In einem Einführungsvortrag wies eine Vertreterin der Bundesstiftung Baukultur auf das Ziel des Bestandserhalts hin und führte aus, dass zwar knapp 2 Millionen Wohnungen leer stünden, diese aber nicht notwendigerweise dort stünden, wo sie gebraucht würden. Die steigende Tendenz des Büroleerstandes berge ebenfalls grundsätzlich ein Potenzial zur Schaffung von Wohnraum. Es brauche daher eine Gesamtstrategie, die z.B. die Digitalisierung der Informationen zum Gebäudebestand mit dem Ziel der Wissensvermittlung und ein kommunales Management – z. B. nach Vorbild der Leerstandslotsen in Thüringen – beinhalten sollte.
Ein Vertreter der Senatsumweltverwaltung stellte das VwVBU-Leistungsblatt 35 (PDF; 47 KB) als praktisches Vergabetool für Aufträge zur Planung und den zirkulären Rückbau von Gebäuden vor. Er umriss die Rechtsgrundlagen der umweltfreundlichen Beschaffung des Landes Berlin. Das Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz verpflichtet öffentliche Auftraggebende zur möglichst umweltschonenden Form der Bedarfsdeckung. Dies beinhaltet neben dem Vorrang der Sanierung und des Umbaus von Bestandsgebäuden gegenüber deren Ersatzneubau beispielsweise das wiederverwendungs- und recyclinggerechte neu Bauen, den Einsatz möglichst umweltschonender Konstruktionsweisen und Baustoffe sowie die gezielte Wiedergewinnung von Bauteilen und Baustoffen aus Rückbauvorhaben.
Ein Vertreter der GSU mbH stellte daraufhin den im Juli 2024 vorgestellten Berliner Leitfaden zur Erstellung eines Rückbau- und Entsorgungskonzeptes vor. Ziele des Leitfadens sind u.a. die Standardisierung des Aufbaus der Rückbaukonzepte und der Datenerfassung, die Unterstützung des selektiven Rückbaus und das Generieren möglichst sortenreiner Abfallströme für eine hochwertige stoffliche Verwertung. Anlage A zum Leitfaden enthält eine Mustergliederung für Rückbau- und Entsorgungskonzepte, Anlage B eine Ausfüllhilfe zum Rückbau- und Entsorgungskonzept, Anlage C Angaben zum Bauteil- und Entsorgungskataster und Anlage D eine Checkliste für Rückbau- und Entsorgungskonzepte.
Im darauf folgenden Vortrag stellte eine Vertreterin der BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH anschaulich dar, wie die Wiederverwendung von Bauteilen in der betriebseigenen Bauteilbörse organisiert ist. Um werthaltige Baustoffe weiterhin zu nutzen, Entsorgungskosten zu senken und bei Bauprojekten auf geeignete Teile aus eigenen Beständen zurück greifen zu können, wird ein vorbildhaftes System betrieben, das für die Beteiligten sowohl das Aufkommen transparent macht, als auch die effiziente Vermittlung in passende Projekte ermöglicht. Grundlage für die Wiederverwendung ist u. a. ein Rückbaukonzept, welches hier regulär im Laufe der Leistungsphase 2 eines Rückbauvorhabens erstellt wird.
Anschließend stellte ein Vertreter der Universität der Künste Berlin sowie der BTU Cottbus die Forschungsprojekte „Abbau Aufbau und „ReCreate vor, in denen zirkuläre Bauweisen für Stahlbetonelemente aus dem Gebäuderückbau erforscht werden. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand können durch die Bauteilwiederverwendung gegenüber einem konventionellen Neubau in Stahlbetonbauweise ca. 36 % der Treibhausgasemissionen und ca. 33 % der benötigten Primärressourcen eingespart werden. Die Planungskosten des selektiven Rückbaus liegen höher als beim konventionellen Abbruch, allerdings verringern sich dagegen Entsorgungskosten, es können werthaltige Bauteile und Sekundärrohstoffe gewonnen und externe Umweltkosten vermieden werden, die ansonsten die Gesellschaft als Ganze zu tragen hätte.
Daraufhin ging ein Vertreter des Unternehmens Concular auf zahlreiche konkrete Beispiele für die erfolgreiche Wiederverwendung großer Mengen unterschiedlicher Bauteile und Baustoffe aus verschiedenen Um-, Rück- und weiteren Bauprojekten ein. Die bereits bestehende gesetzliche Verankerung des zirkulären (Um-)Bauens wurde ebenso wie die konkrete Funktionsweise des zirkulären Geschäftsmodells der Bauteilvermittlung beleuchtet. Die Entwicklung mündete bereits in die Eröffnung sogenannter „Urban Mining Hubs“ also ReUse-Baumärkte oder Bauteilbörsen, d. h. Umschlagsorten für wiederzuverwendende Baustoffe und Materialien in Berlin (2023), Hamburg, Frankfurt, München und Stuttgart (je 2024) sowie in Kürze Düsseldorf.
Von besonderem Interesse in der nachfolgenden Diskussion war die Verfügbarkeit einer Versicherungslösung für wiederverwendete Baumaterialien. Ferner wurde die Einführung der Gebäudeklasse E als wesentlicher Baustein für den Bestandserhalt und das innovative Bauen adressiert. Verfügbare Fachgutachterinnen und Fachgutachter zur Erstellung von Rückbaukonzepten seien derzeit stark ausgelastet, weshalb sich eine frühzeitige Beauftragung empfehle. Die herausragende Bedeutung der Überzeugung der Bauherrenschaft für das zirkuläre Bauen trat in der Diskussion immer wieder zu Tage. Als Unterstützung für die Beratung von Bauherren zum zirkulären Bauen wurde auf den Leitfaden des Landes Baden-Württemberg zum Thema verwiesen.
Ein Vertreter des Instituts Wohnen und Umwelt GmbH stellte daraufhin das Forschungsprojekt „LezBAU – Lebenszyklus-Bilanzierung in frühen Bauplanungsphasen zur Analyse von Umweltauswirkungen vor. Darin wird ein möglichst einfach zu nutzendes Ökobilanz-Tool für frühe Planungsphasen entwickelt, welches sich speziell an Bauherren, Architektinnen und Architekten kleinerer Projekte richtet, die nicht über das zeitliche und finanzielle Budget verfügen, um in ihrer Planung eine Ökobilanz durchzuführen und zu berücksichtigen. Das Tool soll Ende 2025 / Anfang 2026 öffentlich zur Verfügung gestellt werden und helfen, dem großen Einfluss der frühen Bauplanungsphasen auf das Treibhausgasvermeidungspotenzial Rechnung zu tragen.
Zwei Vertreter des Büros gmp – Architekten von Gerkan, Marg und Partner berichteten anschaulich über die weitgehend substanzerhaltende Sanierung und Erweiterung des Pressehauses am Alexanderplatz und des Hochhauses der Deutschen Rentenversicherung am Berliner Hohenzollerndamm. Bei der Sanierung des Pressehauses wurde Betonbruch vor Ort aufbereitet und wieder eingesetzt. Innerhalb nur eines Jahres Planung und eines Jahres Baumaßnahme musste ein sehr enger Zeitplan eingehalten werden. Dem Silberturm der Deutschen Rentenversicherung wurde 2010 die Betriebsgenehmigung entzogen. Zunächst wurde gmp mit einer Studie zu Erhalt und Sanierung des Silberturms beauftragt. Ergebnis der Studie war, dass die Erfüllung bestehender Anforderungen unter Weiternutzung des Altbaus möglich ist. Die Details der späteren Umsetzung wurden dargestellt.
Eine Vertreterin des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes erklärte, wie CO2-arme Baustoffe vergaberechtskonform öffentlich beschafft werden können. Die nachhaltige Beschaffung ist Grundbestandteil öffentlicher und insb. kommunaler Nachhaltigkeitskonzepte und hat das Potenzial, maßgeblich zum Erreichen von Klimaschutzzielen beizutragen. Die Möglichkeit des Einsatzes eines CO2-Schattenpreises bei der öffentlichen Beschaffung wurde aufgrund einer jüngst dazu erschienenen Studie erläutert. Umweltproduktdeklarationen (EPDs) bilden eine wesentliche Datengrundlage für ökologische Produktbeschreibungen über den gesamten Lebenszyklus von Bauprodukten und Gebäuden. Sie können als belastbare Produktinformation für Nachweise bestimmter Umwelteigenschaften eines Produkts auch in der öffentlichen Beschaffung genutzt werden.
Ein Vertreter von natureplus e.V. ging detailliert darauf ein, wie nachhaltige Bauprodukte sicher erkannt und eingesetzt werden können. Der ‚graue Anteil‘ des Gebäudelebenszyklus, also der Material- und Energieeinsatz, der nicht direkt zur Nutzung gehört, wird mit steigender Gebäudeeffizienz weiter an Bedeutung gewinnen. Auf die wesentlichen großen vier Nachhaltigkeits-Zertifizierungssysteme für Gebäude in Deutschland – LEED, BREEAM, DGNB und BNB, evtl. in Verbindung mit QNG – wurde verwiesen. Umweltlabel für Bauprodukte werden gem. DIN EN ISO 14024 in drei Typen unterschieden. Typ 1 basiert auf einer qualitativen Umweltbewertung durch unabhängige Dritte. Typ 2 umfasst umweltbezogene Produktdeklarationen durch Hersteller und Typ 3 bietet eine belastbare, wertungsfreie quantitative Erfassung von Umweltdaten eines Produkts, bestätigt durch unabhängige Dritte.
Ein Vertreter der CEMEX Deutschland AG referierte über wegweisende Produktentwicklungen im Bereich ressourcenschonender und CO2-armer Betone sowie die Herausforderungen und Chancen zirkulärer Beton-Baustoffe. Durch selektiven Rückbau und das Brechen des Altbetons kann hochwertige rezyklierte Gesteinskörnung gewonnen werden, die allen bestehenden bautechnischen Anforderungen entspricht. Die Qualität der eingesetzten Gesteins-Körnung sekundären Ursprungs wird, wie bei natürlicher Gesteinskörnung auch, regelmäßig überwacht, entspricht dem anwendbaren Normenwerk und ist CE-zertifiziert. Durch die innovative Beaufschlagung der rezyklierten Gesteinskörnung mit CO2 kann letzteres durch Carbonatisierung ferner permanent gebunden werden.
Ein Vertreter der alcemy GmbH berichtete über die Möglichkeiten und konkrete Ansätze des Qualitätsmanagements für CO2-arme Betone. Mittels einer beispielhaft vorgestellten Softwarelösung für Zement- und Transportbetonwerke lassen sich vielfältige technische Daten erheben, die neben der Nutzung im Bereich des Qualitätsmanagements auch die Optimierung wesentlicher Umwelteigenschaften der Baustoffe ermöglichen. Bei der Nutzung von Recyclingmaterial und klinkerarmen Zementen sind die Betone sensibler bezüglich ihres Wasserhaushalts, weshalb hier eine lückenlose Qualitätsüberwachung an Bedeutung gewinnt. Die Dekarbonisierung besitzt in der Zementindustrie eine sehr hohe Priorität und bei entsprechenden Vorgaben der Abnehmer können besonders CO2-arme Baustoffe bereitgestellt werden.
Ein Vertreter des ifeu Instituts stellte in einem Vortrag das Forschungsprojekt „CORE – CO2-reduzierter R-Beton – Phase 3 vor. In diesem durch SenMVKU geförderten Vorhaben zum Einsatz CO2-reduzierter Betone werden die Beaufschlagung rezyklierter Gesteinskörnung mit CO2, die Potenziale zur langfristigen Speicherung sowie zur Bindemittelreduzierung weiter untersucht. Das Projekt umfasst die (Weiter-)Entwicklung geeigneter Betonrezepturen und die Erprobung im einem realem Bauprojekt. Durch Ökobilanzierung werden die ökologischen Vor- und Nachteile quantifiziert.
In der anschließenden Diskussion wurden die vorgetragenen Themen weiter vertieft. Der CO2-Schattenpreis ist zwar noch nicht in der breiten Anwendung angelangt, wurde aber für Ausschreibungen bei Baumaßnahmen betreffend Liegenschaften des Landes Baden-Württemberg bereits eingeführt. Das bedeutet, dass im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsberechnungen zu Neubauten oder Sanierungen ein rechnerischer Preis für jede über den Lebenszyklus der Maßnahme entstehende Tonne Kohlenstoffdioxid veranschlagt werden muss. Der Schattenpreis muss zusätzlich auch bei Beschaffungen durch das Land angewendet werden. Es wurde ferner deutlich, dass bei der industriellen Carbonatisierung bis zu ca. 20 kg CO2 pro Tonne Brechsand gespeichert werden können. Das theoretische Potenzial liege noch deutlich höher. Die Transportwege wurden als relevanter Parameter bei der Verwertung von Beton und Bauschutt diskutiert. In der Stadt Zürich müsse daher z. B. R-Beton eingesetzt werden, wenn dieser in einem Radius von 25 km verfügbar ist.
Im Schlusswort fasste SenMVKU die wesentlichen Punkte der Veranstaltung zusammen und wies auf das Exkursionsangebot hin, das es den Teilnehmenden ermöglichte, zur weiteren Veranschaulichung der beim Fachdialog diskutierten Inhalte Vorort entsprechende gute Praxisbeispiele für zirkuläres Planen und Bauen in Augenschein zu nehmen.
So wurde als erste Exkursion in Kooperation mit dem Architekturbüro gpm eine Führung durch das Pressehaus am Alexanderplatz angeboten. Anfang der Siebziger Jahre als Konkurrent zum Axel-Springer-Hochhaus errichtet, wurden das Pressehaus und das ehemalige Pressecafé in den letzten Jahren aufwändig saniert und erweitert. Dabei wurde dem Gebäude die originale, denkmalgeschützte Fassadenstruktur wieder zurückgegeben. Der neu errichtete Bürokomplex fügt sich in die Bestandsgebäude so ein, dass der Charakter der Denkmäler erhalten geblieben ist.
Die zweite Exkursion führte in das Dachgeschoss Reichsstraße 108 in Berlin. Im Dachgeschoss einer mehr als hundert Jahre alten Wohn- und Gewerbeimmobilie wurde ein zeitgemäßer, baubiologisch und energetisch optimierter Ausbau realisiert. So entstanden zwei Dachgeschosswohnungen, deren Nutzungskonzept flexibel angepasst werden kann. Verwendet wurden fast ausschließlich Naturbaustoffe wie Strohwandpaneele, Sumpfkalkfarbe, Korkschrotplatten sowie Hanf- und Zellulosedämmung. Die Raumluftfeuchte wird durch Lehm- und Kalkputz optimiert. Die Spreeplan Projekt UG erläuterte vor Ort wie gesundes und nachhaltiges Planen und Bauen gelingt und warum es nicht teurer ist als ein konventionell geplantes Bauvorhaben.