Wechselseitig erzählt die kaum bekannte Geschichte jener Menschen, die von der Bundesrepublik in die DDR übersiedelten. Erstmalig befasst sich eine Ausstellung ausschließlich mit dieser Facette deutsch-deutscher Migrationsgeschichte. Die Erinnerung an die fast vier Millionen Menschen, die den umgekehrten Weg aus der DDR in die Bundesrepublik gingen, ist fest im gesellschaftlichen Gedächtnis verankert. Geht es um Migration in die DDR, denken viele am ehesten an die Vertragsarbeiter aus den sozialistischen „Bruderstaaten“, vor allem aus Vietnam. Die meisten der etwa 500.000 Menschen, die von der Bundesrepublik in die DDR einwanderten, wechselten vor dem Mauerbau 1961 von West nach Ost. Nur eine Minderheit wählte diesen Weg aus politischer Überzeugung. Die meisten Übersiedler kehrten zurück zu ihren Familien und Freunden, hatten sich verliebt, flohen vor Strafverfolgung, folgten dem Ruf der Kirchen, suchten Arbeit, ein besseres Leben oder einen persönlichen Neuanfang: Migration als Normalfall der Geschichte. Erst der Kalte Krieg mit seiner Systemkonkurrenz zwischen Ost und West macht diese Migrationsgeschichten zu etwas Besonderem.
Wechselseitig lässt diesen Aspekt der deutsch-deutschen Geschichte am Beispiel der Lebenswege von mehr als 20 prominenten und unbekannten Übersiedlern lebendig werden. Diese Frauen und Männer wechselten seit den 1950er Jahren bis in die späten Achtziger über die innerdeutsche Grenze. Ihnen erging es recht unterschiedlich, das Spektrum der Lebensgeschichten reicht von einem erfüllten und zufriedenen Leben in der DDR über Bespitzelung im Alltag bis hin zu Haft, Flucht und Tod.
Wechselseitig hat auch eine regionale Komponente. Eines der Aufnahmeheime für Übersiedler aus der Bundesrepublik in die DDR befand sich im Norden des heutigen Stadtbezirks Pankow in Berlin-Blankenfelde. Bis in die 1970er Jahre waren die Baracken in der Blankenfelder Chaussee ein Ort, an dem Rückkehrer und Zuwanderer von den Behörden der DDR überprüft und befragt wurden. Wie in den anderen Aufnahmeheimen der DDR mussten sie oft wochenlang auf die Entscheidung warten, ob sie in der DDR bleiben oder in den Westen zurückkehren mussten. Unter den Heiminsassen befanden sich Deserteure der Bundeswehr, wie der in der Ausstellung porträtierte Arnold Schölzel, aber auch der spätere Schlagerstar Achim Mentzel – er war 1973 nach einem Auftritt im Westen geblieben kehrte nach wenigen Monaten wieder in die DDR zurück – sowie viele unbekannte Frauen und Männer.
Eine Wanderausstellung in Deutsch und Englisch von exhibeo e.V. – Gesellschaft für politische, kulturelle und historische Forschung und Bildung, realisiert in Kooperation mit der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde – Stiftung Berliner Mauer