Ernst-Thälmann-Denkmal – historisch kritische Kommentierung

Denkmalplatz Greifswalder Straße 52, 10405 Berlin

Die Hauptzufahrt zum Werksgelände an der Dimitroffstraße (seit 1995 Danziger Straße) um 1982

Die Hauptzufahrt zum Werksgelände an der Danziger Straße um 1982. Die Gebäude im Vordergrund sind die einzig erhaltenen. Sie werden seit 1986 und bis heute als kulturelle Einrichtungen genutzt. Links im Hintergrund eines der drei Gasometer.

Das Gaswerk

Der Ernst-Thälmann-Park entstand auf dem Gelände eines still­ge­legten Gas­werks. Ab 1873 produzierte die IV. Städtische Gas­anstalt Gas für Be­leuchtung sowie für indu­strielle und private Zwecke. Die Gas- und Koks­er­zeugung be­ein­trächtig­te durch Staub- und Ruß­ent­wicklung sowie Geruchs­be­lästi­gung die Wohn- und Lebens­qualität der Be­wohner:innen in der Um­gebung er­heblich. Die Umstellung Ost-Berlins auf Erd­gas­ver­sorgung ab 1979 er­möglichte die Still­legung des ver­alteten Werkes im Mai 1981.

Gasometer, Sprengung am 28. Juli 1984

Das Fotografieren und Filmen der Sprengung am 28. Juli 1984 war verboten. Dennoch gelang es vielen Bürger:innen, Fotos und Filmaufnahmen zu machen.

Die drei zwischen 1889 und 1900 er­richteten und weit­hin sicht­baren Gas­be­hälter waren ein Wahr­zeichen von Prenzlauer Berg. Für ihren Erhalt ent­wickelte das Büro für Städte­bau beim Ost-Berliner Magistrat Anfang der 1980er-Jahre Pläne für eine Nach­nutzung und für ein Kultur­haus.

Dem entgegen ließ die SED-Führung die Gasometer am 28. Juli 1984 sprengen. Dies wurde mit an­geb­licher Bau­fällig­keit und Schad­stoff­be­lastung be­gründet.

Eingaben, Bürger:innen­proteste, Flug­blätter gegen die Zer­störung der Gaso­meter blieben erfolglos. Sie wurden mit Re­pressio­nen und Ver­haf­tun­gen bestraft. Zudem verlegte die Staats­führung den Termin der Spren­gung der Gas­be­hälter vor. Polizist:innen schirmten das an­gren­zende Gebiet weit­räumig ab und ver­suchten, das Foto­gra­fieren und Filmen zu ver­hindern. Die Spren­gung der Gaso­meter be­förderte den Ver­trauens­verlust in die Politik der SED-Führung. Am Ort eines der ge­sprengten Gaso­meter ent­stand 1987 das Zeiss-Groß­planetarium als größter Kuppel­bau in der DDR.

Gestalterische Schwerpunkte der Parkanlage waren neben dem zentralen Denkmal ein Teich mit Rhododendronhain, ein Rosengarten und Spielplätze. Blick auf das Areal, um 1986.

Gestalterische Schwerpunkte der Parkanlage waren neben dem zentralen Denkmal ein Teich mit Rhododendronhain, ein Rosengarten und Spielplätze. Blick auf das Areal, um 1986.

Der Ernst-Thälmann-Park

Der Park, die Wohn­bauten und das für die Gesamt­an­lage zentrale Ernst-Thälmann-Denk­mal waren für die SED-Führung ein Projekt mit Symbol­wert. Gebaut wurden sie vom Wohnungs­bau­kombinat Berlin unter der Leitung des Architekten Helmut Stingl. Beim Ost-Berliner Wohnungs­bau der 1970er- und 1980er-Jahre dominierte der Platten­bautyp WBS 70 (Wohnungs­bauserie 70), der auch hier zum Ein­satz kam. Die zwölf- bis acht­zehn­stöckigen Punkt­hoch­häuser wurden hin­gegen eigens für den Ernst-Thälmann-Park ent­worfen.

WBS 70 mit verglasten Loggien und mit als neuntes Geschoss aufgesetzten Maisonette-Wohnungen.

WBS 70 mit verglasten Loggien und mit als neuntes Geschoss aufgesetzten Maisonette-Wohnungen. Die Bauten verfügen teilweise über eine Klinkerverkleidung, die mit den Altbauten des Gaswerkes in Ziegelbauweise korrespondierte.

Während ganze Straßen­züge von Alt­bauten in der DDR ver­fielen, konzen­trierte die Staats- und Partei­führung in Vor­be­reitung der 750-Jahrfeier Berlins die knappen Ressourcen und Arbeits­kräfte auf das Prestige­objekt. Planung, Material­zu­fuhr und Bau­tempo glichen einer Leistungs­schau der DDR. Es ent­standen rund 1.300 Wohnungen, die über­wiegend an loyale Bürger:innen vermietet wurden, sowie Kultur- und Bildungs­ein­richtungen, Kinder­gärten, Geschäfte und Gast­stätten.

Nach Beschwerden von An­wohner:innen wurde 1990 eine Konta­minierung des Bodens durch das frühere Gaswerk fest­gestellt. Eine umfang­reiche Altlasten­sanierung wurde nötig, die bis heute an­dauert. Mit der Fertig­stellung von modernen Eigen­tums­wohnungen 2012 in der an­grenzen­den Fröbel­straße fand eine Auf­wertung des Gebietes statt. Demgegen­über sind die genossen­schaft­lich ver­walteten Wohnungen im Ernst-Thälmann-Park eine preis­werte Alternative.

Die Meinungen zum Ernst-Thälmann-Park gehen bis heute weit aus­einander und zeigen die Wider­sprüch­lich­keit des Ortes. Zunehmend wird das Ensemble als ein Beispiel zeit­gemäßer Stadt­planung an­erkannt, doch auf­grund des zentralen Denk­mals auch als Symbol der SED-Herr­schaft wahr­genommen.

Das Thälmann-Denkmal wird seit den 1990er-Jahren wiederholt mit Graffiti bemalt. 1995 protestierten Anwohner:innen gegen den fortschreitenden Verfall und trugen die Worte „eingekerkert – ermordet – beschmiert“ auf.

Das Thälmann-Denkmal wird seit den 1990er-Jahren wiederholt mit Graffiti bemalt. 1995 protestierten Anwohner:innen gegen den fortschreitenden Verfall und trugen die Worte „eingekerkert – ermordet – beschmiert“ auf. Seither wechseln sich Reinigungs- und Sprayer-Aktivitäten ab.

Ernst-Thälmann-Denkmal und –Park seit 1990

Nach der Friedlichen Revolution setzte eine mehrere Jahre an­dauern­de öffent­liche De­batte über den Namen des Wohn­gebiets und den Um­gang mit dem Ernst-Thälmann-Denk­mal ein. Die Dis­kussio­nen re­flek­tierten die unter­schied­lichen Stand­punkte zur DDR. Die Positio­nen reichten von soforti­gem Ab­riss des Denk­mals bis zu seiner Nut­zung als Lern­ort.

Im Mai 1993 entschied die Bezirks­ver­ordneten­ver­samm­lung (BVV) Prenzlauer Berg den Abriss des Denk­mals. Der Be­schluss wurde auf­grund fehlender finan­zieller Mittel nicht um­gesetzt. 1995 wurde das Monument unter Denk­mal­schutz gestellt. 1997 sprach sich eine Mehr­heit der Be­wohner:innen von Prenzlauer Berg für die Bei­be­hal­tung des Namens „Ernst-Thälmann-Park“ aus.

In den 1990er-Jahren ver­wahr­losten der Park und das Denkmal. Das Wohn­gebiet war zwischen­zeit­lich Treff­punkt rechts­orien­tierter Jugend­licher und das Thälmann-Denkmal wurde wieder­holt mit Nazi­parolen be­schmiert.

Am 7. Dezember 2012 wurde die Anwohnerinitiative Ernst-Thälmann-Park gegründet. Sie setzt sich für den Erhalt des denkmalgeschützten Areals, die Belange der Mieter:innen und die Instandhaltung der Grünanlage ein.

Am 7. Dezember 2012 wurde die Anwohnerinitiative Ernst-Thälmann-Park (kurz AI Thälmannpark) gegründet. Sie setzt sich für den Erhalt des denkmalgeschützten Areals, die Belange der Mieter:innen und die Instandhaltung der Grünanlage ein.

2014 wurde das Bauen­semble Ernst-Thälmann-Park unter Denk­mal­schutz gestellt. Eine An­wohner­initia­tive setzt sich seit Ende 2012 für den Park und das Denk­mal ein.

2019 lobte das Bezirksamt Pankow den Wett­bewerb „Künst­lerische Kommen­tie­rung des Ernst-Thälmann-Denkmals“ aus. Unter 110 Be­werbun­gen wurde der Beitrag „VOM SOCKEL DENKEN“ von Betina Kuntzsch aus­ge­wählt und 2021 realisiert.

Ruthild Hahne vor einem Modell des Thälmann-Denkmals, 1950er-Jahre.

Ruthild Hahne vor einem Modell des Thälmann-Denkmals, 1950er-Jahre. Nach vielen Überarbeitungen wurde das Vorhaben 1965 aufgegeben.

Die Geschichte des Denkmals

Wenige Wochen nach der Gründung der DDR wurde ein erster Wett­bewerb für die Schaffung eines Denk­mals für Ernst Thälmann in Berlin für den Thälmann­platz (Wilhelmplatz) aus­ge­schrieben. Im Ergebnis des Wett­be­werbs arbei­tete die Künst­lerin Ruthild Hahne bis 1965 an dem Vor­haben. Nach dem Mauer­bau 1961 wurde der vor­ge­sehene Stand­ort wegen seiner Nähe zur Staats­grenze auf­ge­geben. Weitere Planun­gen und Ent­würfe schlossen sich an, blieben aber er­gebnis­los. Erst 1981 wurde mit dem Be­schluss des X. Parteitags der Sozialis­ti­schen Einheits­partei Deutsch­lands (SED) das Vor­haben für ein Denk­mal im Ernst-Thälmann-Park befördert.

Der Bildhauer Lew Kerbel (Mitte) vor der Bronzestele mit der Inschrift von Erich Honecker.

Der Bildhauer Lew Kerbel (Mitte) vor der Bronzestele mit der Inschrift von Erich Honecker. 1990 entfernte das Grünflächenamt ohne Beschluss der neugewählten Bezirksverordnetenversammlung die seitlichen „Wächtersteine“ des Denkmals.

Das Monument sollte der Mittel­punkt des Wohn­ensem­bles und Parks sein. Dafür be­auf­tragte der SED-General­sekretär Erich Honecker den sowjeti­schen Bild­hauer Lew Kerbel (1917-2003), der für Monu­mental­plastiken – wie das Karl-Marx-Monument im heutigen Chemnitz – be­kannt war und in Berlin bereits 1945 für das Sowjetische Ehren­mal Tier­garten die Monu­mental­skulptur des Rot­armisten ge­schaffen hatte. Ent­würfe von Künstler:innen aus der DDR blieben un­berück­sichtigt. Der Ver­band Bildender Künstler der DDR und Künst­ler:innen reagier­ten mit Protest. Sie kriti­sier­ten die traditio­nelle Konzeption des Denk­mals und die fehlende Be­teili­gung an der Planung und Aus­wahl des Kunst­werks.

Die Errichtung des Denk­mals Mitte der 1980er-Jahre kann als Sinn­bild der Situa­tion der DDR ge­sehen werden. Die städte­bau­liche Insze­nie­rung prä&shysen­tierte das Denk­mal zentral vor dem großen (Auf­marsch-)Platz. Es wurde rechts und links durch zwei Bronze­stelen mit In­schriften von Erich Honecker und Ernst Thälmann flan­kiert, während die da­hinter­liegen­den Wohn­bauten als Kulisse dienten. Vor dem Hinter­grund von Perestroika und auf­keimen­den Demo­kra&shyti­sie­rungs­be­stre&shybungen demon­strierte die Denk­mal­anlage den Macht­an­spruch der DDR-Führung und die Ab­wehr von gesell­schafts­politi­scher Ent­wicklung.

Ernst Thälmann (Mitte) bei einem Marsch des Roten Frontkämpferbundes (RFB) in Berlin, 1927.

Ernst Thälmann (Mitte) bei einem Marsch des Roten Frontkämpferbundes (RFB) in Berlin, 1927. Thälmanns zur Faust erhobene rechte Hand galt als traditioneller Gruß des RFB. Der RFB war ein paramilitärischer Verband der KPD in der Weimarer Republik unter der Leitung Thälmanns.

Der Thälmann-Mythos in der DDR

Die DDR erhob Ernst Thälmann zu ihrem ersten deutschen Helden. Die Staats­führung instrumen­tali­sierte und ideali­sierte Thäl­mann zu einer Kult­figur. Sie stilisierte ihn zum mutigen Kämpfer gegen den Faschis­mus, zu einem dem Volk ver­bun­denen Arbeiter­führer sowie zum Märtyrer und Opfer des National­sozia­lismus. Ihm wurde eine führende und über­ragende Rolle in der deut­schen Ge­schichte zu­ge­wiesen. Die DDR nutzte den Thälmann-Kult zur eigenen Legiti­mierung: Thälmanns Wider­stand gegen das Nazi­regime wurde als Kampf der Arbeiter­klasse für ihre Be­freiung aus­ge­legt, aus dem die DDR her­vor­ging.

Mahnwache der „Jungen Pioniere“ vor dem Ernst-Thälmann-Denkmal, 1986

Mahnwache der „Jungen Pioniere“ vor dem Ernst-Thälmann-Denkmal, 1986. Die Mitgliedschaft in der Pionierorganisation umfasste Fahnenappelle und Demonstrationen, aber auch Diskoabende und Bastelnachmittage. Auf Ungehorsam folgten Disziplinierungen wie der Ausschluss von Klassenfahrten oder von der Oberstufe. Die Mitgliedschaft in der Pionierorganisation prägte Kindheit und Jugend vieler DDR-Bürger:innen.

Von Anbeginn der DDR war Thälmann das Vor­bild sozialis­ti­scher Er­ziehung. Die 1948 ge­grün­dete staat­liche Massen­organi­sa­tion für Kinder wurde 1952 in „Pionier­organi­sation Ernst Thälmann“ um­benannt. Sie diente in der DDR dazu, Kinder zwischen sechs und 14 Jahren im Sinne der sozialis­ti­schen Ideo­logie zu erziehen. Die Organi­sa­tion war eng mit dem Schul­unter­richt ver­zahnt. Der Groß­teil der Schüler:innen war Mit­glied. Nicht­mit­glieder wurden vielfach be­nach­teiligt.

Der Thälmann-Mythos durch­zog die gesamte ost­deutsche Gesell­schaft auch durch Filme, Literatur, Lieder, Dar­stellun­gen der bilden­den Kunst, Foto­grafien sowie jähr­liche Ge­denk­feiern zu seiner Geburt und seinem Tod. Straßen mit seinem Namen prägten den öffent­lichen Raum.

Mit der Be­nennung des Wohn­gebiets rund um das Denk­mal in Ernst-Thälmann-Park wurde Thälmann zudem zum geistigen Vater des Wohnungs­bau­pro­gramms der DDR aus­gerufen.

Ernst Thälmann in volksnaher Pose, 1932

Ernst Thälmann in volksnaher Pose, 1932. Unter Arbeiter:innen genoss Thälmann große Popularität und wurde deshalb auch „Teddy“ genannt.

Ernst Thälmann

Ernst Thälmann wurde am 16. April 1886 in Hamburg geboren. Er stammte aus einfachen Ver­hält­nissen. Schon als Kind musste er im elter­lichen Gemüse- und Kohlen­geschäft mit­arbeiten. Im Alter von 16 Jahren verließ er das Eltern­haus. Den großen Hafen­arbeiter­streik 1896–1897 erlebte er als prägendes Erlebnis.

Politisch engagierte sich Thälmann ab 1903 zu­nächst in der Sozial­demo­krati­schen Partei Deutsch­lands (SPD), ab 1918 in der Un­ab­hängi­gen Sozial­demo­krati­schen Partei Deutsch­lands (USPD). Als Kriegs­gegner desertierte er 1918 aus dem Kriegs­dienst. 1920 trat er der Kommu­nisti­schen Partei Deutsch­lands (KPD) bei und stieg dort schnell auf. 1925 wählte ihn die KPD zum Vorsitzen­den und die Kommu­nis­tische Inter­nationale (Komintern) berief ihn ins Exekutiv­komitee. In der Unter­schlagungs­affäre um John Wittorf 1928 wurde Thälmann ge­zwungen, sein Partei­amt ruhen zu lassen. Erst auf Druck Stalins wurde er als Partei­vor­sitzen­der be­stätigt.

Thälmann prägte den ab Mitte der 1920er-Jahre beginnenden Prozess der „Stalinisierung“ der KPD und damit die Säube­rungen inner­halb der Partei. Stalin fand in Thälmann jemanden, mit dem er die KPD kontrol­lie­ren und enger an die Politik der Sowjet­union binden konnte. Aus der Sowjet­union über­nahm er die Sozial­faschis­mus­these und ver­schärfte den Kampf der KPD gegen die Sozial­demo­kratie. Dies trug in der End­phase der Weimarer Republik erheblich zur De­stabi­lisie­rung bei.

In Folge der Wirtschafts­krise 1929 und der sozialen Not kam es zu Un­ruhen, welche die KPD unter Thälmann für ihren Kampf gegen die parlamen­tari­sche Demo­kratie nutzte. Da die SPD die Demo­kratie ver­teidigte, wurde sie für die KPD zum Haupt­feind. Dies trug zur Spaltung der Arbeiter­be­we­gung bei und damit zur Schwächung des Kampfes gegen den National­sozialis­mus. Aus Sicht vieler Historiker schuf dies die Voraussetzungen, die es Hitler und den National­sozialist:innen er­möglich­ten, an die Macht zu gelangen.

Ernst Thälmann war seit 1924 Reichstags ab­geordneter. Als be­kannter Politiker wurde er am 3. März 1933 in Berlin von der Polizei ver­haftet. Bis zu seiner Er­mor­dung am 17. August 1944 im Konzen­tra­tions­lager Buchenwald als so­ge­nannter Schutz­häftling war er im Unter­suchungs­gefängnis Berlin-Moabit, im Gerichts­gefängnis Hannover und im Zucht­haus Bautzen inhaftiert. Während seiner elf­jährigen Haft­zeit wurde er vor kein Gericht gestellt. Be­mühungen um seine Be­freiung und einen Aus­tausch scheiterten. Stalin selbst setzte sich nicht für seine Frei­lassung ein.