Die Venus der Villa Kostecky

Gedenktafel in Erinnerung an Wolfgang Joseph Kostecky (1888-1949)

Von 1923 bis 1949 Eigentümer der 2004/2005 abgerissenen Villa auf dem Grundstück

Denkzeicheneinweihung: Sonntag, 21.05.2023, 14.30 Uhr
Hermann-Hesse-Straße 19, 13156 Berlin

Die Venus von Pankow

Silvia Oberhack

Als ich eines Tages an der Hermann-Hesse-Straße 19 entlang radelte, fiel mir auf dem Parkplatz des Lebensmitteldiscounters eine ca. 2 m hohe Frauenfigur der antiken Mythologie auf. Eine stattliche Skulptur auf einem Parkplatz, vor einem Müll­container, das war schon speziell, selbst für Pankow. Die Neugier war geweckt, warum steht sie da?
In mehreren Internet­artikeln wurde diese Figur als „Einsame Venus von der Kostecky-Villa“ beschrieben. Mich interes­sierte nicht so sehr die Skulptur der ehe­maligen Villa, sondern die Geschichte des ehe­maligen Eigen­tümers, Wolfgang Joseph Kostecky. Ich machte mich auf die Spuren­suche und startete im West­hafen, Grund­buchamt und versuchte etwas über das Schick­sal des einstigen Eigen­tümers zu erfahren.
Im Jahr 1922 verkaufte der Maurer Friedrich Wilhelm Nölte das mit Schulden belastete Grund­stück in der Bismarck­straße 41 (heute Hermann-Hesse-Straße) an das Kaufmannsehepaar Steinführ.
Ein reichliches Jahr später, nämlich am 19. November 1923, wechselte aber­mals der Eigentümer. Diesmal war es W. J. Kostecky, der das noch mit einer Hypothek be­lastete Grund­stück in der Bismarck­straße 41 erwarb. Aus Gerichts­unter­lagen aus dem Jahr 1926 geht hervor, dass in der Villa 13 Miet­parteien wohnten. Der Zustand des Grund­stücks und der Villa wurden als ver­wahr­lost be­schrieben und die not­wendigen um­fang­reichen Instandsetzungs­arbeiten aufgezählt. Für den Aufbau der Villa gewährte das Bezirks­amt Pankow am 28. Oktober 1930 ein Darlehen, welches 1935 durch den Eigen­tümer Kostecky getilgt wurde.
Man kann also vermuten, dass der Aufbau der Villa und die Ver­schönerung des Gartens etwa 1930 begannen. Aus der Grund­buch­akte geht hervor, dass W.J. Kostecky Eigen­tümer mehrerer Grund­stücke bzw. Häuser in Berlin und Rahnsdorf war.
Wer aber war W.J. Kostecky, der offensicht­lich über ein nicht un­erheb­liches Ver­mögen verfügte und, wenn man Berichten glauben darf, in Pankow dadurch auch auf­gefallen ist.
Ein paar Anhalts­punkte fand ich im Archiv am Geburts­ort, in der Nähe vom heutigen Poznań, und im Branden­burgischen Landes­haupt­archiv Potsdam.
In der deutschen Geburts­urkunde steht, dass Wolfgang Joseph Kostecky am 31. Juli 1888 in Kozielsko im Kreis Wongrowitz, bis 1919 ein preußischer Land­kreis, geboren wurde. Er hatte noch drei Brüder und seine Schwester namens Josefine.
Vom 6. bis 14. Lebensjahr besuchte er die Volks­schule in Stemporowo und erlernte den Beruf eines Drogisten.
Bis zum Beginn seiner Militärzeit 1908 und nach Beendi­gung dieser (ab 1910), war er als Gehilfe in einer Drogerie tätig. Er erwarb dann 1913 eine eigene Drogerie. Im Jahr 1914 wurde W.J. Kostecky an die Front eingezogen. Durch eine Er­krankung wurde er 1917 als garnison­dienst­fähig ent­lassen – heißt, er war vom Kriegs­dienst für zivile Arbeiten frei­gestellt, konnte aber jeder Zeit wieder an die Front geschickt werden. Nach der Ent­lassung aus dem Militär­dienst betrieb er seine eigene Drogerie weiter. Diese Drogerie verkaufte er 1926 mit großem Gewinn und war somit in der Lage, Häuser und Grund­stücke zu erwerben. Von diesem Zeit­punkt an war er ohne feste Beschäfti­gung und lebte von seinem Grund­besitz.
Politisch hatte er sich bis 1933 nicht betätigt. Danach konnte er sich vermutlich als wohlhabender Kaufmann dem gesell­schaft­lichen Geschehen nicht mehr entziehen. Von 1933 bis Ende 1936 war er als Förderndes Mitglied der SS (FM-SS) und 1933 als Mitglied des RLB (Reichsluftschutzbund) ein­getragen.
Ab 1932 bewohnte er nach eigenen Angaben das Grund­stück in der Bismarck­straße 41 in Niederschönhausen. Infolge der nicht voll­ständig überlieferten Einwohner­melde­kartei im Landes­archiv Berlin lässt sich der Zeit­punkt nicht genau datieren und seine eigenen Angaben differieren.
Dass er wohl­habend war, konnte man in Pankow an dem Aufbau, der Gestal­tung der Villa und des Garten­grund­stücks leicht sehen. W.J. Kostecky beschäftigte vom 28.05.1935 bis 21.06.1937 einen Hausdiener, auch dies wird wohl der Nach­bar­schaft nicht entgangen sein.
Der Steinmetz Oswald Schäfer aus Nieder­schönhausen wusste 1937 zu berichten, dass sich W.J. Kostecky einige Figuren (Putten) für die Verschönerung des Grund­stücks anfertigen ließ. Die Venus­skulptur war zu dieser Zeit ver­mutlich nicht dabei, da sie auf alten Post­karten bereits vor diesem Zeit­punkt zu sehen ist.
Warum geriet er ins Visier der Polizei? Gemunkelt wurde in Niederschönhausen, er sei nicht nur sehr wohl­habend, sondern auch homo­sexuell. In der NS Zeit sprach man darüber besser nicht offen.
Der Polizei dürfte W.J. Kostecky bereits 1928 durch eine Ver­urteilung zu einer Geld­strafe wegen Steuer­gefähr­dung bekannt geworden sein. Als sehr wohl­habender und homo­sexueller Mann, der die ein­schlägi­gen Lokale der damaligen Zeit besuchte, war er vermut­lich schon längere Zeit im Fokus.
Eine Archivsignatur auf einer Kartei­karte aus dem Landes­archiv Berlin und die zu­gehörige Akte aus dem Landes­haupt­archiv in Potsdam führten mich zum erschütternd­sten und traurig­sten Ab­schnitt seines Lebens.

Zur historischen Einordnung des folgenden Geschehens muss der Blick auf zwei Gesetze dieser Zeit und deren Funktion gerichtet werden.
Das Herrschafts­system der Nazis sollte u.a. durch das „Gesetz gegen heim­tückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen“, das sogn. Heimtückegesetz vom 20. Dezember 1934, gesichert werden. Nicht nur Gegner des NS-Regimes, auch National­sozialisten und Mitläufer mussten vorsichtig bei kritischen Äußerungen sein. Furcht vor der Gestapo, vor Unter­suchungs- und Strafhaft sowie Existenz­verlust waren all­gegen­wärtig und eine Stütze der NS-Diktatur.
Auch wenn die Bevölkerung nur teilweise an Denun­zia­tionen mit­wirkte, wurde die er­wünschte ab­schreckende Wirkung und Sicherung des Herrschafts­systems erreicht. Nach einer erhaltenen Gesamt­statistik für das Jahr 1937 wurden binnen zwölf Monaten 17.168 Personen aufgrund ihrer Äußerungen an­gezeigt, über 7000 angeklagt und etwa 3500 verurteilt.
Am 1. September 1935 verschärften die National­sozialisten den § 175 StGB (Homo­sexualität), unter anderem durch An­hebung der Höchst­strafe von sechs Monaten auf fünf Jahre Gefängnis. Darüber hinaus wurde der Tat­bestand von bei­schlaf­ähn­lichen auf sämt­liche „unzüchtigen“ Hand­lungen aus­geweitet. Der neu eingefügte § 175a bestimmte für „erschwerte Fälle“ zwischen einem und zehn Jahren Zuchthaus.

Im Frühjahr 1937 werden Tat­vorwürfe gegen W. J. Kostecky erhoben, zum einen soll er sich abfällig über führende Nazis und ihre Homo­sexualität geäußert haben und zum anderen war er selbst als homo­sexuell mit ent­sprechen­den Kontakten bekannt.
Am 12.06.1937 kam er in Unter­suchungs­haft nach Plötzensee. Er ahnte wohl nichts Gutes und verfasste am 21.Oktober 1937 sein Testament.
Das Sondergericht I beim Landgericht Berlin verurteilte W. J. Kostecky wegen des Vergehens gegen §175 StGB in sechs Fällen und Verstoßes gegen § 1 Abs. 1 des Heim­tücke­gesetzes vom 20. Dezember 1934 zu einer Gesamt­strafe von drei Jahren Gefängnis, welche am 19. Januar 1938 vollstreckt wurde.
Sowohl seine Schwester Josefine als auch sein Bruder Roman bemühten sich im Juli 1938 und August 1939 erfolglos um eine Straf­unter­brechung bzw. Straferlass beim Landgericht. Am 7. April 1940 wandte sich Wolfgang Kostecky selbst an den Oberstaats­anwalt des Landgerichts und bat um Prüfung des Gnadenerlasses. Durch den Gnadenerlass der Staats­anwalt­schaft beim Landgericht vom 04.06.1940 wurde die Reststrafe von sechs Monaten durch Ein­räumung einer Bewährungsfrist bis zum 30.06.1943 erlassen. Er wurde am 15.06.1940 in seine Wohnung nach Pankow in die Bismarckstraße 41 entlassen.
Am 12.08.1940 wurde W. J. Kostecky erneut durch die Kriminal­polizei­leitstelle Berlin (Krim. Insp. Vorb. 2) verhaftet und als „Gemein­gefähr­licher“ in Vor­beuge­haft ge­nommen. Aus dem Polizei­gefängnis wurde er vier Wochen später in das Konzentrations­lager Sachsenhausen überführt. Seine Einlieferung mit der Häftlings­nummer 32913 und der Häftlings­kategorie BV §175 (Berufs­verbrecher § 175 StGB) ist in der Gedenk­stätte Sachsenhausen dokumentiert. Er wird dort als Reichs­deutscher (R.D.) erfasst, nicht als Pole. Das wird am Ende seines Lebens noch ein wichtige Rolle spielen.
Im Internationalen Archiv über NS Opfer in Bad Arolsen und im Staats­archiv Ludwigsburg fand ich dann weitere Hinweise zum Verlauf seines Lebens­weges.
Aus dem Konzentrations­lager Sachsen­hausen wurde W. J. Kostecky nach einem knappen Jahr Aufent­halt in das Konzentrations­lager Natz­weiler-Struthof überstellt. Auf der vom 21.05.1941 datierten Transport­liste ist er als Häft­ling vermerkt. Er war einer der ersten Häft­linge, die in diesem Trans­port nach Natzweiler-Struthof verlegt wurde, dort erhielt er die Häftlings­nummer 198.

Das Konzentrations­lager Natzweiler-Struthof war vom 1. Mai 1941 bis zum 23. November 1944 als ein so­genanntes Straf- und Arbeits­lager des national­sozialisti­schen Deutsch­lands nahe dem Ort Natzweiler im besetzten französischen Elsass, etwa 55 Kilometer südwestlich von Straßburg, errichtet worden.
Formell war es eine Einrichtung des SS-Wirtschafts- und Verwaltungs­haupt­amtes (WVHA) Berlin. Der Komplex Natzweiler-Struthof umfasste ca. 70 Außenlager und diente vor­rangig als Arbeits­lager der NS-Kriegs­industrie mit ca. insgesamt 52 000 Gefangenen.

Im Konzentrations­lager Natzweiler-Struthof war W. J. Kostecky vom 15.05.1941-13.03.1944 interniert. Während dieser Zeit befand er sich dreimal im Kranken­revier zu Be­handlungen, er hatte ernst­hafte gesund­heitliche Probleme. Durch unter­stützende Häftlings­strukturen kam er vom schweren Straßen­bau in die Schneiderei bzw. zeitweilig wohl auch in die Schreib­stube des Konzentrations­lagers.
Am 22.3.1944 ist W. J. Kostecky in der Liste der Häft­linge zu finden, die an das Konzentrations­lager-Außen­kommando Markirch über­stellt wurden.

In Saint-Marie-aux-Mines (Markirch) sollte eine aus­gelagerte Produktions­stätte von Flug­zeug­motoren des Werkes der Daimler-Benz-Motoren GmbH ent­stehen. Das Außen­kommando Markirch wurde am 6.10.1944 wieder geschlossen. Ab Ende März 1945 versuchte man durch die näher­kommenden Alliierten die Zwangs­arbeiter los­zu­werden und schickte sie entweder mit dem Zug nach Dachau oder auf Todes­märsche in andere Außenlager.

Durch die Auflösung des Außen­kommandos in Markirch wurde W. J. Kostecky auf einen Transport in das Außen­kommando nach Neckarelz geschickt. Man findet ihn in der Trans­portliste vom 28.3.1945. Die Alliierten rückten näher und befreiten diesen Trans­port vermutlich am 31. März 1945 bei Osterburken. Es ist sehr wahr­scheinlich, dass er zu den befreiten Gefangenen gehörte und in ein sogn. DPC (Displaced Persons Camp) kam, welche von der UNRRA betreut wurde.

Nach dem Einmarsch der Alliierten 1945 befanden sich auf dem Gebiet des Deutschen Reiches zwischen 6,5 Millionen und 7 Millionen DPs. Unter diesem Begriff wurden Zivilisten ver­standen, die sich infolge des Krieges nicht mehr in ihrem Herkunfts­land befanden, aber nach den Vor­stellun­gen des Haupt­quartiers der alliierten Streit­kräfte dorthin zurück­kehren sollten. In der weit über­wiegenden Mehrheit handelte es sich dabei um ehe­malige KZ-Häftlinge, Zwangs­arbeiter oder von den National­sozialisten an­geworbene aus­ländische Arbeits­kräfte, die sich in den nunmehr west­lichen Besatzungs­zonen Deutsch­lands und Österreichs befanden. Hauptaufgabe der UNRRA (Nothilfe- und Wieder­auf­bau­verwaltung der Vereinten Nationen, engl. United Nations Relief and Rehabilitation Administration) war die Unter­stützung der Militär­administration bei der Repatriierung der so­genannten Displaced Persons (DP). Für jedes Lager war ein UNRRA-Team zuständig, das der örtlichen Militär­komman­dantur unter­stellt war. Im Klartext bedeutet dies für die ehe­mals Internierten, Rück­führung in die Heimat nach Polen, Litauen, Jugoslawien usw.

Den ersten Beleg für die Befreiung von W. J. Kostecky aus dem Konzentrations­lager fand ich in den Unter­lagen von Bad Arolsen. Hier ist er auf der Trans­port­liste vom 23. Juli 1945 in das DPC Wertheim aufgeführt. Er hat sich demnach im DPC Wertheim (UNRRA Team Nr. 113) auf­ge­halten und wurde dort in der Nachkriegs­kartei erfasst. Bei der Aus­stellung der Nach­kriegs­karteien im DPC Wertheim, später auch in Böblingen, wurde seine Staats­an­gehörig­keit von den Alliierten als polnisch angegeben.
Das dürfte auch der mut­maßliche Grund sein, weshalb er nicht Berlin zurück­kehren konnte. Er hielt sich in der amerikani­schen Besatzungs­zone auf, sein Haus in Pankow befand sich jedoch in der sowjeti­schen Besatzungs­zone. Außerdem wurde er vermut­lich aufgrund seines Namens und seiner Zwei­sprachig­keit von den Alliierten in der Nach­kriegs­kartei als Pole registriert.
Welch eine Ironie der Geschichte: In Preußen geboren, in Berlin wohn­haft und nun soll durch eine Ein­stufung der Alliierten Polen seine Heimat sein.
Sein Gesundheits­zu­stand wurde in den Unter­lagen des Camps als sehr bedenk­lich beschrieben. Eine erste ärzt­liche Behand­lung fand Dezember 1945 im DPC Wertheim statt. Später hielt er sich zu un­be­kanntem Zeit­punkten in den DP Lagern Forstner Kaserne, Karlsruhe und Karlsruhe-Knielingen (UNRRA Team Nr. 96) auf. Sein letzter Aufent­halt ist ab 27. April 1947 im DPC in Böblingen dokumentiert.
Im Dezember 1947 stellte W. J. Kostecky bei der Landes­bezirks­stelle für Wieder­gutmachung Stuttgart einen Antrag auf Wieder­gutmachung als politisch Verfolgter des NS-Regimes. Ihm wurde ein öffent­licher Anwalt beigeordnet.
Die Ermittlungen zu den Lebens­ver­hältnissen übernahm daraufhin die Polizei Stuttgart. Es fand eine Anhörung von W. J. Kostecky statt, die Akten des Sonder­gerichts aus Berlin wurden ein­gesehen. Ehemalige Mit­gefangene aus den Konzentrations­lagern wurden zur Person W. J. Kostecky befragt.
Sie beschrieben ihn als Menschen, der durchaus nach seinen Möglich­keiten auch Lebens­mittel und andere Güter, die seine Schwester ihm schickte, geteilt hat. Unter anderem hat er dies im Interesse aller für Bücher und Musik im Lager Sachsenhausen eingesetzt. Aus Listen der Verwaltung der Häftlings­gelder geht hervor, dass er im Zeitraum von April 1942 bis Mai 1943 über mind. 700 RM verfügen konnte, die seine Schwester ihm schickte. Ein ehe­maliger Mit­häftling gab zu Protokoll, dass sich der Lager­komman­dant Kramer in Natzweiler vom Konto des W.J. Kostecky mit sogn. „Proschecks“ bedienen konnte. Einhellig sagten alle aus, dass W. J. Kostecky zu keinem Zeit­punkt einen „roten Winkel“ als Zeichen politischer Gefangen­schaft getragen hat, sondern einen rosa und grünen Winkel, Zeichen für homo­sexuell bzw. kriminell Verurteilte. Die über­lieferten Unter­lagen muten aus heutiger Sicht sehr eigen­artig an. Überlebende Mit­ge­fangene aus den Konzentrations­lagern sprechen sich vehement gegen eine Wieder­gut­machung und An­erkennung von W .J. Kostecky als NS Opfer aus. Im Ver­ständnis der damaligen Zeit, und offen­sichtlich auch in den Köpfen der ehe­maligen Insassen der Konzen­trations­lager, ist ein homo­sexuell veranlagter Mensch ein Verbrecher.
Im Wieder­gut­machungs­verfahren ging es einzig und allein um die Fest­stellung, ob sich W. J. Kostecky aus politi­schen oder kriminellen Gründen im Konzentrations­lager befand. Ins Konzentrations­lager kam W. J. Kostecky wegen Ver­gehen gegen das sogn. Heim­tücke Gesetz und Vergehen gegen § 175, 175 a StGB. Der damaligen Rechts­lage folgend allesamt krimi­nelle Straf­taten. Eine Wieder­gutmachung konnte im damaligen Rechts­rahmen nur erfolgen, wenn man sich wegen politischer Ver­gehen im Konzentrations­lager befunden hatte.
Was ist politischer als eine Ver­urteilung wegen sexueller Neigungen?
Diese Frage­stellung ist im Kontext der damaligen Zeit einzuordnen und mit heutigem Wissen kaum zu ertragen. Nach damaliger Rechts­lage war eine Wieder­gut­machung für die Aufent­halte in den Konzentrations­lagern nicht zu er­warten und nicht möglich.
Im Januar und Juli 1948 wurde durch ärzt­liche Gutachten auf den schlechten Gesundheits­zustand und ein Herz­leiden von W. J. Kostecky hingewiesen.
Letztendlich lehnte das Amt für Wieder­gut­machung mit Schreiben vom 19.08.1948 den Antrag auf Wieder­gut­machung ab und forderte die zwischen­zeitlich gewährte Unter­stützung von 60 RM zurück. Dagegen legte W.J. Kostecky am 25.08.1948 Einspruch ein und bat um Stundung der Rück­zahlung der gewährten Unter­stützung. Das Justiz­ministerium prüfte den Ein­spruch und lehnte ihn ab: es gab keine Wieder­gutmachung, Er blieb im DPC in Böblingen. Sein Gesund­heits­zustand war nach wie vor nicht zufrieden­stellend, deshalb fand am 1. April 1949 eine ambulante Behandlung im Kreis­kranken­haus Böblingen statt.

Die auf Anordnung der Alliierten in allen vier Besatzungs­zonen Deutschlands gegründeten Aus­schüsse für die Opfer des Faschismus (OdF) hatten ent­sprechende Wieder­gutmachungen zu prüfen. In Berlin wurde im Sommer 1945 der Haupt­aus­schuss der Opfer des Faschismus eingesetzt.

In der OdF Kartei des Landes­archivs Berlin ist W. J. Kostecky mit einem „Warn­hinweis“ auf der Kartei­karte zu finden. Dieser Warn­hinweis bezieht sich vermut­lich auf die Ver­urteilung vom Sonder­gerichts­hof mit der ent­sprechen­den Archiv­signatur. Vorsorglich wurde hier schon auf den W. J. Kostecky, als nicht rehabili­tierungs­würdig verwiesen, falls er in Berlin einen Antrag stellen würde.
Damit war W. J. Kostecky, nunmehr amtlich fest­gestellt, kein politisches Opfer des Nazi­regimes, aber wohl ein Opfer der damaligen Rechts­lage und des damit ver­bundenen Zeit­geistes.
Ohne seine Heimat­stadt Berlin wieder­gesehen zu haben, verstarb er am 31. August 1949 im DPC Böblingen.

Kosteckys Schwester Josefine Rennert wohnte bis zu ihrem Tod am 20. November 1952 in der Bismarckstraße 41. Das Grund­stück stand dann unter dem Schutz und der Verwaltung des Magistrats von Groß-Berlin. Vom VEB Kommunale Wohnungs­ver­waltung Berlin Pankow wurde es dann 1969 wegen Un­rentabilität und Auf­nahme von Krediten in Sicherungs­ver­waltung über­nommen. Ab 1991 wurde dann versucht, über die polnische Botschaft die Erb­angelegen­heiten zu klären und 1995 über­nahm dann das Amt zur Regelung offener Ver­mögens­fragen das Grundstück.
Das Ergebnis ist mithin sichtbar: Abriss der Villa nebst Garten.
Nun kenne ich das Schicksal von W. J. Kostecky und schaue mit einem anderen Blick auf die damalige Zeit. Die Skulptur auf dem Parkplatz scheint mir nun noch ver­lorener als vor meiner Recherche.

© Silvia Oberhack

Verwendete Quellen/weiterführende Links

Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Ludwigsburg, StAL EL 350 I Bü 861
Bundesarchiv, BArch, WVHA_NS3_Kartei
Bad Arolsen, Arolsen Archives, ITS Digital Archive, BLHA Potsdam, Rep 12C Berlin I 5017, 5017/1, 5017/2, 5017/5
Landesarchiv Berlin, LArch B Rep 074 Nr. 91
Landesarchiv Berlin, C Rep 118-01 Nr.16, OdF Kartei, Archiwa Panstwowe, Archiwum Panstwowe w Poznaniu Oddzial w Pila, Geburtsurkunde
Bernward Dörner „Heimtücke“, Seite 9-10, Seite 324 ff
Grundbucharchiv Westhafen, Grundbuch Niederschönhausen Bd.85/Blatt 2657
Grundbuch-Einsichtsstelle Amtsgericht Mitte, Liegenschaftsakte PK60107 LGB Grundbuch Pankow, Blatt 19076 N
Landesdenkmalamt Berlin, Gebiet Pankow
https://www.struthof.fr/de/le-site/le-kl-natzweiler .
https://bildhauerei-in-berlin.de/bildwerk/venus .
https://pankowerchronikdotde.wordpress.com/2014/07/23/einsame-venus-kostecky-villa-18948250/ .
https://www.flickr.com/photos/lautenschlag/6555327581/ .

Besonderer Dank für die Unterstützung der Recherche an:

Präsident Herr Gräßle, Amtsgericht Mitte; im Archiv Frau Haaske, Herr Klug
Dr. Elke Koch, Stefan Raithel, Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Staatsarchiv Ludwigsburg
Dr. Maciej Kaminski, Beata Sass, Archiwum Panstwowe w Poznaniu Oddzial w Pila
Prof. Dr. Schaper, Frau Dr. Schroll, Frau Berke, Herr Albrecht, Frau Pelzer, Landesarchiv Berlin
Frau Moll, Bundesarchiv Berlin
Frau Gehrke, Bundesarchiv Berlin/Abteilung BStU
Frau Liebscher, Gedenkstätte Sachsenhausen
Frau Beate Sohr, Stadtarchiv Böblingen
Reference Service Bad Arolsen
Dr. Maciej Gugla, Dr. Milena Wozniak-Koch, Zentrum für Historische Forschungen Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften
Arno Huth, Gedenkstätte Natzweiler
Rainer Hoffschildt, Schwullesbisches Archiv Hannover (SARCH)
Dipl. Archivar Oliver Strübing, Dipl. Archivarin Maxi Schulenburg

  • Die Venus von Pankow

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    Dokument: Silvia Oberhack

  • Wenus z willi Kostecky

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  • The Venus of the Villa Kostecky

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vom NaturTheaterKollektiv NordOst (Regie/Sound: Klaus Dobbrick, Regie/Text: Andrea Koschwitz) Weitere Informationen