Das Bewusstsein für die ästhetische und funktionale Qualität der Nachkriegsarchitektur ist in Deutschland noch unterentwickelt. Obwohl Bauten dieser kunsthistorischen Periode inzwischen unter Denkmalschutz stehen, kommt es häufig zu entstellenden Umbauten, im Extremfall sogar zum Abriss. Zu den bedrohten Objekten gehörte auch lange das Marshall-Haus einschließlich Pavillon auf dem Messegelände.
1950 nach Plänen von Bruno Grimmek (1902-1969) unter Mitarbeit von Werner Düttmann (1921-1983) errichtet, ist es zusammen mit dem Messegarten ein herausragendes Denkmalensemble, zu dem namhafte Architekten Beiträge leisteten. Zu dem Areal gehört auch der von Heinrich Straumer entworfene und zwischen 1924 und 1926 errichtete Funkturm sowie die Hallen von Richard Ermisch aus den 30er Jahren. Das Marshall-Haus ist nicht nur architekturgeschichtlich interessant, sondern gleichfalls ein bedeutendes historisches Zeugnis, weil es die politischen Beziehungen der geteilten Stadt zu den Vereinigten Staaten von Amerika als einer von vier Alliierten Kräften nach 1945 symbolisch verkörpert.
Bauherr des Gebäudes war das von 1949 bis 1952 bestehende Amerikanische Hochkommissariat – High Commissioner for Germany. Mit der Namensgebung sollte der sein Land von 1947 bis 1949 zunächst als Außen- und 1950/51 als Verteidigungsminister vertretende Staatsmann und General George C. Marshall (1880-1959) geehrt werden. Auf ihn geht das umfassende wirtschaftliche Wiederaufbauprogramm – European Rescue Program, kurz ERP – der USA für Westeuropa zurück. Für den nach ihm benannten Marshall-Plan erhielt er 1953 den Friedens-Nobelpreis.
Das Marshall-Haus wurde am 1.10.1950 als Ausstellungsgebäude für die Deutsche Industrieausstellung eröffnet. Es handelt sich um einen zweigeschossigen Stahlskelettbau mit Fachwerkbindern, dessen verglaste Halle sich mit einer geschwungenen Empore und einer auf schlanken Stützen ruhenden verglasten Galerie schneckenförmig verbindet. Prägendes Element der Halle an der Nord- und Südwand ist ihre über 35 Meter lange und 10 Meter hohe Stahl-Glasfassade. Diese filigrane Stahlkonstruktion mit der großflächigen Verglasung ist in ihrer architektonischen Leichtigkeit und Transparenz der denkbar deutlichste Kontrast zu den einschüchternden Monumentalbauten des Dritten Reichs.
Das originale Erscheinungsbild des Marshall-Hauses war im Laufe der Zeit optisch eindeutig zu seinem Nachteil verändert worden. Wechselnden Nutzungen angepasst, wurden manche baukünstlerischen Merkmale stark überformt; erschwerend hinzu kam jahrelanger Verschleiß und unterlassene Bauerhaltung. Seit 1988 steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Es konnte dank umfassender Sanierung, ausgehend vom bauzeitlichen Erscheinungsbild, im Rahmen der Internationalen Funkausstellung 2008 wiedereröffnet werden.
Bei den Arbeiten verfolgte die Messe Berlin GmbH als Bauherr in Zusammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt und der Unteren Denkmalschutzbehörde des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf das Ziel, die Gestaltungsqualitäten der 50er-Jahre-Architektur mit den Erfordernissen des heutigen Messe- und Ausstellungsbetriebes in Einklang zu bringen, d. h. konkret die Integration von Lounge- und VIP-Bereichen. Die Revitalisierung des ursprünglichen Erscheinungsbildes wurde als Qualitätsmerkmal akzeptiert und als Bestandteil des Marketingkonzepts der Messegesellschaft betrachtet. So konnten in idealer Weise die ökonomischen Interessen der Betreiber mit dem denkmalpflegerischen Konzept in Übereinstimmung gebracht werden.
Zur Maßnahme gehörte die Entfernung aller späteren Ein- und Umbauten, darüber hinaus die teilweise Erneuerung der zerschlissenen Bodenbeläge und Wandoberflächen. Alte Türen wurden aufgearbeitet, ebenso wie Türdrücker, Geländer und Leuchter – Details, die zum homogenen Gesamtbild beitragen.
Nicht realisiert blieb die Sanierung der Stahlglasfassade. Die filigrane Konstruktion des Marshall-Hauses und des Pavillons waren zwar noch original erhalten, konnten aber aus statischen Gründen nicht mehr gerettet werden. Dies betraf auch die durch Korrosion zerstörten Sockelbereiche. Insgesamt waren die statischen Gegebenheiten der Stahl-Glasfensterkonstruktion so desolat, dass der aus energetischen Gründen geforderte Austausch der Einfachverglasung durch eine Isolierverglasung nicht gegeben war. Nach intensiven Überlegungen um eine denkmalverträgliche Lösung fiel aus Kostengründen die Entscheidung für den Nachbau der gesamten Fassade auf eine Aluminiumkonstruktion. Durch diese Wahl ist die Wahrung des bauzeitlichen transparenten Charakters am ehesten möglich. Dem Vorschlag des Nachbaus wurde allerdings nur unter der Voraussetzung zugestimmt, dass dieser nachweislich im Maßstab 1:1 erfolgen würde. Es mussten Fenstermusterachsen erstellt werden, an deren Profilen man
solange korrigierte, bis die Alu-Profilierung zentimetergenau dem Originalzustand der Stahlkonstruktion entsprach.
Die offene und großzügige Gestaltung des Marshall-Hauses bietet Veranstaltern optimale Rahmenbedingungen. Workshop-, Konferenz- und Loungebereiche auf zwei Ebenen sowie eine großzügige Terrasse sind heute begehrte Räumlichkeiten.
Stand: 2010