Am 29.10.1911 weihte die Stadt Berlin feierlich ihr zweites Rathaus ein. Mit dem rasanten Wachstum Berlins und der damit verbunden Steigerung des Verwaltungsaufwandes waren die Kapazitäten des Berliner (Roten) Rathauses (1861-69 von Hermann Waesemann) erschöpft und machten die Errichtung eines weiteren Verwaltungsgebäudes unumgänglich. Für die Planung und Ausführung war der langjährige Stadtbaurat Ludwig Hoffmann (1852-1932) verantwortlich.
Das nach neunjähriger Bauzeit entstandene Gebäude wurde in Anlehnung an einen italienischen Renaissancepalast errichtet und weist zudem barocke Elemente auf. Hoffmann konzipierte es – mit Ausnahme des Turmes – nicht auf Fernsicht, sondern angepasst an die Größenverhältnisse der Altstadt auf Nahsicht. Er verzichtete dabei auf eine klare Stockwerkssteilung und auf ein erheblich größeres Portal für den Haupteingang in der Jüdenstraße. Trotz vielfältiger Detaillierung der Fassade durch Quader, Gesimse, Profile und Baluster oder doppelte Fensterrahmungen herrscht ein ruhiger Gesamteindruck der Fassaden vor.
Der auf trapezförmiger Grundfläche stehende Gebäudekomplex umschließt fünf Innenhöfe. Über dem Dreiecksgiebel der Hauptfront an der Jüdenstraße erhebt sich auf einem kubischen Unterbau ein 80 Meter hoher Kuppelturm, der mit seinen beiden Säulengeschossen auf die Türme des Französischen und des Deutschen Domes am Gendarmenmarkt Bezug nimmt. Während sich der Bau nach außen als wilhelminischer Repräsentationsbau zeigte, überzeugte das moderne Verwaltungsgebäude für 1.000 Bedienstete im Inneren durch wertvolle Materialien und schlichte Eleganz. Im Erdgeschoss des Mitteltraktes befindet sich die sechsachsige, über alle Geschosse reichende Festhalle, der heutige Bärensaal, in dessen Zentrum die Bärenskulptur des Bildhauers Georg Wrba (1872-1939) steht. Die tonnengewölbte, durch hohe Wandpfeiler gegliederte Halle bietet Platz für 1.500 Personen.
Das Alte Stadthaus kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Mehr als drei Jahrzehnte erfüllte es seine Bestimmung als zweiter Verwaltungssitz von Berlin. Zur Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft dienten die labyrinthischen Keller auch als Zufluchtsort und halfen so, Leben zu retten. Die couragierte Familie Mehling versteckte hier mit Hilfe anderer Mitglieder der Bekennenden Kirche verfolgte Juden und unterstützte sie bei ihrer Flucht ins Ausland. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der kriegsgeschädigte Bau (Dach und Mittelrisalit an der Klosterstraße) vom Ostberliner Magistrat wieder aufgebaut. Schon bei den ersten Rekonstruktionsmaßnahmen musste die kupferne Statue der Glücksgöttin Fortuna auf der Turmkuppel einer Antenne weichen. Das charakteristische Mansardendach des Stadthauses wurde 1960-61 durch ein um etwa 5 Meter niedrigeres, ökonomisch günstigeres Walmdach und ein Dachgeschoss ersetzt. Zur Nutzung als Haus des Ministerrates der DDR ließ man
den Bärensaal zu einem Konferenz- und Bankettsaal umbauen: voll klimatisiert und ohne Tageslicht. Eine Zwischendecke verbarg das Hallengewölbe und die Natursteinwände verschwanden hinter neuen Wandverkleidungen. Im Zuge der umfangreichen Umbauarbeiten wurde der Bronzebär aus der Festhalle entfernt und dem Tierpark Berlin-Friedrichsfelde übergeben.
Bei den 1994 begonnenen Sanierungsarbeiten unter der Leitung des Architekten Gerhard Spangenberg ist im westlichen Segment zur Jüdenstraße ein Abschnitt des Daches in der ursprünglichen Gestalt rekonstruiert worden. Der Bärensaal wurde von den Verkleidungen befreit und konnte sich 1999 wieder in seiner ursprünglichen Größe mit offenen Galeriegängen präsentieren. Dadurch traten die hinter den Wandverkleidungen versteckten salomonischen Sinnsprüche wieder zutage, eingerahmt von steinernen Ährenbündeln und figürlichen Reliefs. Wo die Wände durch die Einbauten verletzt worden waren, hat man die Originalsubstanz mit ihren Beschädigungen erhalten. Als Zeitspuren bleiben so die Löcher für die Träger der ehemaligen Zwischendecke und die Köpfe über den einzelnen Türen, deren Gesichter beschädigt wurden, bewahrt.
Nach der Rückkehr des bronzenen Bären in die renovierte Festhalle im Jahr 2001, wurden 2004 auch die vier Berlin-Säulen an ihrem historischen Ort, im Vestibül Jüdenstraße, wieder aufgestellt. Die Steinsäulen mit vier bronzenen auf Weltkugeln stehenden Bärenskulpturen, Werke des Bildhauers Ignatius Taschner (1871-1913), wurden im Rahmen der Umbauten des Stadthauses 1950 entfernt. Während die Bärenskulpturen im Märkischen Museum eingelagert waren, galten die Steinsäulen mit Motiven des Berliner Bären und der Berolina als verschollen. Nachdem die wichtigsten Teile der Säulen 2001 in einem Potsdamer Privatgarten gefunden und vom Land Berlin erworben wurden, ließ man die fehlenden Teile, Postamente und Kapitelle nach Bildquellen nachschöpfen, sodass die Berlin-Säulen heute wieder als Gesamtkunstwerk erlebbar sind.
Seit 2003 bewirtschaftet die Berliner Immobilien-Management GmbH (BIM) das Gebäude, das sich wieder mit der Replik der Fortunafigur, ebenfalls von Ignatius Taschner, auf dem Turm präsentiert. Heute beherbergt das Alte Stadthaus die Senatsverwaltung für Inneres und Sport sowie das Landesdenkmalamt Berlin.
Stand: 6/2014