Die Leningrader Blockade, während der die deutsche Wehrmacht vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944 die ganze Stadt fast vollständig von allen Versorgungswegen abgeschnitten hat, ist in Russland ein Heldenmythos, der in der Erinnerungskultur an den dort so genannten Großen Vaterländischen Krieg einen wichtigen Platz einnimmt. In Russland ist diese Tragödie ein Epos, der auch politisch genutzt wird. Die fast 1,1 Millionen Toten der Leningrader Blockade gehören in Deutschland im Gegensatz zu Russland zu den eher weniger beachteten Opfern des Nationalsozialismus. Hier wird deutlich, dass es unterschiedliche Narrative von Geschichte gibt; dass aus unterschiedlichen Beweggründen auf Erinnerungsräume zugegriffen wird. So bietet dieses epochale Ereignis dem Theater auf verschiedenen Ebenen reiches Material für eine künstlerische Auseinandersetzung mit Geschichte.
Grundlage des Theaterprojektes sind historische Materialien aus der NS- und der Sowjetzeit. Diese gesammelten Dokumente werden von Elena Gremina – einer der führenden russischen Autorinnen und Begründerin des russischen Dokumentartheaters – zu einem Theaterstück verdichtet, das von russischen und deutschen Künstler*innen auf der Bühne umgesetzt wird. Aus sowohl originalen wie auch fiktiven Texten zum Mythos der Leningrader Blockade entsteht eine multimediale Performance. Briefe und Autobiographien, aber auch Bild- und Tondokumente aus der UdSSR sowie dem nationalsozialistischen Deutschland dienen als Grundlagen für Text und Stück. Zur Recherche gehören aber auch persönliche und familiäre Erfahrungen aller am Projekt Mitwirkenden. Das Einnehmen unterschiedlicher Perspektiven soll hierbei auch Teil der Erzählstruktur sein und anschließend reflektiert werden.
Die Blockade war aber auch vor allem Stille und Schweigen, das Verstummen aller Tierstimmen, aller Motoren. Somit wird die Sprache konterkariert mit den Mitteln der Komposition und des Körpertheaters, um auch diese wichtige Seite der Blockade sinnlich erfahrbar zu machen. Das Publikum ist nicht passiv, sondern nimmt unterschiedliche Perspektiven in einer begehbaren Installation ein.
Zum Jahrestag des Beginns der Blockade am 8. September 2017 wird das Stück im Theater unterm Dach in Berlin Premiere haben. Es sind drei Aufführungen in Berlin geplant. Die russische Premiere wird im Teatr Pokoleniy in St. Petersburg zum Jahrestag der Befreiung der Stadt am 27. Januar 2018 stattfinden.
Das Projekt wird von der Stiftung EVZ sowie der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert.