Adonis’ Texte, in denen er lyrische Traditionen seiner Heimat mit einer ‚Poetik der Moderne’ verknüpft und fortschreibt, wurden vielfach übersetzt und ausgezeichnet. Neben seinem lyrischen und essayistischen Schaffen vollzog Adonis den Schritt ‚vom Wort zum Bild’, wobei er dabei den literarischen Text nicht aufgibt, sondern dessen inhaltliche und formale Dimensionen vervielfacht. In diesen handschriftlichen Blättern verarbeitet er neben eigenen auch Texte klassischer arabischer Dichter, die sich durch eine radikale Offenheit und eine kritische Haltung der Religion gegenüber auszeichnen. Durch die Verbildlichung und Versinnbildlichung der Schriftsprache knüpft Adonis an die traditionelle bildende Kunst der arabischen Kultur, die Kalligrafie, an und legt in der Geste der künstlerisch geschriebenen Zeichen zugleich deren dynamischen und bildhaften Charakter offen. Semantische (wenn auch sie den Betrachter_innen, die nicht des Arabischen mächtig sind, als Geheimnisvolles verborgen bleiben) und ikonische Aspekte nähren und bereichern sich gegenseitig. Jedoch geht Adonis noch einen Schritt weiter, in dem er das Text-Bild durch zeichnerische, farbige Elemente ergänzt oder es in Assemblagen und Collagen integriert, womit er gleichsam eine Hommage an künstlerische Ausdrucksformen der europäischen Moderne – wie etwa der Kubismus eines George Braque oder Pablo Picasso oder die visuellen Arbeiten der Dadaisten – formuliert.
Mit etwa 50 Werken aus verschiedenen Schaffensphasen gibt die Ausstellung einen umfangreichen Einblick in das bildnerische Œuvre von Adonis und würdigt damit einen Künstler, der mit einer Epochen, Disziplinen und Kulturen verbindenden Poetik ein Bekenntnis zur kulturellen, künstlerischen und gesellschaftlichen Vielfalt und Entfaltung formuliert. Deutlich wird dies auch an Kooperationsprojekten mit anderen Künstlern wie beispielsweise dem in Berlin lebenden, in Jerusalem geborenen Maler Kamal Boullata oder an den langen Papierbahnen mit den präislamischen Gedichten Muallaqat (Die Hängenden Gedichte) aus dem 6. Jahrhundert.
Ali Ahmad Said Esber (Künstlername Adonis) wurde 1930 in Kassabin, Syrien geboren. Von 1950 bis 1954 studierte er an der philosophischen Fakultät der Universität Damaskus und zog 1956 in den Libanon, wo er 1957 zusammen mit Yusuf al-Khal und anderen Schriftstellern die avantgardistische Literaturzeitschrift Schi’r („Poesie“) herausgab. 1960 nahm er die libanesische Staatsbürgerschaft an und gründete 1963 die eigene Zeitschrift Afak (Horizonte). 1973 promovierte er an der Université Saint-Joseph in Beirut. In den folgenden Jahren lehrte er trotz des beginnenden Libanesischen Bürgerkriegs sowohl an der Université Saint-Joseph als auch an der staatlichen Université Libanaise in Beirut. 1980 war er Gastprofessor an der Universität Censier Paris III. 1984 hielt Adonis vier Vorlesungen am Collège de France zur „Einführung in die arabische Poetik“. Seit 1985 lebt er dauerhaft in Paris. Von 1990 bis 1995 hatte er eine Gastdozentur an der Universität Genf inne. 1991 erhielt er den Preis für Poesie Jean Malrieu Étranger und 1994 den Prix de la Méditerranée und den Nazam Hikmet-Preis. Von 1996 bis 1997 war er Gastdozent an der Princeton University. In den akademischen Jahren 1998/1999 und 2001/2002 war Adonis Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin – in dieser Zeit arbeitete er an dem Gedichtzyklus Al Kitab (das Buch).