Ohne Sehnsucht ist das Werk von Carlfriedrich Claus undenkbar. Die Fähigkeit zum Staunen und der Wunsch nach Erkenntnis gehören dazu. Die Studien des Universalgelehrten aus Annaberg im Erzgebirge reichen von mystisch-religiösen über philosophische bis hin zu sprach- und naturwissenschaftlichen Schriften. Neben den Experimenten mit Sprache in ihren Randgebieten fließt Lesestoff als dialogischer Denk-Schreib-Stoff unmittelbar in die Sprachblätter ein.
Einer der wohl wichtigsten Dialogpartner ist Ernst Bloch. In vielen Sprachblättern und Lautprozessen stellt Carlfriedrich Claus explizite oder implizite Bezüge zu den Gedanken des Philosophen her und verleiht dessen Geschichts- und Naturphilosophie eine vitale, offene Gestalt. Er desavouiert damit die ihn umgebenden realsozialistischen, später postsozialistischen Realitäten, ohne je von seiner kosmologisch-kommunistischen Zukunftsvision zu lassen, die er in seinen Werken immer wieder antizipiert. Darin sind sich Bloch und Claus einig: das Experimentum Mundi beginnt in jedem selbst und ist mit dem kollektiven Experiment Geschichte weder erfüllt noch abgeschlossen.
Die Ausstellung möchte mittels einer kleinen Auswahl exemplarisch erfahrbar machen, in welchem Maße das Werk eines der wohl eigenwilligsten wie poetischsten Philosophen des 20. Jahrhunderts – der in diesem Jahr 125 Jahre alt geworden wäre – im komplexen Oeuvre eines der wohl eigenwilligsten und philosophischsten Laut- und Bildpoeten des 20. Jahrhunderts – der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag begangen hätte – seinen Niederschlag findet bzw. mit ihm korrespondiert. Unter der Sonne Microcosmi versammeln sich ausgewählte Zeugnisse der experimentellen Arbeit von Carlfriedrich Claus: zahlreiche Sprachblätter, die Aurora-Mappe, ein Briefentwurf, frühe Klang-Gebilde sowie eine Lautprozess-Produktion aus den 1990er Jahren. Die Arbeiten ermöglichen einen ausschnitthaften und zugleich Zusammenhänge herstellenden Einblick in die Themen und Stoffe, mit denen der Künstler sich sein Leben lang schöpferisch auseinandersetzte.
Im September 1986 schreibt Carlfriedrich Claus in einem Brief an Karola Bloch, die Witwe des 1977 verstorbenen Philosophen: „Es ist viel Dunkel in uns, in der Welt, Bleiernes, Ängste. Aber doch auch dieses unbegründbare Aufleuchten, Freude. Was Ernst Bloch als ‚Leichtheit in der Tiefe, Freudigkeit des Lichtwesens’ beschreibt. Eine leichte Bewegung in der Sonne Microcosmi, im Sonnengeflecht ein Strömen.“ – Dem Herzen, der Paracelsischen Sonne im „mesokosmischen“ (Bloch) Terrain des Mensch entspringen die Vorstellungskraft und das Willensfeuer als utopische Funktionen der Sehnsucht. So betrachtet, werden uns die Unabgeschlossenheit und Aktualität der Werke von Bloch und Claus und all deren Berührungspunkte bewusst.