Kunstwettbewerb "Gedenkort Güterbahnhof Moabit"

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten lobte in Abstimmung mit dem Bezirksamt Mitte von Berlin im April 2016 einen nichtoffenen Kunstwettbewerb mit 9 eingeladenen Künstlerinnen und Künstlern zur künstlerischen Gestaltung des „Gedenkorts Güterbahnhof Moabit“ in Berlin-Mitte aus.

Ziel und Herausforderung des Kunstwettbewerbs war es, den stadträumlich vergessenen Ort der Landkarte der Berliner Gedenkkultur hinzuzufügen und die längst überfällige Erinnerung in das kollektive Gedächtnis der nachfolgenden Generationen einzuschreiben. Lang war es ein vernachlässigter, unscheinbarer und gesichtsloser Ort, an dem beinahe alle Spuren der Geschichte verwischt wurden; ein Unort, eingezwängt in einem Industriegebiet, zwischen Baumarkt Hellweg und Supermarkt Lidl und den dazugehörigen Parkplätzen. Die Durchführung dieses Kunstwettbewerbs bietet nun die Chance, mit dem Erinnern und dem Vergessen sowie dem Verdrängen noch einmal anders Umzugehen und nicht zuletzt, die Frage nach dem Umgang mit Orten und ihrer Geschichte neu zu stellen.

Das Preisgericht hat unter Vorsitz von Prof. Dr. Stefanie Endlich am 18. August 2016 die Arbeit „Hain“ des Künstlerkollektivs raumlabor berlin mehrheitlich mit dem 1. Preis ausgezeichnet und zur Realisierung empfohlen.

Die Realisierung des Ergebnisses oblag dem Bezirk Mitte und wird finanziert durch Mittel der LOTTO-Stiftung Berlin. Die Einweihung des Gedenkorts Güterbahnhof Moabit fand am 16. Juni 2017 statt.

Pressefotos Gedenkort Güterbahnhof Moabit

Bitte beachten Sie, dass die Abbildungen urheberrechtlich geschützt sind und ausschließlich zur aktuellen Berichterstattung honorarfrei verwendet werden dürfen. Der Fotograf (Holger Herschel) muss genannt werden. Gern stellen wir Ihnen auf Nachfrage weiteres Bildmaterial zur Verfügung. Hierfür senden Sie bitte eine E-Mail an karoline.schierz@ba-mitte.berlin.de

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    Gedenkort Güterbhanhof Moabit 1 | Mai 2017

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    Gedenkort Güterbhanhof Moabit 2 | Mai 2017

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    Gedenkort Güterbhanhof Moabit 3 | Mai 2017

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    Gedenkort Güterbhanhof Moabit 4 | Mai 2017

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    Gedenkort Güterbhanhof Moabit 5 | Mai 2017

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    Gedenkort Güterbhanhof Moabit 6 | Mai 2017

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    Gedenkort Güterbhanhof Moabit 7 | Mai 2017

Wettbewerbsentwürfe

“Hain” von raumlabor berlin

Siegerentwurf (1. Rang), 1. Preis

“[…] Ein gepflasterter Weg zwischen Lidl und Hellweg, ein abgesenktes Stück verwilderte Wiese, ein halb zugewachsenes Gleis. Eine unvollständig angelegte, nicht nachvollziehbare Lindenallee. Hundekot. Direkt zum Weg gerichtet das große Schild „Hellweg – Ideen muss man haben“. Höllenweg. Der Ort wirkt wie die Inszenierung eines bitterbösen Kunstwerkes. Klarer, banaler, zynischer kann man das systematische Wegsehen, welches genau an diesem Ort vor 75 Jahren stattgefunden hat, nicht reinszenieren. Die völlige Abwesenheit von Empathie macht betroffen, traurig und ratlos. […] In unserem Entwurf versuchen wir diesen Ort in seiner heutigen Absurdität zu akzeptieren, die einzelnen Zeitschichten lesbar zu machen und dem Ort trotz all seiner Unwirtlichkeit so etwas wie Würde zu geben.” (raumlabor berlin)

Als tragende Idee des Entwurfs wird der Gedenkort durch einen Hain aus 24 Kiefern definiert; ein scheinbar deplatziertes und irritierendes Landschaftselement an einem lange vernachlässgten Unort. Die Intervention schafft einen eindeutigen Ort, der sich dem räumlichen Kontext entzieht und in der Vorstellung der Betrachter vielfältige Bilder und Assoziationen erzeugt. Durch das Wachsen der Vegetation wird die vierte Dimension, die Zeit, als Teil des historischen Ortes erlebbar. Das wesentliche Relikt der Gleisfragmente aus verschiedenen Zeitabschnitten wird ergänzt und bildet den Kern dieses transitorischen Ortes, der die Schwelle zwischen Berlin und den Todeslagern war. Die besondere Qualität und Angemessenheit des Entwurfes ergibt sich aus der Kohärenz einer Idee, ihrer Lesbarkeit und einer abstrakten Neuinterpretation des authentischen Ortes, Gleis 69 Moabit.

“WEG – ORT – NACHBARN” von Katharina Hohmann

2. Rand, 2. Preis

“[…] Aus der Stadt, dem urbanen Raum herausgenommen ist der Gedenkort zunächst nicht betretbarer Ort. Eine Schrifttafel, vom Deportationsweg aus zu sehen und zu erreichen, verschließt als Tor den Zugang und gibt Zeichen davon, dass der Ort betreten werden kann. Der Innenraum ist nicht einsehbar. […] Ein starkes und wichtiges Element meines Projektes jedoch ist die Einbeziehung der Nachbarn, die im Akt der Herausgabe des Schlüssels und des Gästebuchs mit in die Verantwortung genommen werden. Die Nutzung […] ist ein in die Zukunft gedachter Teil des partizipativen Konzeptes.” (Katharina Hohmann)

“DER HAIN – nach der Deportation” von Andrea Zaumseil

3. Rang, Anerkennung

“[…] Nach der Deportation: das ist ein anhaltender Zustand, der von den unmittelbaren Minuten nach der Abfahrt der Züge in die Vernichtungslager bis heute und darüber hinaus reicht. Der Entwurf knüpft an dem Beginn dieses Danach an, in dem wir uns heute immer noch befinden. Die Züge sind fort, zurück bleibt die Leere, die die Deportierten hinterlassen mussten, auf ihrem letzten Weg liegen verstreut noch Habseligkeiten, die im ungeordneten Aufbruch, Gedränge, Chaos zurückgeblieben sind.” (Andrea Zaumseil)

“ohne Titel” von Daniel Seiple

Wettbewerbsbeitrag

“[…] Im heutigen Zustand verweist der kleine Gleisabschnitt auf einen tiefen Riss im Bewusstsein der Stadt und im Gefüge der Menschen. […] Unabhängig davon, ob die Besucher den Rundgang von der Quitzowstraße oder der Ellen-Epstein-Straße aus betreten, werden sie mit dem tragischen historischen Bruch konfrontiert. Von der Quizowstraße her kommend, wird man die letzten Schritte des Deportationswegs nachvollziehen und sich die Masse der Menschen vorstellen, die von hier aus deportiert wurde. Aus der anderen Richtung, von der Ellen-Epstein-Straße her eintretend, wird man sich die geschichtliche Verwobenheit mit der Stadt bewusst machen können. […] Dabei haben sowohl die Wahl der Steine als auch die Wahl des Materials eine symbolische Funktion.” (Daniel Seiple)

“So viele Stimmen / so viele Fragen” von Katharina Heilein

Wettbewerbsbeitrag

“[…] Die Deportationen auf den Rampen wurden […] einerseits von den Betroffenen in ihrer direkten, schrecklichen Wirklichkeit erlebt und gleichzeitig wurde von vielen Nicht-Betroffenen beobachtet und zugehört. Diese parallele Erfahrbarkeit des Ortes soll heute wiederhergestellt werden, um das Gedenken an die deportierten Menschen mit der Frage nach der Entwicklung von Haltungen beim Zuschauen und Zuhören zu verbinden. Das Hineinversetzen in die damalige Wirklichkeit des Deportationsortes [soll] verstärkt werden durch die Errichtung einer Silhouette des ehemaligen Bahndammes. Was früher die Einsehbarkeit der Militärrampe und des Gleises 69 eingeschränkt hat, soll heute die Sichtbeziehung zwischen dem Mahnmal auf der Putlitzbrücke und dem Gedenkort ermöglichen.” (Katharina Heilein)

“von Wohnung zu Wohnung. Erinnerungsraum Moabit – Moabiter Nachbarschaftsabkommen” von Georg Winter

Wettbewerbsbeitrag

“[…] Das künstlerische Konzept sieht die Erweiterung der Gedenkstätte vom Gedenkort Güterbahnhof Moabit in das gesamte Stadtgebiet Moabit vor. Rückwirkend auf den Ort und seine Lebendigkeit ist wiederum das Engagement der Moabiter Bewohnerinnen und Bewohner aus den Wohnungen, Schulen, Vereinen heraus in den Erinnerungsraum. […] Der Deportation an Orte der Verantwortungslosigkeit geht der Entzug von Wohnung voraus. Die Sicherheit der Wohnung gibt den Spielraum verantwortlich nach Innen und Außen zu handeln.” (Georg Winter)

“retour” von Albert Weis

Wettbewerbsbeitrag

“[…] Die Skulpturen beschreiben den Weg der Deportation zum Ausgangsort zurück und verweisen so auf das Leben davor, das in Erinnerung behalten werden soll. Sie verweisen auf die sozialen, technischen und kulturellen Leistungen, die mit dem Mord an den Juden jäh beendet wurden. Nicht zuletzt verweisen sie auf die menschliche Tragödie, den Verlust. […] Über seine charakteristischen Formen behaupten sich die beiden Skulpturen gegenüber den Werbeschildern von Lidl und Hellweg-Baumarkt. Wie zwei Blitze zeigen sie auf den Ort des Schreckens, den Ort, von dem aus die Deportationen in die Vernichtung führten.” (Albert Weis)

“NACHBARGLEIS” von Oscar Ardila

Wettbewerbsbeitrag

“[…] Durch die geplante Landschafts- und Lichtintervention soll der Besucher das Stück Gelände als die letzte Station des Deportationsweges identifizieren können. Geschichtlichkeit und historische Bedeutung des Ortes werden dabei durch das Erkennen von historischen Spuren wie dem Deportationsgleis 69, der Militärrampe und dem Deportationsweg ins Gedächtnis gerufen. Und die Intervention soll auch eine gedankliche Brücke zwischen den ehemaligen und den gegenwärtigen Nachbarn und damit eine Art alternatives Gedenken ermöglichen. Ein wichtiger Punkt der Intervention ist auch die Visualisierung des Ortes für den in geringer Entfernung passierenden (S-Bahn und Zug), wobei die Lichtintervention in verkleinertem Maßstab den Grundriss des Deportationsweges nachbildet.” (Oscar Ardila)

“Voids – Die Umkehrung vom Gedanken des Sieges” von Victor Kégli

Wettbewerbsbeitrag

“[…] eine Kennzeichnung des Ortes, um wieder sichtbar zu werden. So wird er physisch erfahrbar und zu einem neuen Erinnerungsraum. Das Denkmal ermöglicht die Bewahrung der Historie in unserer Erinnerungskultur. Dafür werden Denkmäler gebaut. Mit ihrer symbolischen Aufladung verdinglichen sie vergangene Ereignisse. Sie komplementieren unser Gesellschaftsbild. Hintergrund: Die meisten Denkmäler heroisieren vergangene Geschehnisse unabhängig von deren Ausgang. Ein Denkmal für einen Deportationsbahnhof verweist nicht nur auf die Opfer, sondern auch auf die Mitwisser, die Weggucker, auf alle Verantwortliche. Der Ort, an dem Vernunft und Moral einer allgemeinen, grausamen Ignoranz weichen musste, ist ein Ort der Schande und Scham geworden. Im Jahr 1791 wurde das Brandenburger Tor errichtet als ein Triumphtor, gekrönt von Victoria, die den Sieg in die Stadt hineinführt. Diese Symbolik wird umgekehrt und so für den Un-ort eingesetzt. Idee: Das negative Triumphtor ist die Umkehrung des Gedankens von Sieg.” (Victor Kegli)