Das Bezirksamt Mitte von Berlin lobte 2020 einen Einphasigen nichtoffenen, anonymen Kunstwettbewerb mit neun Künstler*innen und Künstler*innengruppen für das Vorhaben „Letzte Wege“ zur künstlerischen Gestaltung eines Gedenkprojekts zur Sichtbarmachung des logistischen Vernichtungsnetzes der Nationalsozialisten in Berlin aus.
Das Bezirksamt Mitte von Berlin möchte mit dem Vorhaben Letzte Wege einen besonderen Beitrag zur Gedenkkultur leisten und einen wichtigen Impuls für eine neue europäische Erinnerungskultur setzen. Im Mittelpunkt des Projekts steht, neue Aufmerksamkeit für die Parallelität komplett gegensätzlicher Situationen zu schaffen – zwischen dem scheinbar normalen Alltag der einen Stadtbewohner*innen und dem existentiellen Ausnahmezustand der anderen jüdischen Mitbürger*innen, die sich in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander befunden haben.
Letzte Wege macht die konkrete historische Ausformung des Antisemitismus im 20. Jahrhundert sichtbar und wirft zugleich universelle Fragen des zivilgesellschaftlichen Miteinanders auf. In der nach wie vor offenen Frage, warum es möglich war, dass eine Gesellschaft diese menschenverachtende Spaltung zuließ und zusah, liegt die grundsätzliche Aktualität des Vorhabens.
Mit Letzte Wege soll ein zeitgenössisches Projekt des Gedenkens entstehen, das die Sammellager, den Deportationsbahnhof (heute Gedenkort Güterbahnhof Moabit) sowie die dazwischenliegenden Wege im Bezirk Mitte in einen erfahrbaren Zusammenhang setzt und damit das logistische Vernichtungsnetz der Nationalsozialisten im Stadtraum langfristig erkennbar macht.
2020 jährt sich zum 75. Mal das Ende des Zweiten Weltkrieges, in dessen Schatten sich die Verfolgung der jüdischen Bürger*innen in besonderer Weise entfalten konnte. Zwischen 1941 und 1945 wurden mehr als 50.000 Juden und Jüdinnen, und damit der Großteil der damaligen jüdischen Bevölkerung Berlins, mit über 90 Zugtransporten überwiegend in die Ghettos und Vernichtungslager in Osteuropa und nach Auschwitz-Birkenau und Sobibór deportiert, wo sie fast alle ermordet wurden. Vor aller Augen wurden sie in Berlin zu Tausenden von den Sammellagern zu den drei Deportationsbahnhöfen durch die Straßen getrieben. Die systematische Verfolgung der jüdischen Bevölkerung konzentrierte sich nicht nur auf Berlin, sondern fand ebenfalls in anderen deutschen Städten statt.
Grundvoraussetzung für die Wettbewerbsbeiträge war eine intensive Auseinandersetzung mit Fragen des Erinnerns und Gedenkens im Sinne einer zeitgenössischen Erinnerungskultur. Bereits bestehende Erinnerungsorte wie der Gedenkort Güterbahnhof Moabit mussten dabei beachtet werden. Darüber hinaus waren für die Entwicklung des Konzepts alle künstlerischen und wissenschaftlichen Disziplinen und interdisziplinären Ansätze möglich, insbesondere auch weniger traditionelle Kunstformen im Stadtraum wie beispielsweise Musik-, Klang-, Textinstallationen.
Der Fachbereich hat des Weiteren die Publikation “Systematik der Deportationen – Orte und Erinnerungen – Berlin 1941-45“ zu dem Thema herausgeben. Das Buch kann online bestellt werden.
Die Initiative „Ihr letzter Weg“ und der Verein „Sie waren Nachbarn“ haben außerdem einen Audio-Walk veröffentlicht, der kostenlos zum Download bereit steht.
Unter Vorsitz des Künstlers Francesco Apuzzo diskutierte das Preisgericht am 10.12.2020 umfänglich alle eingereichten künstlerischen Entwürfe und entschied sich, keine Realisierungsempfehlung auszusprechen und das Preisgeld zu gleichen Teilen an die drei Siegerentwürfe zu vergeben.