Der 1. Mai war der wichtigste Feiertag der Arbeiterbewegung. Die Berliner ArbeiterInnenschaft feierte ihn seit 1890 jedes Jahr. Er erinnert an den blutigen Konflikt um den Achtstundentag auf dem Haymarket in Chicago im Mai 1886. Zum 40. Mal jährte sich 1929 der Beschluss der internationalen ArbeiterInnenorganisationen, den 1. Mai zum „Kampftag der Arbeiterbewegung“ zu machen. An diesem Kampftag organisierten Arbeiter-Innen traditionell große Demonstrationen und Saalveranstaltungen. Sie sollten die Forderungen und die Stärke der Arbeiterbewegung bekräftigen. Die SozialdemokratInnen hielten die schon erreichten Erfolge der Weimarer Republik hoch – die KommunistInnen riefen zu einer sozialistischen Revolution auf. Ein gesetzlicher Feiertag war der 1. Mai 1929 noch nicht.
Gedenkstein zum "Blutmai" 1929
Bild: CC BY-SA 4.0 DEED 7 Wikipedia
Im Jahre 2004 stellte das Quartiersmanagement Pankstraße einen Gedenkstein auf zur Erinnerung an die Geschehnisse vom 1.-3. Mai 1929 (allgemein als „Blutmai‟ bekannt). Der Stein liegt an der Walter-Röber-Brücke, die die Panke in der Wiesenstraße, nahe der Kösliner Straße, überquert.
Die Aktionsgemeinschaft (AG) Gedenkstein ist aktiv im Rahmen des Tageszentrum Wiese 30, eine Initiative der Kontakt und Begegnungsstätte e.V. (KBS e.V.). Die AG hat eine Stele mit einer Internetadresse an diesem Ort angebracht, damit Bürgerinnen und Bürger und Besucher sich näher über die damaligen Ereignisse informieren können.
Sie sehen nachfolgend die Inhalte der Webseite “blutmai.de” der “Aktionsgemeinschaft Gedenkstein”. Die Texte verfasste Oliver Gaida.
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Warum war der 1. Mai für die Arbeiterinnen und Arbeiter so bedeutend?
Bild: Bundesarchiv, Bild 102-07708/Sturkow (a.o.t.)/© CC-BY-SA 3.0
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Warum verbot der sozialdemokratische Polizeipräsident alle Demonstrationen?
Bild: Wikipedia CC-BY-SA 3.0
Der Grund für das Demonstrationsverbot waren die Provokationen der Nationalsozialisten, insbesondere von Adolf Hitler. Wegen seiner antisemitischen und demokratiefeindlichen Auftritte hatte er in Preußen Redeverbot. Im September 1928 hoben es die Behörden jedoch auf. Schon bei seiner ersten Berliner Rede am 16. November forderten die Straßenschlachten mehrere Tote. Daraufhin verbot der sozialdemokratische Berliner Polizeipräsident Karl Zörgiebel alle Versammlungen unter freiem Himmel. Er verlängerte das Verbot – ausdrücklich auch für den 1. Mai 1929. Die KPD kündigte an, sich daran nicht halten zu wollen. Für diesen Fall spekulierte die sozialdemokratische Zeitung „Vorwärts“ schon am 29. April in ihrer Spätausgabe, dass es zu Gewalt kommen würde. Sie titelte: „200 Tote am 1. Mai? Verbrecherische Pläne der Kommunisten“.
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Wie reagierten die KommunistInnen der KPD auf das Demonstrationsverbot?
Bild: Bundesarchiv, B 145 Bild-P046278/Carl Weinrother/© CC-BY-SA
Die KommunistInnen waren über das Verbot empört. Sie riefen zu Demonstrationen auf. Die kommunistische Partei (KPD) folgte schon seit Mitte 1928 dem politischen Kurs der Sowjetunion unter Josef Stalin. Für die internationale Vereinigung der kommunistischen Parteien unter der Leitung Stalins (Kommunistische Internationale) war Berlin ein wichtiger Ort. Hier sollte die sozialistische Revolution in Richtung Westeuropa beginnen. Zugleich schloss die KPD entsprechend der Linie Stalins mehrheitlich jede Kooperation mit SozialdemokratInnen aus. Die Stalin-Anhänger in der KPD nutzten deshalb jede Gelegenheit, um sich abzugrenzen. Am 1. Mai 1929 sollten folglich möglichst viele Arbeiterinnen und Arbeiter auf die Straße gehen. KPD-Flugblätter vom 30. April behaupteten sogar, dass das Verbot aufgehoben sei.
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Warum war gerade im „Roten Wedding“ die Stimmung so angespannt?
Bild: Bundesarchiv, Bild 102-08924/Unbekannt, möglicherweise Carl Weinrother/© CC-BY-SA
Im Wedding qualmten im 19. Jahrhundert die ersten Schlote der großen Fabriken Berlins. Um sie herum siedelten sich Arbeiterinnen und Arbeiter an. Sie lebten vielfach unter ärmlichsten Bedingungen. Sie drängten sich in feuchte, beengte Mietskasernen. Der klassische ArbeiterInbezirk stieg zu einer Hochburg der Arbeiterbewegung auf. Die SPD errang hier die besten Wahlergebnisse. Seit 1928 überholte die KPD die Sozialdemokraten jedoch. Beide ArbeiterInparteien konkurrierten heftig um die Stimmen des „Roten Wedding“: die regierenden SozialdemokratInnen bauten für sie moderne städtische Wohnquartiere – wie die Schillerpark-Siedlung oder die Friedrich-Ebert-Siedlung. Währenddessen prangerten die oppositionellen KommunistInnen die Not vieler Erwerbsloser an. Diese lebten meist rund um die Kösliner Straße und den Meyers Hof in der Ackerstraße. Die KPD wollte nicht nur Reformen wie die SPD, sondern an der Sowjetunion orientiert einen revolutionären Bruch mit dem politischen System.
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Was geschah am 1. Mai 1929 in Berlin, speziell im Wedding?
Bild: Bundesarchiv, Bild 102-07707/© CC-BY-SA 3.0
Am Morgen des 1. Mai zogen ungefähr 8.000 Menschen durch Berlin. Sie verteilten sich auf viele Demonstrationszüge von 50 bis 500 Personen. Vor allem waren sie in den ArbeiterInvierteln und in Richtung Alexanderplatz unterwegs. Die KPD hatte eine deutlich höhere Teilnehmerzahl erhofft. Gegen die Menschenansammlungen setzte die Polizei Schlagstöcke und Wasserschläuche ein. Parallel hielten die SPD und die Gewerkschaften erlaubte Kundgebungen im Saal ab. Ab Mittag eskalierte die Lage: nun schoss die Polizei. In der Kösliner Straße im Wedding töteten sie ausgerechnet ein SPD-Mitglied, Max Gemeinhardt. Er hatte sich nicht rechtzeitig von seinem Fenster entfernt. Gegen eine improvisierte Barrikade in der Kösliner Straße fuhr die Polizei Panzerwagen mit Maschinengewehren auf
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Wie verliefen die Tage nach dem 1. Mai 1929?
Bild: Bundesarchiv, Bild 102-07717/Sturkow (a.o.t.)/© CC-BY-SA 3.0
Die KPD rief für den 2. Mai zum Massenstreik auf. Ihm schlossen sich jedoch mit 25.000 Arbeiterinnen und Arbeitern weniger Menschen als erwartet an. Schon am Tag zuvor war die Zahl der Teilnehmenden unter den Erwartungen geblieben. Die Polizei und die preußische Regierung zeigten Härte: die Behörden verboten die kommunistische Zeitung „Rote Fahne“ für mehrere Wochen. Die Polizei kreiste ausgewählte Stadtgebiete ein und durchsuchte Häuser. Dabei kam es immer wieder zu Gewaltausbrüchen. Am 3. Mai erließ der Polizeipräsident außerdem ein allgemeines „Verkehrs- und Lichtverbot“: niemand sollte nachts mehr auf der Straße und kein Licht mehr zu sehen sein. Die Stimmung blieb enorm angespannt. So erschossen Polizisten am 3. Mai den neuseeländischen Journalisten Charles Mackay. Er hatte vermutlich ihre Anweisungen nicht verstanden. Bis zum 6. Mai hielt die Gewalt an.
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Wie viele Opfer forderten die Maitage 1929?
Bild: Bundesarchiv, Bild 102-07709/Sturkow (a.o.t.)/© CC-BY-SA 3.0
Die Zahl der Todesopfer betrug mehr als 30. Hinzu kommen mindestens 198 Verletzte und 1.228 Festgenommene. Von den Verhafteten hatte lediglich jeder 10. eine Verbindung zur kommunistischen Partei. 89 gehörten deren paramilitärischer Organisation, dem „Roten Frontkämpferbund“, an. Er wurde umgehend verboten. Die Gerichte verurteilten schließlich nur 43 Personen zu Geld- und Haftstrafen. Die längste Gefängnisstrafe betrug neun Monate. Auf Seiten der Polizisten gab es 47 Verletzte. Die Verletzungen stammten aber nicht von Schüssen der ArbeiterInnen. Die Polizei hingegen gab ungefähr 11.000 Schuss ab.
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Wer untersuchte die Vorkommnisse vom Mai 1929?
Die Polizei oder andere Behörden untersuchten die Vorkommnisse nicht offiziell. Nur die Menschenrechtsorganisation „Deutsche Liga für Menschenrechte“ gründete einen „Ausschuss zur Untersuchung der Berliner Maivorgänge“. Mit diesem Ausschuss wollte der linke Strafverteidiger Hans Litten die Verteidigung der Angeklagten vorbereiten. Er hatte Gewalt gegen Demonstrierende beobachtet und Anzeige gegen den Polizeipräsidenten erstattet. Ihn unterstützten Prominente wie die Schriftsteller Alfred Döblin, Heinrich Mann und Carl von Ossietzky. Im Oktober 1929 legten sie ihren Abschlussbericht vor: darin verglichen sie die Einstellung der Polizisten mit der von Weltkriegssoldaten im Feindesland. Die Polizisten hätten deshalb besonders brutal gehandelt.
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Wie gingen die KommunistInnen der KPD mit den Ereignissen um?
Die KPD wies jede Verantwortung für die Gewalt von sich. Allerdings betonte ihr Vorsitzender Ernst Thälmann: „Die Kommunistische Partei solidarisiert sich völlig mit denjenigen, die auf den Barrikaden gestanden haben.“ Die KPD nutzte die Ereignisse für ihre Propaganda. Sie verbreitete auch den Begriff „Blutmai“. Primär ging es den Stalin-nahen ParteifunktionärInnen darum, für die sogenannte Sozialfaschismus-These zu werben. Die SozialdemokratInnen seien nur der linke Flügel des Faschismus und die soziale Stütze des Kapitalismus. Die SPD erschien so als Hauptgegnerin der KPD. Die KPD pflegte den „Blutmai“-Mythos: Ernst Thälmann verlegte extra den Parteitag der KPD 1929 in den Wedding und ließ AnhängerInnen durch die Kösliner Straße ziehen. Die Stalin-nahen FunktionärInnen bestimmten das Bild.
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Wie gingen die SozialdemokratInnen der SPD mit den Ereignissen um?
Die SPD versuchte, die Demonstrationen der KPD als Putschversuch zu brandmarken. Der sozialdemokratische preußische Innenminister weitete das Verbot der paramilitärischen KPD-Organisation „Roter Frontkämpferbund“ noch im Mai 1929 über Berlin hinaus aus. Ein Verbot der KPD verwarf er allerdings. Eine Schuld an der Gewalt räumten die sozialdemokratischen Regierungs- und ParteivertreterInnen nicht ein. Sie blockierten offizielle Untersuchungen und reformierten auch nicht die Polizei. Die konkreten Vorfälle der Maitage sollten vielmehr verschwiegen werden.
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Warum gab es mit dem „Roten Wedding“ sogar ein eigenes Lied zum „Blutmai“?
Viele Arbeiterinnen und Arbeiter sangen das Lied „Roter Wedding“. Den Text schrieb Erich Weinert, Hanns Eisler komponierte es für ein Theaterstück. Der Liedtext klagte Polizei und SPD an: „Links, links, links, links! Trotz Zörgiebels Polizei (…) Wir gedenken des ersten Mai! (….) Der Rote Wedding vergisst es nicht und die Schande der SPD!“. Außerdem schrieb der kommunistische Schriftsteller Klaus Neukrantz den Roman „Barrikaden am Wedding“. Er erschien 1931. In den 1930er Jahren wandelte sich die Rolle des Liedes „Roter Wedding“. Es erhielt mehrfach einen neuen Text. Angesichts der nationalsozialistischen Herrschaft rückte der Gedanke einer geeinten Arbeiterbewegung wieder nach vorne. Das antifaschistische Kampflied löste sich so von den Ereignissen des Mai 1929.
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Was bedeutete der „Blutmai“ für die Arbeiterbewegung und für die Weimarer Republik?
Die SPD rechtfertigte unbeirrt die Gewalt – während die KPD auf ihrer Botschaft beharrte: mit der Sozialdemokratie dürfen KommunistInnen nicht zusammenarbeiten. Andere Stimmen waren nach den Ereignissen des Mai 1929 in den Reihen der KPD kaum noch zu hören. Die „Sozialfaschismus-Ideologie“ hatte sich durchgesetzt. Die Arbeiterbewegung spaltete sich damit noch tiefer. Davon profitierten besonders die Nationalsozialisten. Die ArbeiterInparteien waren geschwächt und konnten ihnen weniger Widerstand entgegensetzen. Gerade in der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise wuchs die NSDAP rasant – auch im ArbeiterInmilieu. Ein Großteil des Bürgertums wandte sich deutschnationalen und völkischen Parteien zu. 1933 konnten sie die Macht entgegennehmen und die NSDAP eine Diktatur errichten.
Die Stele mit QR-Code wurde gefördert von: KBS e.V., Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat – Städtebauförderung, Soziale Stadt, Quartiersmanagement Pankstraße, Bezirksamt Mitte, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.
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