Gesichter des MPI: Prof. Stephan Seeck

Luftbild von einem Parkplatz mit einigen LKWs

Stephan Seeck, Professor für Logistik und Supply Chain Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, will dazu beitragen, dass Berlin Leuchtturm für urbane Mobilität wird.

Logistik und Supply Chain Management in Wissenschaft und Praxis durchdringen und neue Lösungen für den Industriestandort Berlin entwickeln: Das ist die Leidenschaft von Professor Stephan Seeck. Er lehrt und forscht an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin zu Logistik und Supply Chain Management. Im gleichen Themenbereich ist er seit mehr als 25 Jahren als Unternehmensberater engagiert. In einem seiner aktuellen Forschungsprojekte untersucht er mit seinem Team, wie die Ver- und Entsorgung für Berliner Industriestandorte nachhaltig organisiert werden kann: Das Projekt „Industrieverkehr und Mobilitätswende wird vom Masterplan Industriestadt Berlin 2022 – 2026 (MPI) unterstützt.

Portrait Stephan Seeck
Berlin kann Vorbild sein, denn was hier funktioniert, funktioniert auch in jeder kleineren Stadt.
Prof. Stephan Seeck, Professor für Logistik und Supply Chain Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin

Forschungsprojekt wurde zum Startup
Seecks Forschungsgebiet ist die urbane Logistik, an rund 45 Projekten hat er schon mitgearbeitet. Er will vor allem Wege finden, wie die Zustellung von Sendungen in Städten besser organisiert werden kann. „Mein persönlicher Impuls dazu kam, als ich früher in einer klassischen Dachgeschosswohnung im Altbau gewohnt habe – im fünften Stock, ohne Fahrstuhl. Da haben an einem Samstag vier Paketboten von unterschiedlichen Anbietern geklingelt. Als Logistiker dachte ich mir: Das kann doch nicht effizient sein.“ Ein Forschungsprojekt zum Thema ist zu einem Startup gewachsen: Die „Kiezbote GmbH“ stellt innerstädtische Lieferungen nachhaltig per Lastenrad zu. Die Empfängerinnen und Empfänger können die Zustellung per App für ein bestimmtes Zeitfenster bestellen.



Im Feldversuch Pakete mit Sand gefüllt
Von der Paketzustellung an Privatkunden ging Seecks Blick weiter zu Logistik für Unternehmen im urbanen Raum: „Wir haben für Tchibo ein Projekt aufgebaut, bei dem wir deren Shop-in-Shop-Stationen in Supermärkten oder Drogerien beliefert haben. Wir wollten erkunden, wie diese Belieferung auf der sogenannten letzten Meile optimiert werden kann.“ Um zu zeigen, dass das entsprechende Konzept nicht nur auf dem Papier funktioniert, wurde ein Feldversuch aufgesetzt. Die Pakete waren anfangs mit Sand gefüllt statt mit Waren, um das Gewicht der eigentlichen Sendungen zu imitieren, gleichzeitig aber den realen Betrieb nicht zu gefährden. „Wir konnten dann ein halbes Jahr lang zeigen, dass es funktioniert – ohne das Risiko, dass die Pakete nicht angekommen wären.“ Mithilfe von Simulationsverfahren können sein Team und er auch größere Anwendungsfälle prüfen. „Damit versuchen wir, die Unternehmen zu überzeugen, dass es sich lohnt, in ihrer Logistik etwas zu verändern, um klimaneutral zu werden und die urbane Infrastruktur zu entlasten“, so Seeck.

Eine Draufsicht auf eine Entladestation für LKWs

Entwicklung von realistischen Lösungsideen
Das MPI-Projekt „Industrieverkehr und Mobilitätswende“ konzentriert sich auf die Herausforderungen, vor denen die Ver- und Entsorgung Berliner Industriestandorte im Rahmen der Verkehrswende stehen: „Hier wird auch die Logistik komplexer“, so Stephan Seeck. Industrieunternehmen werden mit Rohstoffen und Teilen versorgt und müssen dann die erstellten Produkte sowie Abfälle entsorgen – diese Transporte erfolgen heute fast ausschließlich mit dem LKW. Dies ist in einer Metropole mit viel Individualverkehr wie Berlin eine große Herausforderung. Dies gilt umso mehr für Industriestandorte mit vielen klein- und mittelständischen Unternehmen, bei denen die Transporte meist ungesteuerte eintreffen und sich dann auf den Zufahrtsstraßen öfters gegenseitig blockieren.

„Wir schauen uns Engpässe an, die es heute schon gibt, und stellen Prognosen auf, welche in Zukunft dazukommen können. Unser Fokus liegt auf durch viele Unternehmen genutzte Industriestandorte wie z.B. die „Motzener Straße“, „Großbeerenstraße“ oder „Herzbergstraße“. Und wir entwickeln realistische Lösungsideen, die wir mit der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt diskutieren werden.“ Diese Lösungen können physisch oder digital sein, untersucht werden unter anderem neue Fahrzeugtypen wie ein Lastenrad-Zug, autonome Boote und eine KI-basierte Software der Steuerung von Ver- und Entsorgungsverkehren.

Seeck weist darauf hin, dass Unternehmen im Tagesgeschäft kaum dazu kommen, diese Themen in den Mittelpunkt zu rücken. „Dass man auch in zehn Jahren noch wettbewerbsfähig sein will, ist klar – entsprechend stark wird in Produkten und Innovation gedacht. Logistik ist da eher ein Nebenthema, für das oft nicht viel Raum bleibt. Unsere Lösungsideen adressieren die Stadt Berlin, welche die Logistikinfrastruktur bereitstellt.“ So könnte zum Beispiel eine Micro-Hub-Struktur aufgebaut werden, die durch ein großes Hub außerhalb der Stadt versorgt wird. Was sich Stephan Seeck von den Unternehmen der Stadt wünscht, ist vor allem Offenheit: „Die Industrie sollte Ansätze wie die, denen wir in unserer Forschung nachgehen, anhören und schauen, was davon umgesetzt werden kann – um die Verkehrswende, den Klimaschutz und die Zukunft Berlins als führenden Industriestandort in Europa mitzugestalten.“ Er möchte mit seiner Arbeit dazu beitragen, dass Berlin ein Leuchtturm der urbanen Logistik wird: „Wir können Vorbild sein, denn was hier funktioniert, funktioniert auch in jeder kleineren Stadt. Und es kann ein Alleinstellungsmerkmal von Berlin werden, dass hier urbane Logistik anders gedacht und umgesetzt wird – dass die Stadt Vorreiter ist.“

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Ein großes Interesse an der Welt*

Seine wissenschaftlichen Wurzeln liegen in der Physik. Er studierte das Fach an der Technischen Universität Berlin, wo er dann auch promovierte. „Ich wollte aber nicht mein Leben lang im Labor stehen und habe mir deshalb neue Aufgabengebiete gesucht“, erinnert er sich. „Gleichzeitig wollte ich auch in die Lehre gehen, weil ich schon immer gern Wissen weitergegeben habe. Schon während meiner Schulzeit habe ich Nachhilfe in Mathe und Physik gegeben und später an der Uni Lehraufträge übernommen.“ Sein Faible für die Naturwissenschaften erklärt er mit einem großen Interesse an der Welt: „Ich wollte schon immer wissen, wie alles zusammenhängt.“ Zudem ist ihm diese Leidenschaft ein Stück weit in die Wiege gelegt worden: Schon sein Vater war Professor für Physik.

Blick durch einen langen Gang eines Warenlagers

*Logistik hat große Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft
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„Ich wollte auch Professor an einer Hochschule der angewandten Wissenschaften werden und wusste, dass ich dafür neben der Promotion, also den wissenschaftlichen Fähigkeiten, auch Tätigkeiten in der Wirtschaft nachweisen muss.“ Er entschied sich für eine Beratertätigkeit und kam durch Zufall zu einer Gesellschaft, die auf Logistik spezialisiert war und enge Kontakte zur TU Berlin hatte. Er wurde bald Projektleiter und übernahm auch Lehraufträge an der Universität. „Ich habe fast alle Branchen kennengelernt außer Automobil, der Fokus lag auf Handel und Konsumgütern.“ Nach 15 Jahren in der Beratung übernahm er eine erste Gastprofessur in Münster. „Für mich war jedoch immer klar, dass ich in Berlin bleibe. Ich bin hier geboren und fest in der Stadt verwurzelt“, so Seeck. An der HTW bildet Stephan Seeck hauptsächlich Wirtschaftsingenieure und -ingenieurinnen aus. „Logistik ist bei ihnen ein sehr beliebtes Fach, weil es viele technische Aspekte hat und quasi in der Mitte zwischen Wirtschaft und Ingenieurwesen liegt. Es ist keine reine BWL, wo man vor allem mit Statistiken und Umfragen arbeitet, sondern es laufen Formeln im Hintergrund, mit denen man Lieferketten berechnet oder Lager plant. Und Logistik hat eine große Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft: Sie alleine hat scheinbar keinen Output, stellt nichts her – aber sie wird überall gebraucht, vor allem in der Industrie.“

In Kontakt mit der Berufspraxis

Die Arbeit in der Beratung setzt Stephan Seeck ebenfalls fort: Er unterstützt die Berliner Logistikberatung 4flow SE. Dadurch ist er immer mit der Berufspraxis in Kontakt. „Ich denke, das ist auch der wichtigste Unterschied zwischen Universitäten und Hochschulen der angewandten Wissenschaften: An letzteren kennen wir Professoren auch die Wirtschaft gut. Bei uns wird viel mehr Wert darauf gelegt, dass wir entsprechende Erfahrung mitbringen und diese in die Lehre übersetzen. Um Professor an der HTW zu werden, sind drei Jahre Berufserfahrung Mindestvoraussetzung: Ich glaube, kaum eine Kollegin oder Kollege von mir hier hat weniger als zehn Jahre vorzuweisen.“

Logistik im Industriegebiet Motzener Straße

Berlin sei mit vielen Wirtschaftsstandorten und Industriebetrieben in der Stadt ein optimales Feld für logistische Forschung. „Durch die Nähe der Industriestandorte zu Wohngebieten mischen sich oft privater Verkehr und Wirtschaftsverkehr.“ Wie zum Beispiel im Industriegebiet Motzener Straße in Berlin-Marienfelde, wo ein Unternehmensnetzwerk mit 60 kleinen und mittelständischen Unternehmen die Logistik im eigenen Industriegebiet grüner gestalten will. Das Ziel: „Null Emission Motzener Straße“ und ein „Grünes Kraftwerk“. Letzteres ist ein Projekt, das auch vom MPI unterstützt wird: Mit „Grünes Kraftwerk – Visualisierung der regenerativen Energieerzeugung werden die Mengen an Energie, die dort durch umweltfreundliche Strom- und Wärmeerzeugung – etwa durch Photovoltaikanlagen, Wärmepumpen und Wärmerückgewinnung aus der Produktion – entstehen, in Echtzeit online dargestellt.



Reallabor für die Energiewende

Für eine grünere Logistik am Standort begleiten Professor Seeck und seine Kollegin Professorin Birte Mahlzahn nun einen Feldversuch und entwickeln eine Roadmap für die nachhaltige Umstellung von Warenströmen mit. Statt Pakete und Stückgut mehrmals am Tag mit Lkw zu liefern, werden sie in einem rund acht Kilometer entfernten Güterverteilzentrum in Großbeeren gebündelt und dann in einer täglichen Lieferung zugestellt – inzwischen auch mit einem Lkw mit Elektroantrieb. Die Waren, welche die Unternehmen versenden wollen, sollen auf der Rückfahrt mitgenommen werden, um Leerfahrten zu reduzieren. Ein halbes Dutzend Unternehmen hat bereits an dem Feldversuch teilgenommen.