Gesichter des MPI: Nele Techen, Sandra Saeed

Mehrere Hände sind zur Meldung gehoben

Mitbestimmung macht erfolgreicher

Nele Techen (DGB) und Sandra Saeed (PCG Projekt Consult) setzen sich über das Projekt „Nachhaltige Transformation durch Mitbestimmung“ für gute Arbeitsbedingungen ein.

Sie wirken beide aktuell an dem MPI-Projekt „Nachhaltige Transformation durch Mitbestimmung” mit. Welchen Hintergrund bringen Sie mit?

Sandra Saeed: Ich arbeite bei PCG – Project Consult GmbH. Wir arbeiten für Betriebsräte und die DGB-Gewerkschaften als externe Sachverständige nach dem Betriebsverfassungsgesetz, bieten Schulungen und Coachings und machen eben auch Projekte wie ‚Nachhaltige Transformation durch Mitbestimmung‘. Unser Ziel ist, dass Betriebsräte ihre Mitbestimmung kompetent ausschöpfen und den Wandel im Sinne ‚Guter Arbeit‘ weiter ausgestalten. Mit diesem Begriff beschreibt eine Initiative des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) das Leitbild einer modernen Arbeitswelt, die den Blick auf die Qualität der Arbeitsbedingungen richten soll.

Gesichter des MPI: Saeed
Unser Ziel ist, dass Betriebsräte ihre Mitbestimmung kompetent ausschöpfen und den Wandel im Sinne ‚Guter Arbeit‘ weiter ausgestalten.
Sandra Saeed, PCG Projekt Consult

Nele Techen: Ich bin seit Anfang 2022 stellvertretende Vorsitzende des Bezirks Berlin-Brandenburg des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Zuvor war ich neun Jahre bei der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen tätig, wo ich den Bereich Wirtschafts- und Strukturpolitik verantwortet habe. Im Bereich Industriepolitik war ich davor schon aktiv, etwa seit 2006, als sich DGB, IG Metall, IG BCE, NGG und IG Bau mit anderen Akteurinnen und Akteuren zusammengeschlossen haben, um sich für einen höheren Stellenwert der Industriepolitik in der Hauptstadtregion einzusetzen.

Damals war Klaus Wowereit Regierender Bürgermeister, der Berlin vor allem als Kultur- und Kreativstadt vorangetrieben hat.

Nele Techen: Ja, und das war gut und richtig. Aber wir wollten auch die Potenziale von Industrie benennen und daran erinnern, wie wichtig sie ist: Eine starke Industrie unterstützt viele andere Bereiche, vergibt Dienstleistungsaufträge und bringt Kaufkraft in die Stadt. Aus diesem Zusammenschluss sind verschiedene Formate entstanden, unter anderem eine Studie, die aufgezeigt hat, wie viel Potenzial für Arbeitsplätze in der Berliner Industrie liegt. Diese war auch mitprägend für die Erarbeitung des Masterplan Industriestadt.

Sandra Saeed: ‚Nachhaltige Transformation durch Mitbestimmung‘ ist bereits das zweite Projekt im MPI, das wir gemeinsam mit den Industriegewerkschaften durchführen dürfen. Das erste Projekt namens „Dialog digitale Beteiligung“ hatte einen starken Fokus auf Digitalisierung. Es ging um die Frage, wie Mitbestimmung bei Veränderungen, die durch Digitalisierung ausgelöst werden, wirksam und nachhaltig umgesetzt werden kann.

Wie ist der Stand des aktuellen Projekts?

Sandra Saeed: Es begann im Februar 2023 und die ersten vier Monate hatten wir für die Betriebsansprache eingeplant. Wir sind in den Clustern industrielle Gesundheitswirtschaft, Energietechnik und Mobilitätstechnik unterwegs. Aus der industriellen Gesundheitswirtschaft beteiligen sich beispielsweise aktuell drei Betriebe: In diesem Bereich hatten ja viele Unternehmen mit der Corona-Pandemie zum Teil einen riesigen Zuwachs an Aufträgen, der dann wieder stark zurückgegangen ist und sie müssen sich nun neu erfinden. Wir möchten Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen frühzeitig in den Veränderungsprozess einbinden, um eine effektive und nachhaltige Transformation zu gewährleisten. Denn man weiß, dass Transformationen besser funktionieren, wenn man diese Gruppen nicht nur informiert, sondern möglichst direkt an der Umgestaltung beteiligt.

Was beschäftigt die Unternehmen in Berlin derzeit und wie können Sie ihnen helfen?

Nele Techen: Mit der Transformation, mit dem Strukturwandel und den Herausforderungen der Digitalisierung und des Klimawandels müssen sich viele Unternehmen komplett neu ausrichten: neue Produkte und Produktionsprozesse sowie Wandel in der Arbeitswelt. Und es passiert jede Menge Neues in Berlin: Unternehmen siedeln sich an, zahlreiche Start-ups nehmen die Arbeit auf. Wir haben natürlich das Thema Arbeitsplätze im Blick – und zwar eben Gute Arbeit. Es ist wichtig, dass Arbeitsplätze sich so wandeln oder neue entstehen, die attraktiv sind. Unsere Instrumente dafür sind Tarifverträge und die Möglichkeit zur Mitbestimmung. Unsere Erfahrung ist, und das belegen auch verschiedenen Studien, dass Unternehmen, in denen die Interessen der Beschäftigten durch Betriebsrätinnen und -räte vertreten werden, erfolgreicher sind. Deshalb wollen wir diesen Gedanken schon in Neugründungen, in junge Unternehmen reinbringen. Ab fünf Mitarbeitenden kann man einen Betriebsrat gründen – wenn es da auch vielleicht noch nicht klappt, in einer starken Wachstumsphase kann es sich später auszahlen. Wir wissen, dass nicht alle Unternehmen gegenüber Gewerkschaften und Betriebsräten offen sind. Neben Themen wie gute Rahmenbedingungen für die Berliner Industrie, Aus- und Weiterbildung setzen wir deshalb das Thema Mitbestimmung regelmäßig auf die Tagesordnung des Steuerungskreises Transformation der Berliner Industrie (SKIP). Und mit konkreten Projekten können wir gemeinsam mit Kooperationspartnerinnen und -partnern wie PCG Gewerkschaftssekretärinnen und -sekretäre in den Betrieben Ressourcen zur Gestaltung solcher Prozesse zur Verfügung stellen.

Gesichter des MPI Nele Techen
Unsere Erfahrung ist, und das belegen auch verschiedenen Studien, dass Unternehmen, in denen die Interessen der Beschäftigten durch Betriebsrätinnen und -räte vertreten werden, erfolgreicher sind.
Nele Techen, DGB

Sandra Saeed: Nach Beendigung eines Projektes zeigen wir alles, was wir entwickelt haben, auf der Projektwebsite und den Seiten vom DGB sowie den Industriegewerkschaften. Es wird Dialogveranstaltungen und eine Abschlusskonferenz geben und wir kommunizieren die Ergebnisse mit den Gewerkschaften, deren Sekretärinnen und Sekretäre das Material in andere Betriebe und den Steuerungskreis Transformation der Berliner Industrie (SKIP) tragen werden. Beispielsweise sind in einem Projekt kurze Filme entstanden, eine Art Lehrfilme zur Digitalisierung aus der Perspektive der Betriebsrätinnen und Betriebsräte, die auf Betriebsversammlungen gezeigt werden.

Was brauchen die Firmen Ihrer Meinung nach noch?

Sandra Saeed: Sie brauchen ein offenes Angebot, mit dem sie für ihre individuellen Themen Unterstützung abrufen können. Wir können bei der Bestandsaufnahme helfen, über die sie herausfinden, wo Handlungsbedarf besteht – dann können sie mit Maßnahmen wie Workshops oder Coachings daran arbeiten. Auch Erfahrungsaustausch ist besonders wichtig. Wir bieten innerhalb der Cluster zum Beispiel auf sogenannten Dialogveranstaltungen die Möglichkeit, dass Betriebsräte zusammenkommen und sich austauschen können. Die Unternehmen stehen natürlich in Konkurrenz zueinander. Aber wir versuchen, entlang der großen Transformationsthemen Raum zu schaffen, in dem sie sich gut austauschen und auch voneinander lernen können. Das ist das Wesen des MPI-Projektes und ich bin wirklich sehr froh, dass der Masterplan solch offene Vorhaben ermöglicht, die den Beteiligten wichtigen Freiraum geben.

Was sind die Stärken Berlins als Industriestadt und wie kann die Stadt diese ausspielen?

Nele Techen: Berlin hat eine starke Industrie sowie eine gute Wissenschaftslandschaft und ist ein wichtiger Anker für internationalen Industrie-Austausch. Die Verbindung von Hochschulen und Unternehmen ermöglicht einen effektiven Wissenstransfer. Und die Hauptstadtregion kann damit insbesondere jungen Menschen breite Perspektiven geben.

Was macht der Masterplan Industriestadt möglich und was sind Ihre Wünsche an zukünftige Projekte?

Sandra Saeed: Der Masterplan stellt Ressourcen für wichtige Aufgaben zur Verfügung, für die oft Zeit und Geld fehlen. Bei unserem konkreten Thema gibt er Betriebsräten Kompetenzen, hilft ihnen, Prioritäten zu setzen und planvoll zu handeln. Mit Blick in die Betriebe hinein stellt man ja auf beiden Seiten immer wieder fest, dass sowohl Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber als auch Interessenvertretungen teilweise keine Strategie haben, wie sie durch einen Veränderungsprozess kommen. Deshalb sind hier Beratung und Unterstützung so wichtig und auf diese Weise können Betriebsräte gerüstet in den Dialog mit dem Arbeitgeber gehen.

Nele Techen: Es ist wichtig, dass der Masterplan eine politische Dimension beibehält und die Bedeutung der Industrie noch bekannter macht. Die Förderung von Innovation und die Zusammenarbeit zwischen Sozialpartnern sind entscheidend. Es ist wichtig, dass der Masterplan in der Politik weiterhin einen hohen Stellenwert erhält.

Hatten Sie bei der Arbeit in den MPI-Projekten persönliche Aha-Moment?

Nele Techen: Mich beeindruckt immer wieder, wenn Betriebsräte nach einem Workshop sagen, dass wir sie damit in ihrer Arbeit sehr unterstützt haben und dass sie beispielsweise eine Betriebsvereinbarung zu einem neuen Thema geschlossen haben. Dann kommt das, was auf politischer Ebene angeschoben wird, direkt bei den Beschäftigten an – und diese Wirksamkeit, die ist wichtig.

Sandra Saeed: Ich finde es wichtig, dass das Wissen aller, die an einem Veränderungsprozess mitwirken, gesehen wird. Beschäftigte in der Produktion sind oft nicht so gut in Informationsflüsse eingebunden wie andere. Und umso schöner ist es, wenn wir ihre Innovationsvorschläge herausarbeiten können. Das muss gar nichts Großes sein, da muss kein Patent herausspringen. Aber wenn es die Arbeitsorganisation verbessert, Abläufe optimiert oder zum Beispiel im Produktionsprozess Müll vermeidet, finde ich das immer wieder toll. Das zeigt ebenfalls, wie wirksam unser Ansatz ist.

BIOGRAPHIEN

Nele Techen ist stellvertretende Vorsitzende des Bezirks Berlin-Brandenburg des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Die studierte Betriebswissenschaftlerin hat für Beratungsgesellschaften gearbeitet und war als Politische Sekretärin beim DGB Bezirk Berlin-Brandenburg für Politische Planung und Koordinierung sowie die Industriepolitische Initiative verantwortlich. Bis 2022 war sie als Gewerkschaftssekretärin in der IG Metall Bezirksleitung Berlin-Brandenburg-Sachsen für Wirtschafts- Struktur- und Gleichstellungspolitik zuständig. Sie ist seit 1998 IG-Metall-Mitglied.

Dr. Sandra Saeed ist seit vielen Jahren Beraterin für Betriebs- und Personalräte sowie DGB-Gewerkschaften und derzeit bei der PCG – Project Consult GmbH angestellt. Sie ist gelernte Politologin, systemische Organisationsentwicklerin und Agile Coach.