Grün, vielfältig, lecker: Berlins Foodtech-Szene mischt international mit

Zwei junge Männer in weißen Kitteln entnehmen einen Blumentopf mit Grünpflanzen aus einem Hochbeet

Die Hauptstadt bietet ideale Bedingungen für gute Ideen rund um die Ernährung von morgen.

Rund 90 Prozent der Rohmasse für Marzipan, die weltweit verbraucht wird, kommt aus Neukölln. Es gibt zudem mehrere Kaffeeröstereien, große Dönerproduktionsbetriebe und Eisproduzenten: Die Hauptstadtregion pflegt eine lange Tradition in puncto Lebensmittelproduktion. Gleichzeitig ist sie Hotspot für Ernährungstrends und ein wichtiger Schauplatz von Foodtech. Denn in Berlin treffen viele Menschen, die sich bewusst, klimaschonend und gesund ernähren wollen, auf Industrieunternehmen und Startups, die ihnen immer wieder neues „Futter“ liefern.

Einsatz technologischer Innovationen

Traditionelle Ernährung hat einen hohen Preis für den Planeten: Sie verbraucht viele Ressourcen und bringt Themen wie CO₂-Emissionen, Tierwohl und Nahrungsmittelverschwendung mit sich. Das alles sind Treiber für die enorme Weiterentwicklung in der Food-Industrie: Etliche Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Initiativen beschäftigen sich in der Hauptstadtregion damit, wie Lebensmittel gesünder, umweltfreundlicher und ressourcenschonender hergestellt werden können. Wenn Technologie dabei hilft, spricht man von Foodtech: Der Begriff beschreibt technologische Innovationen, die bei der Herstellung von Lebensmitteln eingesetzt werden. Im Fokus steht Nachhaltigkeit – mit vielen weiteren positiven Auswirkungen.

„Gerade nach veganen und Bio-Lebensmitteln ist in Berlin die Nachfrage enorm hoch. Und es gibt hier viele Menschen, die neue Trends gerne ausprobieren“, bestätigt Jens Woelki, Manager Innovation der Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH. Das schafft Raum für Ideen, neue Ansätze und Konzepte. In speziellen Innovation Hubs wie Kitchentown oder dem ProVeg-Incubator finden sie Coworking-Arbeitsplätze, Labore und Vernetzung. Mit dem Food Campus Berlin entsteht in Tempelhof ein ähnliches, besonders großes Innovationszentrum für Ernährung. Geplant sind dort 15.000 Quadratmeter Fläche für Lebensmittelproduktion und ein Ökosystem für junge und etablierte Unternehmen der Branche sowie viel Raum für Events und Präsentationen. „In Berlin finden Startups also auch in diesem Bereich optimale Bedingungen und können international mitmischen. Es gibt hier breite Unterstützung für Food-Ideen, unter anderem aus der Wissenschaft – schließlich haben viele Hochschulen starke und vielfältige Kompetenzen im Bereich Ernährung und Lebensmittelanalytik, beispielsweise zum Thema Fermentation“, so Woelki.

Jens Woelki
„In Berlin finden Startups optimale Bedingungen und können international mitmischen.
Jens Woelki - Manager Innovation der Berlin Partner 
für Wirtschaft und Technologie GmbH

Fleisch aus Pilzen und Fisch aus Erbsenprotein

Einer der wichtigsten globalen Trends ist pflanzliche Ernährung. Viele Startups arbeiten hier an Ersatzprodukten für tierische Lebensmittel wie Fleisch: In Berlin stellt Bosque Foods sie auf Basis von Pilzgewebe her, dem sogenannten Myzelium, die Planted Foods AG arbeitet mit Erbsen, Sonnenblumen und Hafer. Auch unterstützende Technologien und Produkte werden entwickelt: Cultimate Foods liefert eine Fettalternative, die mit modernen Zellkulturtechniken hergestellt wird und mehr Geschmack in pflanzliche Fleischprodukte bringt. Und Project Eaden GmbH hat eine Technologie entwickelt, die das Aussehen und die Textur von Fleisch täuschend echt nachahmen kann.

Auch die Wissenschaft ist aktiv: Die Technische Universität kooperiert mit der Berliner Einzelhandelskette Veganz, die vegane Lebensmittel verkauft und auch selbst produziert. Gemeinsam wird unter anderem an veganem Lachs und Soja-Medaillons getüftelt. Anja Maria Wagemans arbeitet als Juniorprofessorin an der TU Berlin an Fleischersatzprodukten. Das Institut für Agrar- und Stadtökologische Projekte an der Humboldt-Universität zu Berlin konzentriert sich auf Käseersatz oder Fischalternativen.

Angesichts des Klimawandels, der Globalisierung und der wachsenden Bevölkerung weltweit geraten die Fischbestände zunehmend unter Druck. Um so mehr sind Alternativen gefragt und viele neue Geschäftsmodelle aus der Hauptstadt beschäftigen sich damit: Bluu etwa stellt Fisch aus Zellen der Tiere her, Esencia Foods auf Basis von Myzelien, Ordinary Seafood nutzt Zutaten wie Soja- und Erbsenprotein, Zitrusfasern und Kartoffelstärke. Die Oceanfruit GmbH konzentriert sich auf die Verarbeitung von Meeresalgen und produziert daraus vegane Gemüsegerichte, Pasten und Snacks. Auch an veganen Käsealternativen wird gearbeitet, unter anderem durch die Formo Bio GmbH und Mondarella. Lovely Day Foods stellen mit Perfeggt ein pflanzliches Ei her, genau wie Neggst und die VF Nutrition GmbH macht aus Erbsen Milch.

Gemüseanbau in der Nachbarschaft

Der Anbau von Lebensmitteln braucht viel Platz – den es in der Stadt in der Regel nicht gibt. Gleichzeitig sind kurze Transportwege wichtig für die Nachhaltigkeit von Produkten. Dieses Problem soll Urban Farming lösen, bei dem auf wenig Fläche Nahrungsmittel heranwachsen. Das hat den Nebeneffekt, dass die Städte damit sogar noch grüner werden. Und es sorgt für kurze Wege von der „Farm“ zum Teller. Das Berliner Unternehmen ECF entwickelt zum Beispiel das Prinzip der Aquaponik weiter, bei dem Fischzucht und Pflanzenanbau miteinander verbunden werden, damit sie sich wechselseitig unterstützen. Die Abfallprodukte der Fische dienen den Pflanzen als Nahrung, während die Pflanzen deren Lebensraum Wasser reinigen. Hortyia setzt auf Künstliche Intelligenz, um Pflanzen in Gewächshäusern optimales Wachstum zu ermöglichen. Einen „Raumgarten“ für den Heimgebrauch stellt Our Greenery her: Ein Schrank, in dem Vertical Farming in Küchen, Restaurants oder Unternehmen realisiert werden kann. Roof Water-Farm konzentriert sich auf nachhaltige Nutzung von Regen- und Abwasser und setzt es hygienisch sicher zur Kultivierung von Pflanzen und Fischen ein.

„Das Ökosystem in Berlin bietet für solche Ansätze sehr gute Bedingungen“, sagt Jens Woelki. „Dazu gehören auch Konzepte und Initiativen, die Ideen aus der Industrie unterstützen und begleiten können, wie zum Beispiel der ‘Masterplan Industriestadt’.“ Persönlich sieht er Kreislaufwirtschaft als einen der wichtigsten Trends der kommenden Jahre: „Hier gibt es besonders viel Potenzial, um beispielsweise Reststoffe aus der Produktion zu verwerten. Wenn etwa Öle aus Samen gepresst werden, bleiben Reststoffe übrig – der sogenannte Trester, der unter anderem als Basis von Müsliriegeln dienen kann.“ Wenn weniger weggeworfen wird, schont das Ressourcen – und schmeckt in diesem Fall auch noch gut!