Wir sind in der 4. Woche nach Kriegsbeginn in der Ukraine und das Töten und die Bomben auf die Ukraine hören nicht auf. Wir stehen alle fassungslos davor, die Kriegsverbrechen machen einen schwer betroffen. Der Schock über den Krieg und die Flucht von Abertausenden aus der Ukraine löst bei vielen den Impuls des Handelns, des Helfens aus und das – bei allem Elend der Umstände – ist ein gutes Zeichen.
Am 25.02. haben die ersten vorbereitenden Gespräche in der Berliner Verwaltung stattgefunden: da kommt was auf Berlin zu, das stellt die Umstände von 2015 und 2016 bei weitem in den Schatten. Mit Hochdruck wurde auf vielen Ebenen daran gearbeitet, die Geflüchteten gut zu empfangen, unterzubringen, zu erfassen, zu versorgen. Allein: für geordnete Abläufe und rechtlich abgesicherte Verfahren kamen einfach viel zu viele Menschen zu schnell. Obwohl in Rekordzeit weitere Unterkünfte akquiriert, Tegel ertüchtigt, Hilfskräfte angeworben und auf 24/7-Schichtbetrieb umgestellt wurde, durchaus auch im Voraus Dinge bedacht und organisiert wurden (in Krisenstäben, im LAF, in den Bezirksämtern, im LEA usw.) sind die Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, immer noch schneller.
Woran liegt’s?
Wir haben bis heute nicht auf den Katastrophenfall umgestellt. Diese Feststellung wird erneut nicht getroffen. Zum dritten Mal nach 2015/2016 und der Corona-Pandemie wird nicht federführend die Innenverwaltung tätig mit einer Stabsarbeit, die nach Routinen und mit Erfahrung umgesetzt werden kann, sondern federführend eine Senatsverwaltung, die originäre Stabsarbeit und Organisation nicht kennt. (Egal welcher Hausteil, es trifft immer die Senatsverwaltungen in der Oranienstraße, diesmal die SenIAS).
Der Katastrophenfall ist möglicherweise nicht originär vorgesehen für eine Situation wie diese; denn „Katastrophen sind Ereignisse, die …die Gesundheit oder die lebensnotwendige Versorgung einer Vielzahl von Menschen … in so außergewöhnlichem Ausmaß gefährden oder schädigen, dass deren Bewältigung nur unter Beteiligung der Katastrophenschutzbehörden…angemessen geleistet werden kann und deren Zusammenwirken ressortübergreifend koordiniert werden muss.“ § 1 Abs. 1 KatSG Berlin. Das Ausrufen des Katastrophenfalls bedeutete schnellere Entscheidungswege und eine zentrale Koordinierung der einzelnen Krisenstäbe durch SenInnDS. Es bestünde die Möglichkeit, Amtshilfe beim Bund einzufordern und die Inanspruchnahme von privatem Eigentum wie Gebäuden, Fahrzeugen usw.
Wenn jeden Tag rund 10.000 geflüchtete Menschen in unserer Stadt ankommen, kann allein durch die übergroße Zahl dieser Hilfsbedürftigen eine Situation, ein „Ereignis“ daraus erwachsen, welches § 1 Abs. 1 KatSG zur Anwendung bringt:
Es ist eine humanitäre Katastrophe!
Die Kolleginnen und Kollegen des LAF und im Krisenstab bei SenIAS arbeiten seit Wochen ohne freie Tage durch und brauchen absolut dringend Unterstützung. Auch nachts kommen Geflüchtete an. Alle müssen registriert und erkennungsdienstlich erfasst werden, tausende jeden einzelnen Tag. Seit Kriegsbeginn werden alle normalen Arbeitszeit- und Arbeitsschutzbestimmungen ignoriert; die Arbeitsleistung wird freiwillig erbracht. Das ist großartig von den Kolleginnen und Kollegen, belastet aber enorm und macht absehbar krank. Und das ist nicht hinnehmbar.
Das LEA (Landesamt für Einwanderung) hat sehr schnell darauf hingewiesen, dass der Erlass von vielen Tausend Aufenthaltsgenehmigungen nicht mit dem vorhandenen Personal umgesetzt werden kann. Diese sind aber wiederum notwendig für weiteres: Sozialleistungen, Arbeitssuche. Die Menschen brauchen eine Krankenversorgung, die Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse, Kitaplätze für die kleinen, Schulplätze für die großen Kinder. Dazu braucht es vorher Untersuchungen und die Durchführung von absolut notwendigen Impfungen wie gegen Masern durch Amtsärzte. Alles wird vom Berliner öffentlichen Dienst zu regeln und zu erbringen sein – durch welches Personal eigentlich??
Die Sozialämter in den Bezirken werden geradezu überrannt von ukrainischen Geflüchteten, die noch nicht einmal registriert wurden, weil sie bisher privat untergekommen sind und nicht unsere Verwaltungsabläufe kennen. Kinder werden „einfach“ mit zur Kita oder Schule gebracht. Erwartungshaltungen sind hoch, Emotionen auch und überforderte Beschäftigte, die die Rechtslage nicht ändern können, nicht ukrainisch sprechen, treffen auf Frauen, die durch Kriegstraumata zermürbt sind.
Sind das etwa keine katastrophalen Umstände?
Dazu kommt eine -Entschuldigung- ziemlich umständliche und in Teilen ignorante Bundesebene („das regeln die Bundesländer schon solidarisch mit der Verteilung der Menschen“, „Berlin muss mal aus der Gemütlichkeit kommen.“) Die Bundesebene kam eine gefühlte Ewigkeit nicht dazu, den Status der Geflüchteten festzulegen – Touristen haben keinerlei Anspruch auf Hilfsleistungen, da ist Berlin komplett in Vorleistung gegangen. Und bis heute nimmt Berlin mehr Menschen auf und arbeitet an deren Unterbringung und Versorgung als das gesamte übrige Bundesgebiet zusammen. Mit Gemütlichkeit, Frau Strack-Zimmermann, hat das gar nichts zu tun! Wenn Sie mal ein Gefühl dafür bekommen wollen, können Sie gern tausend Stullen schmieren oder Menschen einen Tag lang in Tegel empfangen und betreuen.
Ja, jetzt hilft uns die Bundeswehr, aber 80 Leute bis zum 31.03. Und dann??
Die Landesregierung ist in der Pflicht, die Lage realistisch einzuschätzen und muss dann auch konsequent sein: Ausrufen des humanitären Katastrophenfalls, Koordinierung landesweit im Stab bei SenInnDS, Forderungen an den Bund, endlich die notwendigen Gelder für all die vielen Kosten, die auf Bezirksebene und in den Landesämtern auflaufen, zu übernehmen. Alles andere läuft auf dem Rücken der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ab – perspektivisch für weitere Jahre. Arbeitsschutzgesetze gelten auch für uns! Und diese Notlage kann Berlin nie und nimmer alleine stemmen.
Unsere Regierende Bürgermeisterin hat uns alle im öffentlichen Dienst zum Helfen aufgerufen, sicher nicht nur in Tegel, auch wenn der Einsatz dort besonders hervorgehoben wurde. Das finden wir an sich richtig und wir finden auch, dass wir uns jetzt kollegial unterhaken müssen. Und da kann sich niemand ausnehmen, auch keine Führungsebenen oder Fachverwaltungen. Wir können diese Krise nur gemeinsam durchstehen. Deshalb hat der HPR-Vorstand besprochen, sich ebenfalls zu engagieren und den überarbeiteten Kolleginnen und Kollegen im LAF eine Pause zu gönnen. Da bei uns gesetzliche Fristen laufen und Sitzungen stattfinden müssen, können wir nur Wochenenddienst übernehmen, verzichten auf unsere zweitägige Klausur Anfang April und helfen stattdessen im LAF aus. Wir hoffen, es hilft trotzdem ein wenig. Schließt euch unserem Beispiel an!
Daniela Ortmann
Vorsitzende des Hauptpersonalrates