Auf geht’s!
In Zeiten der Pandemie sind sicher viele Beschäftigte mit gemischten Gefühlen in das neue Jahr gestartet. Nach dem statistischen Blindflug über die Feiertage geschieht jetzt das, was vorausgesagt wurde: die Zahl der Infizierten steigt massiv an, insbesondere in den Städten. Wir wünschen allen Kolleginnen und Kollegen Gesundheit und ein gutes Jahr 2022 und im Falle von Erkrankung, welcher Art auch immer: baldige und umfassende Genesung!
Das neue Jahr gibt Anlass, sich kritisch mit dem Koalitionsvertrag auseinanderzusetzen:
„Zukunftshauptstadt Berlin.“
Das ist die Überschrift des Koalitionsvertrages. Mit einem Punkt. Soll das vielleicht Entschlossenheit dokumentieren? Dazu passt die Unterschrift:
„Sozial. Ökologisch. Vielfältig. Wirtschaftsstark.“
4 Einwortsätze. Punkte wie Ausrufezeichen. Oder doch nur Marketing?
Wir werden sehen. Zukunftshauptstadt ist eine erstaunliche Wortschöpfung, denn wir sind ja in der Gegenwart schon Hauptstadt. Soll Berlin als Hauptstadt die Zukunft prägen? Ist eine Zukunftshauptstadt eine, die sich mit den Fragen der Zukunft beschäftigt? Vielleicht liegt dieser Wortschöpfung zugrunde, dass sich die Gegenwart in Berlin nicht immer gut anfühlt. Die Stadt Berlin hat vielfältig ungelöste Probleme, nicht nur die Hauptstadt. Berlin ist nach wie vor viele Städte in einer und das mehr als 100 Jahre nach dem Zusammenschluss. Das bedeutet: Vielfältige Verantwortung, verteilt auf über fünfzig politisch Verantwortliche! Das verwässert, schließlich könnten die anderen ja auch mal…?
Der Eindruck drängt sich auf, dass die belastende Gegenwart übersprungen, irgendwie abgeschüttelt und die Zukunft gestaltet werden soll… jedenfalls ist der neue Senat nicht von gestern. Da sind nur zwei Senatoren der alten Besetzung übriggeblieben: Herr Dr. Lederer als Senator für Kultur und Europa. Kultur ist oft außerhalb der Zeit oder in ihrer eigenen unterwegs, das passt. Europa und Zukunft? Angesichts des letzten Beschlusses zur Atomkraft dürften Zweifel angezeigt sein. Herr Geisel ist auch noch da, aber auf seinem vorherigen Posten als Bausenator. Also in seiner Vergangenheit. Von dort aus zurück in die Zukunft?
Der Koalitionsvertrag hat 149 Seiten und auf vielen davon wird etwas zum öffentlichen Dienst gesagt. Die Koalition hat sich viel vorgenommen. Wir vom HPR sagen, dafür braucht es einen gut aufgestellten, modernen öffentlichen Dienst. Und das richtige Personal in ausreichender Anzahl mit der richtigen Qualifikation an der richtigen Stelle. Dafür muss das Geld aufgebracht werden. Und die Zusammenarbeit muss auch passen, dazu gehören nicht nur moderne Technik, sondern auch moderne Arbeitsformen.
Auf Seite 125 findet sich die Verwaltung wieder. „Die Koalition wagt für die Berliner Verwaltung einen neuen Aufbruch, stellt die Verwaltung für alle Berliner*innen und Unternehmen bürgerorientiert, barrierefrei, mehrsprachig, schnell und effizient auf und stattet sie entsprechend aus.“ Im nächsten Satz ist von „neuer Führungskultur“ und wertschätzender, ergebnisorientierter, Behörden- und Ebenen übergreifender Zusammenarbeit die Rede. Es wird ein neues Gesetz geben über die Aufgabenverteilung der Berliner Verwaltung, welches das Allgemeine Zuständigkeits-Gesetz ablöst und die Verantwortlichkeiten der Verwaltung festlegen soll. Es soll experimentelle Formen der Zusammenarbeit geben. Ziel- und Projektvereinbarungen sollen die Gesamtstadt steuern, in denen kooperative Ziele, die Umsetzung, erforderliche Ressourcen, Steuerungsgremien und Monitorings zur Wirksamkeit festgelegt werden.
Als oberste Beschäftigtenvertretung gebührt uns stellvertretend für die rund 145.000 Beschäftigten eine kritische Würdigung dieser Kernsätze:
Das wäre schön gewesen. Das lasen wir schon öfter.
Den Lebensälteren unter uns Beschäftigten kommt es vor, als seien wir wie Bill Murray im Film in einer Zeitschleife gefangen. Genug der Worte. Machen!
Auf Seite 126 folgen dann die Kernaussagen zum Personal. „Gute Arbeitsbedingungen, gute Vergütung der Beschäftigten und eine verantwortungsbewusste Entscheidungs- und Fehlerkultur sowie gut ausgebildete und motivierte Beschäftigte sind Grundlage für eine effektive und funktionierende Verwaltung sowie für Personalgewinnung und -bindung.“
Der Satz könnte von uns sein. Jedenfalls ist dies unser Reden seit vielen Jahren. Die Tücke liegt im Detail, nicht im Leitsatz. Auf dem Papier ist die Verwaltung schon mehrfach effizient durchdacht, personell gut aufgestellt und eigentlich bestens ausgestattet worden. Gegenwart ist da, wo Realität beginnt. Die Beschäftigten merken „was ist“ und was fehlt. Von einer Zukunftshauptstadt auf dem Papier haben sie nicht viel. Es folgt, das soll hier nicht unerwähnt bleiben, Konkreteres: Überarbeitung des Personalvertretungsgesetzes, Einrichten einer Hauptfrauenvertreterin, Prozessvereinheitlichung der Personalaktenführung zum Beispiel. Vereinheitlichte Stellenbewertungen, ein neues Berliner Landesbesoldungsgesetz bis 2023, verwaltungsübergreifender Austausch von Führungskräften, Diversity-Leitstelle, Parität in Führung, Transitionsrichtlinien, mehr Menschen mit Behinderung in Ausbildung, Anhebung des Pensionseintrittsalters auf 67.
Was fehlt vor allem aus unserer Sicht: Die neue Koalition hat wieder versäumt, eine Personalstaatssekretärin mit klaren Entscheidungs- und Verantwortungskompetenzen zu installieren. Personal ist der Schlüssel, wird aber, trotz zentraler Zuständigkeit der Abteilung Landespersonal für arbeits- und beamtenrechtliche Bestimmungen /Auslegungen/Hinweise, wieder den Finanzen untergeordnet. Anders kann man es nicht auslegen. Während sich viele wichtige Themen in den Senatsbezeichnungen wiederfinden (Digitales zum Beispiel: „Digitalisierung ist ein Schwerpunkt dieser Legislatur.“ Seite 129), ist dies bei „Personal“ nicht der Fall, es geht sprachlich bei Finanzen unter, wird quasi irgendwie mitgedacht. Den Frauen unter uns kommt sowas bekannt vor…
„Innovative, konkrete und effektive Vorschläge wirken dem Fachkräftemangel aktiv entgegen und erleichtern künftig den Quereinstieg.“ Wie? fragen wir uns, der Satz wird nicht konkretisiert. Und das bei dezentraler Verantwortung. Daneben unsere Probleme bei der Ausbildung: wir haben in vielen Ausbildungsbereichen zu wenig Auszubildende, die ihre Ausbildung erfolgreich abschließen. Da hilft eine Ausweitung der Ausbildungskapazitäten, wie angekündigt, nicht unbedingt weiter. Berlin geht die Zeit aus.
Als HPR hatten wir mit dem neuen Finanzsenator, Herrn Wesener, und den Staatssekretärinnen, Frau Borkamp und Frau Dreher, ein gutes erstes Gespräch.
Wir haben der Regierenden Bürgermeisterin und allen Senatsmitgliedern zur Wahl gratuliert und um Gespräche gebeten. Wir sind gespannt auf den Austausch und auf die konkreten Ideen. Es gilt, die Zukunft Berlins in der Gegenwart zu gestalten.
Jetzt. Entschlossen. Mit uns. Auf Augenhöhe.
Für den Hauptpersonalrat
Daniela Ortmann
Vorsitzende