Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat am 13. November 2013 über eine Organklage von 14 Abgeordneten der Piratenfraktion verhandelt (vgl. Presseerklärung Nr. 9/2013 vom 4. November 2013). Heute hat der Verfassungsgerichtshof das Urteil in dieser Sache verkündet und die Anträge der Abgeordneten zurückgewiesen.
Die Antragsteller wandten sich gegen mehrere Bestimmungen der zu Beginn der laufenden Legislaturperiode im Oktober 2011 vom Abgeordnetenhaus beschlossenen und im Juni 2012 auf Initiative der Piratenfraktion geänderten Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses. Sie begehrten die Feststellung, dass ihre Rechte als Abgeordnete aus der Verfassung von Berlin – VvB – verletzt werden. Sie beanstandeten vor allem, dass nicht jedem Abgeordneten das Recht eingeräumt sei, in mindestens einem ständigen Ausschuss seiner Wahl mit Rede- und Antragsrecht sowie in einem Ausschuss auch mit Stimmrecht vertreten zu sein. Einen Verfassungsverstoß sahen sie auch darin, dass nicht jedes Mitglied des Abgeordnetenhauses Anträge (einschließlich solcher auf Entschließung und Große Anfragen) einbringen könne, sondern immer auf die Unterstützung einer Fraktion oder von mindestens weiteren sechs Abgeordneten (Quorum von 5% der Mindestzahl von 130 Mitgliedern des Abgeordnetenhauses)
angewiesen ist.
Sie beriefen sich auf Art. 45 Abs. 1 der Verfassung von Berlin – VvB -, der wie folgt lautet:
_Das Recht des Abgeordneten, sich im Abgeordnetenhaus und in den Ausschüssen durch Rede, Anfragen und Anträge an der Willensbildung und Entscheidungsfindung zu beteiligen, darf nicht ausgeschlossen werden. Die Rechte der einzelnen Abgeordneten können nur insoweit beschränkt werden, wie es für die gemeinschaftliche Ausübung der Mitgliedschaft im Parlament notwendig ist. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung._
Der Verfassungsgerichtshof hat die Klage – soweit sie hinsichtlich weiterer Anträge nicht bereits unzulässig war – als unbegründet abgewiesen und ausgeführt:
1. Kein Abgeordneter hat nach der Verfassung von Berlin das Recht, unabhängig von einer Entsendung durch seine Fraktion in mindestens einem ständigen Ausschuss mit Rede- und Antragsrecht und in einem Ausschuss auch mit Stimmrecht vertreten zu sein. Nach Art. 44 Abs. 2 VvB richtet sich die Zusammensetzung der Ausschüsse und die Besetzung der Vorsitze nach der Stärke der Fraktionen (Satz 1). Die Fraktionen benennen dem Präsidenten die auf sie entfallenden Mitglieder (Satz 2). Fraktionslose Abgeordnete haben das Recht, in den Ausschüssen ohne Stimmrecht mitzuarbeiten (Satz 3). Diese Regelung ist eindeutig und abschließend. Sie lässt keinen Raum für eine von der Benennung durch die Fraktionen unabhängige Ausschussmitgliedschaft fraktionszugehöriger Abgeordneter, wie sie die Antragsteller fordern. Aus Art. 45 Abs. 1 VvB ergibt sich nichts anderes.
2. Auch die Regelungen der Geschäftsordnung, die für Anträge und Anfragen ein Quorum von sieben Abgeordneten vorsehen, sind mit Art. 45 Abs. 1 VvB vereinbar.
Entgegen der Ansicht der Antragsteller liegt in der Bindung an ein Quorum von Abgeordneten schon begrifflich kein „Ausschluss“ des Rechts zu Anträgen und Großen Anfragen im Sinne von Art. 45 Abs. 1 Satz 1 VvB. Denn auch eine von Mehreren eingebrachte Initiative ist eine solche der einzelnen an ihr beteiligten Abgeordneten. Vor allem aber verwirklicht sich der Abgeordnetenstatus im Parlament regelmäßig erst im Zusammenspiel mit den anderen Abgeordneten. Auch wenn die Rechte der Abgeordneten ihnen aus ihrem verfassungsrechtlichen Status zufließen, legitimiert der Gemeinschaftsbezug des Mandats das Parlament, diese Rechte aufgrund seiner in der Verfassung anerkannten Geschäftsordnungsautonomie auszugestalten und zu beschränken.
Art. 45 Abs. 1 Satz 2 VvB, wonach die Rechte der einzelnen Abgeordneten nur insoweit beschränkt werden dürfen, wie es für die gemeinschaftliche Ausübung der Mitgliedschaft im Parlament notwendig ist, besagt nichts Gegenteiliges. Die Pflicht zur Antragstellung durch sieben Abgeordnete verfolgt den Zweck, die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Abgeordnetenhauses zu sichern. Dabei geht es nicht darum, nur solche Anträge zuzulassen, die Aussicht auf Erfolg haben. Es soll aber vermieden werden, dass durch Anträge und Große Anfragen, die von vornherein keine nennenswerte Unterstützung finden, das aufwändige parlamentarische Verfahren in Gang gesetzt wird. Die Rechte der einzelnen Abgeordneten werden auch nicht unverhältnismäßig beschränkt. Dies folgt für die Antragsteller bereits daraus, dass ihre freiwillige und jederzeit aufkündbare Zugehörigkeit zu einer Fraktion mit zusätzlichen Rechten und Einflussmöglichkeiten verbunden ist, welche die damit verbundenen
Einschränkungen im Vergleich zu fraktionslosen Abgeordneten deutlich überwiegen.
Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin,
Urteil vom 15. Januar 2014 – VerfGH 67/12 -