Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat mit Beschluss vom 14. November 2012 die Verfassungsbeschwerde eines Hauseigentümers gegen die geltende Winter-dienstregelung auf öffentlichen Gehwegen im Straßenreinigungsgesetz von Berlin zurückgewiesen.
Das Land Berlin hat seit langem im Straßenreinigungsgesetz (StrReinG) den Anliegern öffentlicher Straßen die Reinigung der Gehwege einschließlich der Schneeräumung übertragen. Aufgrund negativer Erfahrungen mit häufig mangelhafter Schneeräumung und Eisbeseitigung in dem strengen Winter 2009/2010 hat das Abgeordnetenhaus von Berlin das Gesetz am 18. November 2010 geändert. Es hat u.a. die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit der zum Winterdienst verpflichteten Grundstückseigentümer
verschärft. Die zuvor bestehende Möglichkeit, mit der Beauftragung zur Durchführung des Winterdienstes auch die öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit für die ordnungsmäßige Reinigung vollständig auf Dritte zu übertragen, wurde gestrichen. Das Straßenreinigungsgesetz bestimmt (in § 6 Abs. 1) nunmehr, dass die zum Winterdienst verpflichteten Anlieger zwar weiterhin „durch privatrechtliche Vereinbarungen Dritte mit der Durchführung des Winterdienstes beauftragen“ können. Dadurch entfällt „ihre Verantwortlichkeit für die ordnungsgemäße Durchführung des Winterdienstes“ aber nicht. Bei Verstößen gegen die Räumungspflichten sieht das Gesetz eine kostenpflichtige Ersatzvornahme und ein (erhöhtes) Bußgeld vor.
Der Beschwerdeführer, Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks im Bezirk Reinickendorf, hat gegen die Neuregelung Verfassungsbe-schwerde eingelegt. Er hat vor allem geltend gemacht, er könne die ihm auferlegte Verantwortlichkeit für die Durchführung des Winterdienstes nicht mehr umfassend auf einen Dritten übertragen. Sobald mit Schneefall zu rechnen sei, könne er sich nun nicht mehr ohne Haftungsrisiko aus Berlin entfernen. Da er sich häufig außerhalb von Berlin aufhalte, werde er in seiner Reisefreiheit behindert.
Der Verfassungsgerichtshof hat die Verfassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Er hat ausgeführt, dass die gesetzliche Übertragung der Winterdienstpflicht auf öffentlichen Gehwegen mit der angegriffenen Änderung der ordnungsrechtlichen Verant-wortlichkeit der Anlieger mit dem in der Berliner Verfassung garantierten Eigentums-grundrecht vereinbar ist. Die hierzu ergangenen Bestimmungen müssen allerdings unter Beachtung der Verfassung ausgelegt und angewendet werden. Das Abgeordnetenhaus und der Senat von Berlin haben in ihren Stellungnahmen gegenüber dem Verfassungsgerichtshof bestätigt, dass die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit grundsätzlich nur die sorgfältige Auswahl und die stichprobenartige Überwachung eines beauftragten Dritten umfasst. Dabei ist auch die Überwachung nicht persönlich zu erfüllen, sondern kann wiederum an einen zuverlässigen Dritten (z. B. Nachbarn oder Hausmeister) delegiert werden. Mit diesem Inhalt ist die Neuregelung verfassungsgemäß. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu ergänzend klargestellt, dass grundsätzlich keine Pflicht zur höchstpersönlichen Vornahme der notwendigen Arbeiten besteht. Insoweit muss es genügen, wenn der Anlieger alles ihm im Einzelfall billigerweise Zumutbare getan und veranlasst hat, um einen ordnungsgemäßen Winterdienst durch von ihm sorgfältig ausgewählte und angemessen überwachte Dritte sicherzustellen. Nur wenn der Anlieger seinen so verstandenen Pflichten schuldhaft nicht nachkommt, kann er ferner wegen einer Ordnungswidrigkeit (nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StrReinG) mit einer Geldbuße belegt werden.
Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss VerfGH 8-11