Wisst ihr, was genau man unter gender- und diversitätssensibler Übersetzung versteht und wie sie funktioniert? Mit Anna von Rath, Lucy Gasser und Timur Celikel von macht.sprache. sprechen wir über das Produkt, das den Deep Tech Award 2022 in der Kategorie Social/Sustainable Tech gewonnen hat.
Hallo Anna, Lucy und Timur. Vielen Dank, dass ihr Zeit für dieses Interview gefunden habt. Herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle auch noch einmal zum Gewinn des diesjährigen Deep Tech Awards!
Was bedeutet die Deep-Tech-Award- Auszeichnung für euch?
Lucy: Die Deep-Tech-Award-Auszeichnung bedeutet sowohl Anerkennung für das Problem, das wir versuchen zu lösen, als auch für unser Produkt. Mit macht.sprache. haben wir uns u. a. die Aufgabe gestellt, mehr Verständnis und Sichtbarkeit dafür zu schaffen, wie sprachliche Diskriminierung funktioniert. Mit dem Deep Tech Award können wir das Bewusstsein für sprachliche Diskriminierung weiter schärfen und unsere niedrigschwelligen Lösungen einem größeren Publikum zur Verfügung stellen. Wir freuen uns wirklich sehr über die Auszeichnung! macht.sprache. ist klein, das Team besteht aus nur vier Personen und das Projekt ist noch jung. Der Preis motiviert uns, unsere Tools, die Datenbank und die Community weiterzuentwickeln. Natürlich schadet das Preisgeld da nicht.
Was hat euch dazu angeregt, an diesem Wettbewerb teilzunehmen?
Lucy: Uns ist schon länger klar gewesen, dass wir mit macht.sprache. ein großartiges Produkt entwickelt haben, das enorm viel Potenzial hat. Uns fehlt es aber an Sichtbarkeit für unser entwickeltes Produkt. Viele Menschen könnten und würden von dem macht.sprache. Text Checker und der Browser-Erweiterung für Google Translate Gebrauch machen, wenn sie wüssten, dass es sie gibt. Wir sind überzeugt, dass es auch viele Menschen gibt, die sich gerne daran beteiligen würden, auf unserer Diskussionplattform kollaborativ Wissen über sensible Sprache zu produzieren und im Kollektiv neue Ausdrucksformen zu entwickeln. Wir haben uns also am Deep Tech Award beteiligt, um mehr Sichtbarkeit für macht.sprache. zu schaffen, unsere Zielgruppe zu vergrößern und um die finanzielle Unterstützung zu gewinnen, die es uns ermöglicht, den Service, den wir mit macht.sprache. bieten, noch weiter zu verbessern.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, macht.sprache. zu entwickeln? Wann genau habt ihr gemerkt, dass es der Entwicklung einer solchen Übersetzungssoftware bedarf?
Anna: In anderen Zusammenhängen (z. B. bei unserer Arbeit für poco.lit., ein bilinguales Online-Magazin für postkoloniale Literatur) verwenden wir manchmal maschinelle Übersetzungstools. Die bekannten Programme DeepL und Google Translate finden wir teilweise nützlich, aber uns fällt auf, dass maschinelle Übersetzung an ihre Grenzen stößt, wenn es um inklusive Sprache geht. Wer z. B. das englische Wort „nurse“ in eines der etablierten Übersetzungsprogramme im Internet eingibt, erhält als Ergebnis höchstwahrscheinlich die deutsche Übersetzung „Krankenschwester“. Das Programm verwandelt einen Begriff, der im englischen Original zumindest grammatikalisch geschlechtsneutral ist, in einen eindeutig geschlechtsspezifischen Begriff. Die Berufsbezeichnung „Krankenschwester“ ist ein besonders offensichtliches Beispiel – aber es gibt auch subtilere Versionen dieses Problems. „Economics professor“ wird zu einem männlichen
„Wirtschaftsprofessor“, während „cashier“ zu einer weiblichen Kassiererin wird. Wir haben uns zunächst damit auseinandergesetzt, wieso es dazu kommt, warum das ein Problem ist und dann, wie wir dieses beheben können.
Unser Projekt macht.sprache. fördert nun politisch sensibles Übersetzen zwischen Englisch und Deutsch. macht.sprache. ist eine Web-App mit Diskussionsplattform, die Nutzer:innen mit digitalen Tools konkrete Übersetzungshilfen anbietet. Außerdem wird das Projekt von öffentlichen Veranstaltungen und Social-Media-Kampagnen begleitet, um für sprachliche Diskriminierung zu sensibilisieren.
Was ist das Besondere an eurer Anwendung?
Anna: macht.sprache. setzt auf kollaborative Wissensproduktion, d. h. Nutzer:innen können sich aktiv einbringen, die Datenbank ergänzen und sensible Begriffe diskutieren. So können sie das Produkt selbst ihren Bedürfnissen entsprechend anpassen.
Nutzer:innen können macht.sprache. aber auch einfach als Informationsquelle benutzen und ihre Texte auf sensible Begriffe überprüfen lassen. Dafür haben wir einen Text Checker entwickelt, der Texte nach sensiblen Begriffen aus unserer Datenbank durchsucht und dann Hinweise für die Übersetzung anbietet. Das Tool verweist auch auf relevante Leitlinien aus unserem Übersetzungsmanifest, die bei der Entscheidung für oder gegen eine Übersetzungsoption helfen.
Um die Nutzung noch niedrigschwelliger zu machen, können Nutzer:innen macht.sprache. nun auch als Browser-Erweiterung für Google Translate benutzen. Für die Erweiterung haben wir ein zusätzliches Feature entwickelt: Sie erkennt Personenbezeichnungen und gibt Hinweise zu genderfreien oder genderinklusiven Übersetzungsvarianten.
Wie lange hat es von der Vorbereitung bis zur Umsetzung des Projekts gedauert?
Anna: Wir hatten Mitte 2020 die Idee und haben im Januar 2021 mit der Umsetzung begonnen. Wir haben das Projekt in mehreren Phasen umgesetzt und zunächst eine Diskussionsplattform gelauncht, dann an der kollaborativen Wissensproduktion gearbeitet und die erste Version des Text Checkers wurde im Dezember 2021 gelauncht. Dieses Jahr kam die Erweiterung für Google Translate dazu.
Vor welchen Schwierigkeiten standet ihr während der Entwicklung eurer Software?
Timur: Viele Dinge waren technisch für uns spannend, aber keine große Schwierigkeit, da sie unsere Expertise umfassen: Die Entwicklung des Designs, des Front- und Backends.
Wir hatten vorher aber noch nicht mit Machine Learning gearbeitet: Entsprechend war und ist da eine gewisse Lernkurve für uns. Auch die Integration des Plugins in ein bestehendes Produkt (Google Translate) hat uns vor neue Herausforderungen gestellt, da wir vorher noch keine Erweiterung entwickelt hatten.
Eine der schönsten und gewinnbringendsten Herausforderungen war die Zusammensetzung unseres Teams: Wir bringen geisteswissenschaftliche und technische Expertise zusammen. Manchmal sprechen wir regelrecht unterschiedliche Sprachen und müssen uns langsam aneinander annähern. Das ist super spannend!
Als Unternehmen, das in Berlin sitzt, wisst ihr ja auch bestens, dass die Stadt viel Wert auf Nachhaltigkeit legt. Wie ist eurer Meinung nach der aktuelle Stand in Berlin im Bereich Social/Sustainable Tech? Gibt es viel Raum zur Entwicklung?
Anna: Wir bewegen uns erst seit einem Jahr ernsthaft in diesem Bereich und hatten aufgrund der Pandemie noch nicht so viele Gelegenheiten zu netzwerken, d. h. wir stecken da bisher noch nicht so tief drin. Was wir aber im Entwicklungsprozess von macht.sprache. festgestellt haben, ist, dass das Interesse riesig ist! Dementsprechend denken wir, dass es für richtig gute Ideen noch sehr viel Potenzial in Berlin gibt.
Welche Ziele setzt ihr euch für die Zukunft?
Lucy: Die Zukunft von macht.sprache. ist vielversprechend. Unsere unmittelbaren Ziele sind die Vergrößerung unserer User Base und die Entwicklung einer weiteren Browser Extension für die beliebte Übersetzungshilfe DeepL – die wir tatsächlich auch selbst viel nutzen. Zusätzlich streben wir eine verbesserte Nutzung von Natural Language Processing (also Machine Learning) an, damit unsere Tools Begriffe, die möglicherweise politisch sensibel sind, besser erkennen.
Stichwort Machine Learning. Wohin muss sich diese Technologie entwickeln, damit auch euer Produkt davon profitieren kann?
Timur: Die aktuelle Version unseres Produktes (Browser Plugin für Google Translate) würde nicht von einer Verbesserung des Machine Learnings profitieren – dann wären die Übersetzungen inklusiv und das Plugin überflüssig. Das wäre natürlich schön. Jedoch liegt es in der Natur der Sache, dass Machine Learning immer aus der Vergangenheit lernt und damit inhaltlich kaum jeweils aktuelle Ansprüche an Inklusivität erfüllt. Besonders, da sich Sprache konstant weiterentwickelt. Begriffe, die aktuell verwendet werden und als politisch sensibel gelten, werden vielleicht schon in ein paar Jahren von neuen ersetzt. Deswegen wird das manuelle Korrigieren der Ergebnisse oder Algorithmen vermutlich nötig bleiben.
Lucy: In vielerlei Hinsicht werden die Vorurteile und Diskriminierungsformen, die unsere Realität prägen, in unseren Technologien widerspiegelt. Daher muss sich nicht nur die Technologie ändern und weiterentwickeln. Technischer und sozialer Wandel gehen Hand in Hand. Wenn die Vorurteile in den Datensätzen, mit denen Maschinen gefüttert werden, reduziert werden, wird auch die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sie diskriminierende Empfehlungen wiedergeben.
Danke für eure Zeit!