Profil von Oliver Welter auf türkisem/lilanem Hintergrund

Nia Health beweist, dass KI auch Hautvorsorge kann

11.08.2022

Seit 2019 hilft die „Nia“-App dabei, Neurodermitis-Patient:innen zu unterstützen. Doch die Unterstützung der Betroffenen geht weit über die Dokumentation der Gesundheitshistorie hinaus. Oliver Welter, Co-Gründer und CTO von Nia Health, steht uns im Interview Rede und Antwort.

Hallo Herr Welter. Wie schön, dass Sie uns dieses Interview ermöglichen. Als Deep Tech Star 2022 der Kategorie Künstliche Intelligenz freuen wir uns sehr über das heutige Gespräch mit Ihnen.

Gehen wir einmal zurück auf den Anfang des Produkts. Was hat Nia Health dazu veranlasst, überhaupt in der Medizin/Dermatologie Fuß zu fassen?

Wir, mein Co-Gründer Tobias Seidl, Dr. Reem Alneebari und ich, hatten die Vision, mit Nia Health ein Unternehmen zu gründen, welches einen echten Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Aus eigener beruflicher Erfahrung weiß ich, wie viel Potenzial die Digitalisierung für den Gesundheitssektor bietet. 2019 haben wir Nia, die erste innovative dermatologische Gesundheitsanwendung, entwickelt, die als Medizinprodukt registriert ist. Mit Reem hatten wir nicht nur eine Dermatologin, sondern auch Mutter eines von Neurodermitis betroffenen Kindes an unserer Seite. Nia entstand daher auch aus einem starken persönlichen Interesse für eine sinnvolle Ergänzung zu bestehenden Therapien.

Wie genau kann die App die Behandlung von Neurodermitis verbessern und was für Vorteile bietet insbesondere die „Nia“-App?

Wir sehen Nia immer als eine digitale Begleitung zur bestehenden Therapie, in erster Linie für den/die Patient:in, aber auch für die behandelnden Ärzt:innen. Gemeinsam mit Nia kann der/die Patient:in den aktuellen Hautzustand mit Hilfe von klinischen Metriken und der Fotodokumentation festhalten sowie akute Neurodermitis-Schübe und potenzielle Schubauslöser dokumentieren und identifizieren. Bei der Zusammenarbeit mit Dermatolog:innen und Betroffenen haben wir gemerkt, wie relevant die Bereitstellung gesicherter Informationen über die Erkrankung ist. Nia bietet Betroffenen also zwischen den Arztbesuchen die Möglichkeit, ihre Beschwerden mit klinisch validierten Erhebungsinstrumenten festzuhalten und auch außerhalb der Praxis mit Tipps und Tricks für den alltäglichen Umgang mit der Erkrankung versorgt zu werden. Diese Kombination und Qualität machen Nia einzigartig. Neben Nia haben wir mit der Psoriasis-App Sorea auch ein digitales Medizinprodukt für Patient:innen mit Schuppenflechte auf den Markt gebracht. Weitere Deep Tech-Lösungen in anderen großen chronischen Indikationsfeldern werden zeitnah veröffentlicht.

Die App wurde 2019 veröffentlicht. 2020 begann die Covid-19-Pandemie dann in Deutschland. Hat sich die Nutzung Ihrer App angesichts der Corona-Krise stark gesteigert?

Die letzten zwei Pandemie-Jahre haben wir bei Nia deutlich gemerkt – aber im positiven Sinne. Dieses Ereignis hat uns noch einmal deutlich gemacht, wie dringend alternative Lösungsansätze benötigt werden, um eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Das hat sich auch in unseren Nutzer:innenzahlen widergespiegelt und auch durch die Ergebnisse vieler Studien fühlen wir uns bestätigt. Allein die Downloadzahlen von Gesundheitsapps haben sich verdoppelt und lagen 2020 bei 2,4 Millionen. Online-Konsultationen haben sich in dem Jahr um das 900-fache erhöht.

Kann der Einsatz von KI die Arbeit der Ärzt:innen effizienter gestalten, indem diese nur die wichtigen Informationen von Patient:innen erhalten?

Auf jeden Fall, wir sehen KI als ein nützliches Werkzeug, um die Datenflut für die Ärzt:innen und Patient:innen beherrschbar zu machen. An diesem Ziel arbeiten wir tagtäglich und machen dahingehend große Fortschritte.

Ist das primäre Ziel der Apps, die ärztliche Behandlung zu ersetzen? Inwieweit glauben Sie, dass KI medizinisches Personal ersetzen kann?

Wie bereits erwähnt, sehen wir unsere medizinischen Apps als digitale Ergänzung zur bestehenden Behandlung. Deswegen kann ich diese Frage ganz klar verneinen. Wir sind der Meinung, dass – stand heute – keine App einen Arzt oder eine ärztliche Behandlung ersetzen kann. Wir sehen Technologie und insbesondere KI nicht als Konkurrenz oder Gegenstück zur aktuellen medizinischen Versorgung durch Fachpersonal, sondern vielmehr als Ergänzung, um zeitaufwendige Routineaufgaben zu automatisieren.
Die gesundheitliche Versorgung, vor allem von chronisch Erkrankten, kann meiner Meinung nach hervorragend durch Digitalisierung optimiert und verbessert werden, indem sie das medizinische Personal bei der Entscheidungsfindung und Versorgung unterstützt. Betrachten wir die letzten Jahre und das, was auf uns zukommt, so wird deutlich, dass langfristig gerade die Synergie von “Mensch und Maschine” Entwicklungen, wie Personalized Medicine, Entlastung des chronisch überlasteten medizinischen Personals und die Reduzierung von Gesundheitsausgaben, erst ermöglichen werden.

Einmal Dermatologie, immer Dermatologie? Haben Sie neben der Anwendung für Neurodermitis und Psoriasis schon weitere Ideen für Hautgesundheitsprodukte?

Definitiv. Wir arbeiten zurzeit an verschiedenen spannenden Projekten im Bereich der Dermatologie. Dort sind wir beheimatet und gestartet und werden in weiteren dermatologischen Indikationen, wie zum Beispiel der chronischen Akne, Urtikaria oder Rosacea, unser technologisches Potenzial ausschöpfen. Jedoch wollen wir uns langfristig über die Dermatologie hinaus weiteren digitalen indikationsspezifischen und personalisierten Lösungsansätzen widmen.

Welche Vorteile hat Berlin als Deep-Tech-Standort im Allgemeinen? Hier werden viele Start-ups gegründet, was denken Sie, ist der Grund?

Berlin ist ein toller Standort für Deep-Tech-Unternehmen, hier findet man ein großartiges Netzwerk an Expert:innen. Diese Expertise hat sich auch deutlich in der Nominierung der Finalist:innen des Deep Tech Awards widergespiegelt. Aber auch das internationale, globale Umfeld, dass so viele Talente und Unternehmen anzieht, spricht für Berlin als Deep-Tech-Standort. Ein gutes Netzwerk ist essentiell für den Unternehmenserfolg.

Der Deep Tech Award bringt viele Unternehmer:innen aus der Berliner Tech-Welt zusammen. Welche positiven Aspekte des Awards können Sie hervorheben?

Auch bei dieser Frage spiele ich gerne wieder auf das Netzwerk an. Der Award ermöglicht, sich noch einmal mit jungen, inspirierenden Unternehmer:innen auszutauschen. Dieser Austausch ist immer sehr hilfreich und lehrreich. Außerdem profitieren wir natürlich vom Vertrauen, der positiven Strahlkraft und der Reichweite, die mit dem Award einhergehen.

Danke für das Interview!