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Julio Brandl, CEO und Founder

IoT / Industrie 4.0: Im Interview mit AssistMe

Der steigende Fachkräftemangel und der demografische Wandel verursachen zunehmend Probleme in der Ressourcenverteilung des Pflegesektors. Doch die notwendige Digitalisierungsreform in diesem Bereich bleibt aus oder ist in vielen Einrichtungen so gut wie gar nicht vorhanden. AssistMe wurde gegründet, um den Pflegealltag zu revolutionieren. Mit Hilfe eines smarten Inkontinenzprodukts, welches gekoppelt an eine App wichtige Daten über den Patient:innenstatus übermittelt, kann das Pflegepersonal Abläufe im Alltag optimieren und präventiv die Lebensqualität von Pflegebedürftigen verbessern. Julio Brandl ist CEO und Founder von AssistMe und erklärt, wie das Ganze funktioniert.

Herzlichen Glückwunsch, Julio, zu eurem Gewinn in der Kategorie IoT/Industrie 4.0. Könntest du uns bitte einen Einblick in AssistMe geben und erläutern, welche Hauptziele das Unternehmen im Bereich der Altenpflege und Pflegeheime verfolgt?

Wir wollen die Pflegekräfte wirksam entlasten und zum Erhalt einer hohen Pflegequalität (gerade in Zeiten des Fachkräftemangels) beitragen. Uns geht es am Ende wie den Pflegenden um die Verbesserung des Wohlbefindens von Pflegeempfängern. Im Sinne der Pflegeheimverantwortlichen zielen wir auf monetäre Einsparungen infolge eines signifikant niedrigeren Verbrauchs von Inkontinenzmaterialien ab. Und wir stärken das kollektive Ziel der Nachhaltigkeit infolge eines signifikant niedrigeren Verbrauchs von Inkontinenzmaterialien.

Welche Alleinstellungsmerkmale zeichnen AssistMe im Gesundheitswesen und in der Digitalisierung gegenüber anderen Lösungen aus?

Es ist eine handliche Lösung, die keinerlei IT-Infrastruktur oder Internetanbindung in der Pflegeeinrichtung voraussetzt, und zahlreiche pflegerelevante Use Cases bedient. Wir entwickeln eine smarte Erkennung von Stuhlausscheidungen, um zusammen mit der Urinerkennung eine einzigartige Stellung im Kontext des Inkontinenzmanagements auf dem Markt einzunehmen. Dabei können wir auf die Erkenntnisse von Studien unter unserer technologischen Mitwirkung im Sinne des in der Lösung integrierten Pflegenutzens zurückgreifen, wie z. B. die Verbesserung der Lebens- und Schlafqualität von Pflegeempfängern bei gleichzeitiger Einsparung von Pflegeverbrauchsmaterialien in hoher Zahl.

Wie erleichtert AssistMe Pflegefachkräften in Pflegeheimen die Versorgung der Bewohner:innen und wie trägt dies zur Steigerung der Pflegequalität bei?

Die sensorbasierte Erkennung von Pflegebedarfen macht rein zeitbasierte „Routinekontrollen“ weitestgehend überflüssig und ermöglicht eine individualisierte Pflege „on time“. Durch diese planbareren Routineoptimierungen steigt die Pflegequalität in Form von mehr Zeit für individuelle und selbstbestimmte Pflegetätigkeiten auf der Seite der Pflegefachkräfte sowie einer Zunahme von Schlaf- und Lebensqualität auf der Seite der Pflegeempfänger.

Dafür stellen wir mit der Pflege entwickelte Signal- und Benachrichtigungsfunktionen via App zur Verfügung, um Ereignisse beim bzw. am Pflegeempfänger (wie den Urinstatus) in Echtzeit in pflegerelevante Informationen (Urinfüllstand) umzuwandeln und um diese gesammelt sowie automatisiert in die Pflegedokumentation zu überführen (um auch an dieser Stelle Zeit für die Pflege zu gewinnen)

Seit eurer Gründung im Jahr 2017 hat sich AssistMe sicherlich weiterentwickelt. Könntest du einige Meilensteine und Erfolge des Unternehmens auf seinem Weg mit uns teilen?

Da gibt es zahlreiche Erfolge, neben vielen anderen benennen wir gerne vor allem folgende:

Wir sind exklusiver Technologiepartner im Modellprojekt „Digitale Assistenzsysteme zur Inkontinenzversorgung pflegebedürftiger Personen“ mit dem GKV-Spitzenverband (GKV= Gesetzliche Krankenversicherung) und der Hochschule Neubrandenburg. Die Entwicklung eines smarten und patentierten Sensorstreifens zur Erkennung von Urininkontinenz sowie daran anschließender in Eigenregie mit der Pflege entwickelter Komponenten wie dem Sensorclip und der mobilen App. Der Gewinn des Deep Tech Awards 2023, solche Auszeichnungen sind immer wieder ein kleines Zeichen, dass wir auf einem großartigen Weg sind. Die Vorbereitung eines Markteintritts im internationalen Markt, u. a. mit dem German Accelerator in China, Südkorea und Japan

AssistMe spielt eine wichtige Rolle im Kontext von IoT/Industrie 4.0 zur Digitalisierung des Pflegebereichs. Welche Chancen eröffnet dies für die Zukunft?

Die Chancen für die Pflegebranche liegen klar auf der Hand: Es geht darum, digitale Technologien der neuesten Generation für die Pflege nutzbar zu machen. Die Frage ist: Wie können das Internet of Things (IoT), also die Verbindung von physischen Dingen wie einem Inkontinenzprodukt mit smarter Technologie in Form von KI-Algorithmen und nutzerfreundlicher Software schon heute die Pflege wirksam im Alltag unterstützen und entlasten. Die Chance liegt darin, Pflegeheime an der Digitalisierung in ihrem Sinne teilhaben zu lassen, ohne die Arbeit der Pflege zu stören oder komplizierter zu machen. Ganz im Gegenteil:
Wir sehen uns dabei in der Rolle eines Pflegepartners und digitalen Enablers, der mit seiner Lösung unsere und weitere digitale Lösungen ganzheitlich in die Realität der Pflege integriert. Wichtig ist auch zu sagen, dass wir Prozesse beschleunigen und effizienter gestaltbar machen und nicht ersetzen. Ohne den pflegenden Menschen sind IoT-basierte Konzepte nur graue Theorie. Die größte Chance ist, dass die pflegenden Menschen ihre Arbeit mit uns noch besser und schneller erledigen können. Unsere Lösung möchte langfristig eine zukunftsfähige Pflegedatenkultur für digital unterstütztes Teamwork mit vernetzten und transparenteren Prozessen realisieren. Daraus ergibt sich unserer Meinung nach die größte Chance, auch beim Fachkräftemangel einen spürbaren Unterschied zu bewirken.

Welche Partnerschaften oder Kooperationen hat AssistMe innerhalb des Berliner Gesundheitssystems etabliert, und wie haben sie die Entwicklung und Wirkung von AssistMe beeinflusst?

Wir wollen unsere Lösungen nicht nur aus der Wissenschaft heraus messbar nutzenstiftend in die Pflege bringen, sondern auch mit dieser zusammen testen, bewerten und optimieren. Daher haben wir im Berliner Raum und darüber hinaus zahlreiche Partnerschaften, die uns dabei tatkräftig unterstützen:

Wir haben diverse Partnerschaften mit Pflegeheimbetreibern. Hier geht es um die Möglichkeit, unsere Lösung laufend in der Praxis zu testen und Feedback von Pflegekräften einzuholen. Das hat die Entwicklung des Produkts maßgeblich begünstigt. Zu nennen wären hier die Alpenland Gruppe, Alexa und Renafan.

Auch die Kooperationen mit Wissenschaftspartnern ist in unserer Branche unabdingbar. Das große Ziel ist immer eine valide Nutzenmessung, um am Ende Pflegenutzen zu generieren bzw. diesen nachzuweisen. Dabei unterstützen uns Partner wie die Hochschule Neubrandenburg und das Johner Institut.

Partnerschaft mit Inkontinenzproduktherstellern (in Anbahnung): Diese ermöglicht uns eine Massenfertigung sensorbasierter Inkontinenzprodukte und begünstigt noch stärker die Wirtschaftlichkeit unserer Lösung.

Und wir sind in vielseitigem Sinne in verschiedenen Berliner und landesweiten Netzwerken vertreten, um unseren Anspruch einer Innovationsführerschaft im Sinne eines Pionier- und Excellence-Gedankens jederzeit weiterzuentwickeln und hochzuhalten. Neben pflegerelevanten Institutionen wie dem Kompetenzzentrum Pflege 4.0 sind hier der IT-Branchenverband Bitkom, das IoT+ Netzwerk und die Initiative de:hub zu nennen.

Welche Vorteile siehst du aus deiner Perspektive als Berliner Unternehmen für wegweisende Gesundheitslösungen wie AssistMe?

Berlin ist einer der führenden Standorte für innovative Lösungen. Die grundsätzliche Offenheit in der Pflegepraxis und Politik ist hier besonders ausgeprägt. Das technologische und digitale Umfeld hilft uns sehr, sowohl über einen regelmäßigen Austausch als auch durch gemeinsame Events und Projekte. Der Wissensschaftstandort Berlin-Brandenburg mit zahlreichen Startups, großen Einrichtungen wie der Charité und vielen Pflegeheimbetreibern im gemeinsamen Stadtkontext sind tägliche Ressourcen und Erfolgsfaktoren für unsere Arbeit. Auch für die Rekrutierung von Talenten für unser wachsendes Team aus allen Bereichen und Kulturen ist Berlin wertvoll, da wir sowohl technische Fachexpertise brauchen als auch das gewisse Extra an Mut, Agilität und Leidenschaft für unsere sensible, wichtige und spannende Branche, der digitalen Pflegeassistenz für die Pflegenden dieser Welt. Insgesamt ein sehr fruchtbares Umfeld, von dem wir sehr profitieren.

Was sind eure nächsten Schritte?

Die nächsten Schritte werden größer und größer, eine Auswahl davon sind diese hier: Wir sind im Prozess der Zulassung zum Medizinprodukt und arbeiten an der Einführung der sensorbasierten Stuhlerkennung. Wir planen die automatisierte Erkennung von Infektionserkrankungen (Entwicklungsprojekt). Wir stehen kurz vor dem Vertragsabschluss mit einem führenden Inkontinenzprodukthersteller. Wir organisieren aktuell und dauerhaft diverse Pilotprojekte mit mehreren Pflegeeinrichtungen, um verschiedene Aspekte unserer Lösung zu testen und um unseren Kunden die Möglichkeit zu geben, uns und unser Assistenzsystem vor Vertragsabschluss hinreichend kennenzulernen.

Vielen Dank für das Interview!

Weitere Infos zu AssistMe: https://www.assistme.io/