Frau lacht in die Kamera

Einkauf ohne Kassenschlangen: mit integrierter visueller KI aus Berlin

08.01.2021

Ein smarter Shopping-Assistent soll das Warten in langen Kassenschlangen beenden: Das Berliner Start-up Nomitri bringt ein kontaktloses und Smartphone-basiertes Self-Check-Out-System für Supermärkte auf den Markt.

Im Supermarkt schnappe ich mir wie immer einen Einkaufswagen, stecke mein Smartphone in die dafür vorgesehene Halterung am Griff und öffne meine neue App. Los geht mein erster kontaktloser Einkauf. Alles, was ich brauche, lege ich wie immer in den Wagen – nur mit einem kleinen Umweg vor die Kameralinse, damit sie den Barcode scannt oder das Produkt mit Hilfe der in der App integrierten visuellen Künstlichen Intelligenz von selbst erkennt. Das Warten in einer nervend langen Kassenschlange spare ich mir. Stattdessen rechnet meine App zusammen, welche Artikel im Einkaufswagen liegen, erstellt eine Rechnung und ich bezahle sofort, autonom und kontaktlos.

So in etwa funktioniert die Smartphone-basierte intelligente Selbstzahlungslösung des Berliner Deep-Tech-Start-ups Nomitri. Das Gründer*innenteam aus Trinh Le-Fiedler, Max Fiedler und Moritz August hat ein autonomes und kontaktloses Self-Check-Out-System für Supermärkte entwickelt, das gute Chancen hat, schon im kommenden Jahr realisiert zu werden. Gerade jetzt, in Zeiten von Covid-19 mit den einzuhaltenden Abstandsregeln, stößt eine schnell umsetzbare Vision der Abschaffung von langen Kassenschlangen auf besonders positive Resonanz.

Deep-Learning-basierte visuelle KI direkt auf Smartphones und Edge Devices

„Wir bringen Smartphones, Edge Devices und integrierten Systemen das Sehen bei. Dafür statten wir sie mit hochleistungsfähiger visueller Deep-Learning-KI aus, die immer verfügbar ist, ganz unabhängig davon, ob das Gerät online oder offline ist“, sagt Trinh Le-Fiedler, Harvard-Absolventin und CEO des jungen Unternehmens. Anstatt mehrere Gigabyte große neuronale Netzwerke auf Cloud-Servern auszuführen, designen die Deep-Tech-Expert*innen von Nomitri stark verkleinerte KI-Modelle von bis zu unter einem Megabyte. Diese ermöglichen die Ausführungen von KI-Applikationen direkt auf mobilen Endgeräten, in Echtzeit und energieeffizient.

Le-Fiedler und ihren Mitgründern war es wichtig, ihre Edge-Technologien vor allem auf den europäischen Markt auszurichten. „Wir wollen als Deutsche und Europäer*innen unseren Innovationen eine europäische Note geben. Das bedeutet, dass wir von Anfang an auf die Nutzung von Cloud-Infrastrukturen verzichten und einen Ansatz finden wollten, der konform ist mit den europäischen Vorstellungen von Privatsphäre und Datenschutz.“

Integrierte visuelle KI zur Wahrung der Privatsphäre

Anders, als beispielsweise das in den USA bereits existierende kontaktlose Shopping bei Amazon Go, kommt die Lösung von Nomitri gänzlich ohne Kameras an der Decke, ohne Sensoren und ohne Cloud-Systeme oder Server aus. Die integrierte visuelle KI des Start-ups ermöglicht eine intelligente Bilderkennung unter Anwendung von neuronalen Netzen direkt auf dem Smartphone der Kund*innen.

Eine Frau und zwei Männer in einem Wald lachen in die Kamera

Die Nomitri-Gründer*innen CTO Max Fiedler, CEO Trinh Le-Fiedler und CDO Moritz August

Das bedeutet zum einen, dass die Kamera des Smartphones allein auf das Innere des Einkaufswagens fokussiert ist. Menschen erfasst sie nicht. Sobald ein*e Kund*in das gewählte Produkt unter die Kameralinse hält, fügt die App es der virtuellen Einkaufsliste hinzu. Die visuelle KI ist zudem auf Warensicherung getrimmt: Wenn ein Produkt ohne Scan im Wagen landet, meldet die App dies auf dem Display. Stellen Kund*innen ein Produkt wieder ins Regal zurück, wird es automatisch storniert.

Zum anderen stellt der digitale Einkauf über integrierte visuelle KI sicher, dass der Datenschutz gewahrt bleibt. Denn im Gegensatz zur Lösung von Amazon Go werden die Videodateien der Kund*innen, die während des Einkaufs entstehen, nirgendwo anders gespeichert, als auf ihrem eigenen Gerät. Und da keine Cloud in den Einkaufsprozess involviert ist, ist nicht einmal eine Netzverbindung nötig. Der kontaktlose Einkaufsvorgang funktioniert, zumindest in der Basisversion, auch offline.

Preisgünstig und schnell einsatzbereit

Für den Einzelhandel gibt es bei der Integration der Nomitri-Technologie keine infrastrukturellen Hürden zu überwinden. Große Mengen an Videodaten im Supermarkt in die Cloud zu streamen, würde eine starke Netzwerkinfrastruktur direkt im Laden voraussetzen. Durch die Abbildung aller Einkaufsvorgänge über das Kund*innen-Handy entfällt dieser Aspekt. Die Umsetzung ist preisgünstig. Die Einzelhändler*innen bringen lediglich Smartphone-Halterungen an den bereits vorhandenen Einkaufswagen an. Das Versprechen: Innerhalb eines einzigen Tages kann die Technologie vor Ort einsatzbereit sein.

Und ganz nebenbei profitiert die Integration der visuellen KI in das Smartphone von den Innovationen auf dem Markt für mobile Endgeräte: „Indem wir alles on device auf dem Chip des Kund*innen-Handys selbst laufen lassen, nutzen wir eine meist extrem leistungsfähige Hardware, die für den Handel völlig umsonst da ist und auch noch jedes Jahr besser wird“, erklärt CTO Max Fiedler. „Es ist gigantisch, was da im Deep-Learning-Bereich gerade entsteht. Absehbar ist, dass in drei, vier Jahren fast jedes Handy und jedes andere mobile Endgerät die Fähigkeit haben wird, schon relativ anspruchsvolle Deep-Learning-Probleme zu lösen. Es fehlen dann nur die Software-Anwendungen, die das auch tun. Genau in diesem Markt möchten wir uns etablieren.“

Pilotphase startet mit internationaler Supermarktkette

Die Vermarktung der Technologie erfolgt über ein Lizenzmodell der App, die sich handelskettenspezifisch anpassen lässt. Auf Wunsch kann die Anwendung, neben dem kontaktlosen Einkaufen, auch Mehrwert bieten, wie beispielsweise Rezeptideen zu den Lebensmitteln im Wagen empfehlen oder Angebote positionieren. Nomitri arbeitet bereits mit einer internationalen Supermarktkette als Kooperationspartner zusammen. Momentan wird dort intern mit Mitarbeiter*innen getestet. Der nächste Schritt ist eine Pilotphase mit echten Kund*innen 2021.

Und Erweiterungsstufen sind bereits in der Pipeline. Dazu gehört beispielsweise die Entwicklung von Smart Fridges und intelligenten Regalsystemen.

Durch modulare Entwicklung Innovationen schnell umsetzen

„Die Entwicklung von Deep-Tech-Innovationen kann extrem lange dauern. Unsere Vision war von Anfang an, zeitnah konkrete pragmatische Probleme zu lösen und immer produktbezogen zu entwickeln“, sagt Trinh Le-Fiedler. „Mit unserem modularen Ansatz können Einzelhändler*innen in Europa mit extrem wenig Overhead etwas Innovatives ausprobieren und Stück für Stück weiter in die Technologie einsteigen.“

Die Resonanz auf die integrierte visuelle KI des Start-ups ist vielversprechend. Bereits ein paar Monate nach der Gründung hat Nomitri die erste Finanzierungsrunde abgeschlossen. Letztes Jahr bekam das Unternehmen zudem eine Innovationsförderung von knapp 1,2 Millionen Euro der Investitionsbank Berlin.