Das Coronavirus wurde zu einer weltweiten Belastungsprobe für die Gesellschaft und Wirtschaft. Gleichzeitig stellt sie auch eine neue Chance dar. Gerade für technologische Innovationen kann die Corona-Krise eine große Chance sein.
Während im Januar 2020 wohl noch niemand geglaubt hätte, dass wir Mitte des Jahres nicht nur das Wort „exponentielles Wachstum“ in unsere Allgemeinbildung aufgenommen haben, sondern ebenfalls zu einem Umdenken gezwungen wurden, welches in vielen gesellschaftlichen Bereichen verdeutlichte, dass u. a. Deep-Tech-Lösungen in Bereichen der Kommunikation oder automatisierter Prozesse sehr hilfreich gewesen wären, um nicht alle systemrelevanten Organisationen und Einrichtungen zu einem Stillstand zu zwingen. Durch die unsichtbare Gefahr von Covid 19 wurde eine Start-up-Mentalität in vielen Unternehmen erzwungen, da in einer vorher undenkbaren Geschwindigkeit fast alle Unternehmen zum Homeoffice gezwungen worden waren und sich schnell an neue Werkzeuge & Tools gewöhnen mussten, die bis zu diesem Zeitpunkt undenkbar gewesen wären. Neue Arbeitsroutinen etablierten sich schnell und eine gewisse Kreativität und Tatkraft wurde sichtbar, um die gegenwärtige Krise zu überwinden. Dieser Umstand und die Erfahrungen, die nun viele Unternehmen in den letzten Monaten machen durften, führen zugleich dazu, dass nicht nur Unternehmen, sondern auch die Politik ein neues Bewusstsein für Deep Tech und deren Anwendungsbereiche erhalten haben. Welche Rolle Deep Tech einnehmen kann, zeigte das Berliner KI-Start-up DialogShift während der Corona-Krise: Gemeinsam mit dem Medizinspezialisten PRIMO MEDICO konnte sie eine Soforthilfe für die Berliner Vivantes Kliniken leisten. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz wurde den Kliniken ein Chatbot für die Krisensitutation zur Verfügung stellen. Für rund 1000 Fragen am Tag, Themen wie Symptome der Covid-19-Krankheit oder der verfügbaren Testtermine, hat der Chatbot die einfache Informationsvermittung übernommen und dazu beigetragen, die Häuser vor einer Überlastung zu schützen und gleichzeitig besorgte Patient*innen über das Coronavirus aufzuklären.
Aus einem Chaos eine neue Realität entstehen lassen
Es mag sich in vielen Bereichen nicht so anfühlen, aber wir können uns glücklich schätzen, dass wir eine Pandemie jetzt erleben und nicht schon vor zehn oder 20 Jahren, als die Auswirkungen noch viel weitreichender gewesen wären. Die täglichen Nachrichten, die davon berichten, wie Deep Tech durch Künstliche Intelligenz, Innovationen im Social-Tech-Bereich oder automatisierte Lösungen zu einer besseren Entscheidungsfindung führen und Fortschritte für medizinische Behandlungen und Impfungen machen, wäre damals in dieser enormen Geschwindigkeit nicht möglich gewesen. Während wir gerade einen Paradigmenwechsel und die vierte industrielle Revolution erleben, stellt uns die Corona-Krise vor Herausforderungen, die uns bewusst machen, dass bereits fortschrittliche Unternehmen, die sich exponentiell wachsende Daten und Technologien zunutze machen, ihren Wettbewerbsvorteil massiv steigern konnten.
Es besteht kein Zweifel, dass Deep Tech eines der meistdiskutierten Themen in der Technologie ist. Wie tiefgreifend sich Deep Tech auf wichtige Segmente der Wirtschaft auswirkt, wie z. B. Robotik, intelligente Produkte, medizinische Geräte und Dienstleistungen im Kommunikationsbereich, wurde durch die gegenwärtige Krise schnell deutlich. Fast alle Facetten der modernen Gesellschaft und der Wirtschaft scheinen hierbei betroffen zu sein. Dabei ist es vor allem wichtig, den Unterschied zwischen Deep-Tech-Unternehmen und traditionellen Technologien zu machen. Die traditionellen Technologieunternehmen neigen dazu, sich lediglich auf das Marktrisiko zu konzentrieren, während Deep-Tech-Unternehmen sich eher auf die technische Machbarkeit ausrichten. Die Umsetzung und Machbarkeit neuer Technologien oder die Kombination von Technologien stehen hier zunächst vor allem Vordergrund. Wohingegen traditionelle Technologieunternehmen sich auf die Erschließung eines neuen Marktes oder die Innovation eines neuen Geschäftsmodells fokussieren. Ein Beispiel der technologischen Machbarkeit von Deep-Tech-Lösungen stellen beispielsweise Webapplikationen wie das Berliner Deep-Tech-Unternehmen 2Meters, das Warteschlagen digital organisieren kann, dar. Dieses Beispiel ist gerade für die gegenwärtige Krise und die Notwendigkeit, auf physical distancing zu achten, nahezu perfekt. Ein niedrigschwelliges Warteschlangenmanagementsystem, das sich fast barrierefrei einsetzen ließe, hätte viele alltägliche Prozesse wie Termine beim Arzt, das Einkaufen im Supermarkt oder die Abholung von Büchern in Bibliotheken vereinfachen und sich der neuen Realität, andere Mitmenschen zu schützen, anpassen können. Etablieren werden sich Services, die dem Warteschlangenmanagement dienen, zum einen aus der Notwendigkeit heraus und zum anderen aus der Erkenntnis, dass sich unnötige Wartezeiten und volle Wartezimmer auflösen lassen. Dieses Beispiel zeigt, dass bereits vorhandene Technologien durch Kreativität mit der richtigen Kombination, zu niedrigschwelligen und nutzerfreundlichen Innovationen führen können. Der Service wird in der Cloud gehostet, nutzt die bereits integrierten Kameras eines jeden Smartphones und erfordert keinerlei Download einer App.
Der richtige Zeitpunkt für Deep-Tech-Innovationen ist jetzt
Die Pandemie-Situation hat uns noch einmal mehr bewusst gemacht, dass visionäre Technologien von heute schnell die bahnbrechenden Technologien von morgen sein können. Um einen Mehrwert aus der gegenwärtigen Krise zu schöpfen und in Prozesse oder Dienstleistungen einfließen zu lassen, sollte der Fokus nun auf der Entwicklung von Deep-Tech-Innovationen liegen und sich den Zeitgeist zunutze machen. Laut Experten sind hier vor allem Maschinenintelligenz, IoT und Innovationen im Bereich der Dezentralisierung (z. B. durch Blockchain) besonders in den Mittelpunkt zu stellen, da diese Technologien einer Markreife am nächsten kommen. Nicht zuletzt sind das gesellschaftliche Verständnis und die neue Akzeptanz gegenüber solchen technologischen Systemen ebenfalls wichtig, um die daraus resultierenden Produkte, Services oder ungewohnten Prozesse erfolgreich zu etablieren.
Die kollektive Erfahrung der Krise, die erheblichen Einschränkungen und der Wegfall einiger Ebenen der Maslowschen Bedürfnis-Pyramide sollten Unternehmen und Visionär*innen motivieren, vor allem systemrelevante Handlungsfelder zu eruieren und gerade hier in technologischen Lösungen zu denken. Der durch die gegenwärtige Krise entstandene Anschub für das gesellschaftliche Vertrauen, dass Technologie einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten kann, um den medizinischen Bereich oder auch das Bildungssystem während einer Krise nicht lahmlegen zu müssen, sollte nun für unsere Wirtschaft von zentraler Bedeutung sein, um Lösungen für bekannte und unvorhersehbare Krisen schaffen. Zu den in erster Linie sichtbar gewordenen Handlungsfeldern gehören u. a. Innovationen der Medizintechnik, Schutzausrüstung, Biotech, Nahrungsmittel und intelligente digitale Infrastrukturen, um zunächst vor allem die systemrelevanten Bereiche nicht mehr zu einem Stillstand kommen zu lassen. Noch bevor die vollen Ausmaße der Coronavirus-Krise deutlich werden, wird bereits klar, dass es nun an der Zeit ist eine Zukunftsvision zu entwickeln, die Technologie als Unterstützerin vermitteln muss und nicht als pure Gefahr darstellt. Eine langfristige Etablierung von Deep-Tech-Lösungen und die Verwirklichung der Vision einer zukünftigen Wirtschaft, die systemrelevante Bereiche neu aufbaut, erfordert jedoch nicht nur sowohl private als auch öffentliche Investitionen, sondern ebenfalls eine technologische Kompetenzentwicklung in vielen Unternehmen als auch in unserem Bildungssystem.