Drucksache - 1002/XXI
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Der Ausschuss für Bürgerdienste, Gleichstellung, Antidiskriminierung und Queerpolitik empfiehlt der Bezirksverordnetenversammlung die Annahme des Antrages in folgender Fassung:
Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:
Das Bezirksamt Neukölln wird gebeten zu prüfen, ob der Paragraf 5 des Wirtschaftsstrafrechts ("Wucherparagraf") ähnlich wie in Frankfurt/Main als ein wirksames Instrument gegen überhöhte Mieten eingesetzt werden kann.
Begründung: Aus Frankfurt wird berichtet, dass das dortige Wohnungsamt zwischen 2020 und 2022 insgesamt 1384 Fälle wegen überhöhten Mieten vor Gericht gebracht hat, von denen nur 171 mangels Tatverdacht eingestellt wurden. In den genannten drei Jahren wurden Geldbußen von 321.000 Euro festgesetzt und 419.000 Euro von den Vermietern an die Mieter zurückgezahlt.
-Schlussbericht-
Ausgangslage
Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach § 5 WiStG ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bezirksamts Neukölln dem Fachbereich Wohnen, dort dem Bereich Zweckentfremdung von Wohnraum, zugewiesen. Bisher wurden solche Verfahren im zuständigen Bereich weder konkret angezeigt noch geführt. Die Erfolgsaussichten derartiger Verfahren wurden aufgrund der gesetzlichen Anforderungen und der bisher bekannten Rechtsprechung als äußerst gering bewertet. § 5 WiStG bestimmt:
(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig für die Vermietung von Räumen zum Wohnen oder damit verbundene Nebenleistungen unangemessen hohe Entgelte fordert, sich versprechen lässt oder annimmt.
(2) Unangemessen hoch sind Entgelte, die infolge der Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen die üblichen Entgelte um mehr als 20 vom Hundert übersteigen, die in der Gemeinde oder in vergleichbaren Gemeinden für die Vermietung von Räumen vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage oder damit verbundene Nebenleistungen in den letzten sechs Jahren vereinbart oder, von Erhöhungen der Betriebskosten abgesehen, geändert worden sind. Nicht unangemessen hoch sind Entgelte, die zur Deckung der laufenden Aufwendungen des Vermieters erforderlich sind, sofern sie unter Zugrundelegung der nach Satz 1 maßgeblichen Entgelte nicht in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung des Vermieters stehen.
(3) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro geahndet werden.
Es handelt sich beim WiStG um ein strafrechtliches Nebengesetz. § 5 WiStG normiert eine reine Ordnungswidrigkeit, bei der - anders als z.B. im Zweckentfremdungsrecht - keine Verbindung zum Verwaltungsrecht besteht. Gegenstand der Norm ist das bußgeldbewehrte Verbot des Mietwuchers für Wohnraum.
In § 5 Abs. 2 WiStG ist bestimmt, wann ein Entgelt als unangemessen hoch anzusehen ist. Hierfür ist zunächst erforderlich, dass das für die konkreten Räume geforderte Entgelt 20 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt. Weiter muss das Übersteigen der ortsüblichen Entgelte Folge eines Ausnutzens eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen durch die Vermieterin oder den Vermieter sein. Hierfür ist in objektiver Hinsicht ein Kausalzusammenhang zwischen dem geringen Angebot und dem Fordern des unangemessenen Entgelts im Sinne einer (zumindest) Mitursächlichkeit erforderlich. In subjektiver Hinsicht wird ein bewusstes Zunutzemachen der Situation durch die Vermieterin oder den Vermieter gefordert. An diesem Merkmal kann es fehlen, wenn die Mieterin oder der Mieter selbst keine Anstalten gemacht hat, eine günstigere Wohnung zu suchen oder aus persönlichen Gründen bereit ist, auch deutlich überhöhte Preise zu bezahlen.
Die Stadt Frankfurt am Main hat nunmehr erfolgreich Verfahren nach § 5 WiStG geführt, sodass zu prüfen ist, ob § 5 WiStG auch in Berlin, hier im Bezirk Neukölln, als wirksames Instrument gegen überhöhte Mieten eingesetzt werden kann.
Vorgehen der Stadt Frankfurt am Main Der nachfolgend beschriebene Ablauf eines Verfahrens nach § 5 WiStG in der Stadt Frankfurt am Main ist auf deren Website hinterlegt (https://frankfurt.de/themen/planen-bauen-und-wohnen/wohnen/mietrechtliche-beratung/mietpreisueberhoehung). In Frankfurt a.M. werden die Mieterinnen und Mieter zunächst gebeten, anhand des verlinkten Online-Rechners zum Mietspiegel oder der verlinkten Mietspiegel-Broschüre eine Berechnung zur Orientierung vorzunehmen. Sollten sich bei der eigenen Überprüfung Anhaltspunkte für eine Mietpreisüberhöhung ergeben, müssen die Mieterinnen und Mieter das entsprechende Formular (https://formulare.ffm.de/f/N1AmJrxnFria6uHh232YuEWrmaA2HrHf) ausfüllen und sämtliche zur Berechnung der ortüblichen Vergleichsmiete erforderlichen Angaben zur Wohnung machen. Dieses Formular ist mit Unterlagen zum Mietverhältnis, die in dem Verfahren als Beweismittel dienen können, bei dem Frankfurter Amt für Wohnungswesen einzureichen. Ferner ist erforderlich, dass die Mieterinnen und Mieter ausführlich beschreiben, warum sie sich gerade für diese Wohnung entschieden haben, welche Bemühungen sie bei der Wohnungssuche unternommen haben und warum diese erfolglos geblieben sind, also welche und wie viele Wohnungen den Mieterinnen und Mietern zur Auswahl standen und warum sie keine dieser Wohnungen angemietet haben.
Anhand der dann vorliegenden Angaben und Unterlagen der Mieterinnen und Mieter, die auch als Beweismittel dienen, wird in einer ersten Prüfung durch das Frankfurter Amt für Wohnungswesen festgestellt, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 WiStG erfüllt sein könnten. Sollte dies der Fall sein, wird ein Termin vor Ort vereinbart, bei dem die den Mietpreis bildenden Merkmale der Wohnung durch Mitarbeitende des Amtes für Wohnungswesen konkret festgestellt und in einer Fotodokumentation festgehalten werden. Aufgrund der anschließend vorliegenden Tatsachenbasis erfolgt eine detaillierte Berechnung der maximal zulässigen Miete in diesem konkreten Fall.
Sollte im Ergebnis eine Mietpreisüberhöhung vorliegen, tritt das Frankfurter Amt für Wohnungswesen zunächst mit den Vermieterinnen und Vermietern in Kontakt, um eine Absenkung und Rückzahlung der bisher zu viel gezahlten Miete zu erreichen. Wenn diese Bemühungen scheitern, wird in dem Ordnungswidrigkeitenverfahren ein Bescheid erlassen, in dem ein Bußgeld festgesetzt und die zu viel gezahlte Miete zu Gunsten der Mieterin oder des Mieters eingezogen wird. Die Vermieterinnen und Vermieter können hiergegen Einspruch einlegen und den Fall vom zuständigen Amtsgericht entscheiden lassen.
Anwendung des § 5 WiStG im Bezirksamt Neukölln Das Vorgehen der Stadt Frankfurt am Main ist sach- und fachgerecht; die Vorgehensweise sollte grundsätzlich mit diesem Ablauf auch im Bezirk Neukölln (besser noch im Land Berlin) übernommen werden.
Der Fachbereich Wohnen, Bereich Zweckentfremdung von Wohnraum, des Bezirksamts Neukölln wird einen an den Berliner Mietspiegel angepassten Fragebogen entwickeln und beabsichtigt, zunächst mit den vorhandenen knappen Personalressourcen ein erstes Musterverfahren durchzuführen.
Zur Frage der Wirksamkeit des Einsatzes des § 5 WiStG im Bezirk Neukölln sind nachfolgend genannte Aspekte zu berücksichtigen:
- Die Verfahren nach § 5 WiStG können nur bei freiwilliger und umfassender Mitwirkung der Mieterinnen und Mieter geführt werden. Diese müssen die erforderlichen Informationen und Unterlagen zur Verfügung stellen. Sie sind in den gegen die Vermieterinnen und Vermieter geführten Verfahren Zeugen und müssen ggf. auch vor Gericht aussagen. Ein zwangsweises Vorgehen gegen den Willen der jeweiligen Mieterinnen und Mieter ist nicht zielführend und sollte nicht erfolgen, da hierdurch möglicherweise eine erhebliche bzw. tatsächlich auch nicht gewünschte Störung des Mietverhältnisses eintreten kann.
- Es ist derzeit nicht abzuschätzen, wie das für die Ordnungswidrigkeitenverfahren zuständige Amtsgericht Tiergarten in diesen Fällen entscheiden wird. Eine Bindung an die Rechtsprechung aus Frankfurt am Main besteht nicht. Selbst eine unterschiedliche Beurteilung der Fälle durch die einzelnen Abteilungen des Amtsgerichts Tiergarten wäre möglich.
- Der Fachbereich Wohnen, Bereich Zweckentfremdung von Wohnraum, ist im Bezirksamt Neukölln beim Amt für Bürgerdienste angesiedelt. Das Frankfurter Amt für Wohnungswesen weist eine grundlegend andere Organisation und Aufgabenstruktur auf: In Frankfurt a.M. werden neben den Aufgaben Wohngeld und der Sozialer Wohnungsbau auch jegliche mietrechtliche Beratung, eine Stabsstelle Mieterschutz, die Zuständigkeiten für den Mietspiegel, die Wohnungsmarktbeobachtung und die Wohnungsaufsicht in einem Amt gebündelt. Hierdurch entstehen erhebliche Synergieeffekte hinsichtlich der Bearbeitung von Verfahren nach § 5 WiStG. Diese bestehen für den Bereich Zweckentfremdung von Wohnraum im Bezirksamt Neukölln in dieser Form nicht, da die anderen Bereiche des Frankfurter Amtes für Wohnungswesen in der Zuständigkeit des Stadtentwicklungsamtes des BA Neukölln oder der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen liegen.
- Der Bereich Zweckentfremdung von Wohnraum ist derzeit personell mit 5 Stellen ausgestattet, von denen derzeit 4,81 besetzt sind, sofern alle Dienstkräfte anwesend sind. Orientiert man sich rein rechnerisch an der Beschreibung des Aufgabenkreises (BAK) und darin enthaltenen Zeitanteilen, entfallen nur 5 % der Arbeitszeit einer Stelle/Dienstkraft auf die Bearbeitung von Ordnungswidrigkeitenverfahren nach § 5 WiStG. Im Ergebnis steht somit im Bereich Zweckentfremdung von Wohnraum maximal ¼-Stelle (5 x 5 %) zur Bearbeitung von Verfahren nach § 5 WiStG zur Verfügung. Zu den zu erwartenden Bearbeitungszeiten und der Anzahl von Verfahren, die mit der vorhandenen Kapazität von ¼-Stelle tatsächlich bearbeitet werden können, soll das beabsichtigte Musterverfahren erste Erkenntnisse bringen. Nach dem in dieser Stellungnahme geschilderten erforderlichen Vorgehen und Prüfungsaufwand der Stadt Frankfurt a.M., kann bereits jetzt schon davon ausgegangen werden, dass die personellen Kapazitäten lediglich zur Bearbeitung vereinzelter Fälle ausreichen werden, insbesondere dann, wenn Vor-Ort-Termine durchgeführt werden, bei denen im Regelfall jeweils zwei Mitarbeitende im Einsatz sind.
Nach derzeitigem Stand wird die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen die Bezirke weder bei der Planung und Implementierung eines einheitlichen Verfahrensablaufes noch hinsichtlich eines erhöhten Personalbedarfs unterstützen. Inwieweit ein gemeinsames Vorgehen der Bezirke miteinander verabredet werden kann, wird sich im Laufe des Jahres zeigen; erste diesbezügliche Gespräche hat der Fachbereich Wohnen des BA Neukölln bereits aufgenommen.
Das Bezirksamt sieht den BVV-Beschluss damit als erledigt an.
Berlin-Neukölln, 07. Mai 2024
Martin Hikel Bezirksbürgermeister |
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