Drucksache - 1550/VI  

 
 
Betreff: Sozialamt im Dienst der Menschen 4 - Unterstützung durch Dritte wertschätzen, Hilfsbereitschaft erhalten
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Fraktion Bündnis 90/Die GrünenFraktion Bündnis 90/Die Grünen
Verfasser:Kreße, Massalme, Drebes und die übrigen Mitglieder der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 
Drucksache-Art:AntragAntrag
Beratungsfolge:
BVV Mitte von Berlin Entscheidung
20.06.2024 
28. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin      
Ausschuss für Soziales, Arbeit, Bürgerdienste und Wohnen Entscheidung
09.07.2024 
26. öffentliche/ nichtöffentliche Sitzung des Ausschusses für Soziales, Arbeit, Bürgerdienste und Wohnen vertagt   

Sachverhalt
Anlagen:
1. Antrag Grüne vom 11.06.2024

Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:

 

Das Bezirksamt wird ersucht, die Hilfsbereitschaft im Freundes- und Bekanntenkreis von Menschen, die grundsätzlich Anspruch auf Leistungen der Sozial- oder Eingliederungshilfe haben, wertzuschätzen und hilfsbereite Menschen nicht zu überfordern.

  1. Dazu soll es bei der Beurteilung von Bedarf und Bedürftigkeit sowie in der Beratung akzeptieren, dass die Fähigkeit und Bereitschaft, andere Menschen finanziell oder tatkräftig zu unterstützen, Grenzen hat und in der Vergangenheit geleistete Hilfe nicht zur Hilfe in der Zukunft verpflichtet. Keinesfalls sollen Anträge auf Eingliederungshilfeleistungen oder Hilfe zur Pflege mit dem Verweis darauf, dass diese von Freund*innen, Bekannten oder Nachbarn erbracht werden sollen, abgelehnt werden.
  2. Private Darlehen, die ausdrücklich dazu bestimmt sind, akute Notlagen zu überbrücken, sollen in Übereinstimmung mit §25 SGB XII als solche statt als Deckung des Bedarfs zu behandelt werden.
  3. Werden Anträge auf Leistungen der Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Pflege gestellt, soll innerhalb von 14 Tagen nach Antragseingang geprüft werden, inwiefern Personen im Freundes- und Bekanntenkreis die fehlenden Leistungen in einem nicht zumutbaren Umfang kompensieren. Von einem nicht zumutbaren Umfang kann ausgegangen werden, wenn Urlaub genommen werden muss, um die leistungsberechtigte Person zu unterstützen, Fahrtwege anfallen, welche zwei Stunden pro Richtung übersteigen oder auch regelmäßig nachts Bereitschaft geleistet wird. In diesem Fall sollen Anträge prioritär behandelt werden, um Personen im Freundes- und Bekanntenkreis zeitnah zu entlasten. Sofern das Einverständnis der leistungsberechtigten Person vorliegt, soll das Sozialamt die unterstützenden Personen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis oder der Nachbarschaft in die Bedarfsermittlung miteinbeziehen.
  4. Das Sozialamt soll im Austausch mit dem Jugendamt auch die Gruppe der Young Carer*innen in den Blick nehmen, also pflegende Kinder und Jugendliche. Das Sozialamt soll hier Möglichkeiten schaffen, diese Konstellationen bei der Beantragung von Eingliederungshilfeleistungen und Hilfen zur Pflege zu unterstützten. Keinesfalls soll der Prozess der Antragsstellung und des Unterlagen-beibringens auf den Schultern der Young Carer*innen lasten.

Das Bezirksamt wird darüber hinaus ersucht, auch bei gesetzlich zur Unterstützung verpflichteten Personen Grenzen der Fähigkeit und Bereitschaft zur tatkräftigen Unterstützung anzuerkennen.

Außerdem wird das Bezirksamt ersucht, bei Personen mit stationärer Jugendhilfeerfahrung, sogenannten Careleaver*innen, grundsätzlich die Härtefall-Klausel nach §94 Absatz 3 Nummer 2 anzuwenden und davon Abstand zu nehmen, Familienangehörige zu involvieren. Wenn Kinder und Jugendliche aus ihren Familien genommen werden, hat dies in der Regel gute Gründe und ist häufig mit traumatischen Erfahrungen in jungen Jahren verbunden. Müssen Careleaver*innen erneut Fragen dazu beantworten, warum keine Unterstützung seitens der Herkunftsfamilie möglich ist, kann dies diese schlimmstenfalls retraumatisieren. Existiert ein Sperrvermerk oder wünschen Careleaver*innen nicht, dass ihre aktuelle Wohnadresse an die Herkunftsfamilie herausgegeben wird, ist dies zu respektieren. Im Fall, dass der Herkunftsfamilie die Adresse durch ein Versehen des Amtes bekannt wird und dadurch ein Umzug notwendig wird, soll das Amt den Careleaver*innen die Kosten für den Umzug erstatten.

Begründung:

Leistungen der Sozialhilfe erhält nur, wer den entsprechenden Bedarf nicht auf andere Weise decken kann. In etwas eingeschränkter Weise gilt dies auch für Leistungen der Eingliederungshilfe.

Sowohl die Vorschriften des SGB XII als auch des Zweiten Teils des SGB IX sehen jedoch nur für bestimmte Gruppen von An- und Zugehörigen eine Pflicht zur vorrangigen Finanzierung und / oder vorrangige Deckung des Bedarfs durch Übernahme von Hilfeleistungen vor. Das bedeutet, dass Unterstützung durch nicht genannte Personen, wie Freund*innen, Nachbar*innen oder entfernte Verwandte, auch dann nicht erwartet bzw. vorausgesetzt werden kann, wenn sie in der Vergangenheit erfolgt ist. Während der Umfang der Pflicht zur finanziellen Unterstützung klar geregelt ist, ist das für die Unterstützung durch eigene Übernahme von Tätigkeiten nicht der Fall. Das ermöglicht Flexibilität, um einerseits die Lebensumstände und deren Veränderungen und andererseits auch die Dauer des Bedarfs an Unterstützung berücksichtigen zu können.

§25 SGB XII sieht zudem vor, dass das Sozialamt Personen, die Menschen ohne gesetzliche Verpflichtung aus einer akuten Notlage helfen, deren Ausgaben erstatten muss.

Leider legt das Sozialamt Mitte die Vorschriften zum Nachrang seiner Leistungen sehr weit in dem Sinne aus, dass es auch die vorrangige Unterstützung durch Personen voraussetzt, die nicht verpflichtet sind oder glaubhaft machen, überfordert zu sein oder sie aus anderen Gründen nicht mehr leisten zu können. Das schadet dem Miteinander.

 

 
 

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