Drucksache - 1549/VI  

 
 
Betreff: Abriss der Wohnungen in der Tegeler und Fennstraße stoppen!
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Fraktion DIE LINKEFraktion DIE LINKE
Verfasser:Sanehy, Diederich, Kleedörfer und die anderen Mitglieder der Fraktion Die Linke 
Drucksache-Art:AntragAntrag
Beratungsfolge:
BVV Mitte von Berlin Entscheidung
20.06.2024 
28. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin      
Stadtentwicklung, Facility Management Entscheidung
26.06.2024 
31. öffentliche/nichtöffentliche Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Facility Management      
16.07.2024 
32. öffentliche/nichtöffentliche Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Facility Management      

Sachverhalt
Anlagen:
1. Antrag LINKE vom 11.06.2024
2. Anlage_DS_1549_VI_918845 - Rechtsgutachten Schutz der Wohnungen im Mettmann-Kiez nach dem Zweckentfremdungsrecht

Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:

 

Vorbemerkung: An der Fennstraße 33, 34/Tegeler Straße 1 sowie Tegeler Straße 2-7 sind 140 Wohnungen auf dem Gelände der Bayer AG vom Abriss und damit Menschen von dem Verlust ihres Wohnraums bedroht. Dabei handelt sich rechtlich um schützenswerten Wohnraum.

 

 

Das Bezirksamt wird ersucht, seine Rechtspositionen bezüglich der folgenden Fragestellungen unter Berücksichtigung des „Rechtsgutachten betreffend den beabsichtigten Abriss der Wohnbebauung im „Mettmann-Kiez“ im Bezirk Mitte von Berlin (Fennstraße/Tegeler Straße) und rechtliche Optionen des Bezirksamts für ein weiteres Vorgehen“ der GGSC-Rechtsanwaltskanzlei vom 02.05.2024 zu prüfen und im Ergebnis der Prüfung die sich daraus ergebenden notwendigen Schritte umgehend einzuleiten:

  1. Unterliegen die Wohngebäude Fennstraße 33,34/ Tegeler Straße 1 sowie Tegeler Straße 2-7 dem Zweckentfremdungsverbot-Gesetz?

und

  1. Bestehen Möglichkeiten des Erlasses einer Rechtsverordnung gemäß § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 Baugesetzbuch* (sog. Umstrukturierungssatzung)?

 

Das Bezirksamt wird in diesem Zusammenhang insbesondere ersucht:

 

  1. Die erteilten Negativatteste gemäß § 5 ZwVbVO zurückzunehmen/aufzuheben. 
  2. Die Wohnungen als schützenswerten Wohnraum im Sinne des Zweckentfremdungsverbot-Gesetzes (ZwVbG) anzusehen und zukünftig alle Anträge, die auf eine Umnutzung oder einen Abbruch der Gebäude abzielen, dementsprechend zu bearbeiten.
  3. Eine Rechtsverordnung gemäß § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 Baugesetzbuch* (sog. Umstrukturierungssatzung) - analog zum BVV-Beschluss DS 0266/VI vom 19. Mai 2022 - zu erlassen. Diese Umstrukturierungssatzung soll Grundlage für einen Sozialplan gemäß § 172 Absatz 5 BauGB sein. Die folgenden Grundsätze sind zu berücksichtigen:
    1. Unter Berücksichtigung der bisherigen Wohnungsgröße soll der Mietpreis der zukünftigen Wohnung (Nettokaltmiete), auch bei ggf. besserer Ausstattung, den aktuell gezahlten Mietpreis der jeweiligen Wohnung nicht wesentlich übersteigen. Dabei gilt für die zu bezuschussende Nettokaltmiete eine Obergrenze von 6,50 €/m² (nettokalt). Dies soll auch bei einer Erhöhung der Wohnungsgröße der zukünftigen Wohnung bis maximal 20 % gelten. Die jeweilige Mietdifferenz ist vom derzeitigen Eigentümer (Bayer-Schering AG) unbefristet zu übernehmen.
    2. r belegungsgebundene Wohnungen müssen die Regelungen unter 1. nicht angewandt werden. Für Mieter*innen mit Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein, die belegungsgebundene Wohnungen des Bezirkes in Anspruch nehmen, kann dies zu den bestehenden Mieten möglich sein.
    3. r Mieter*innen, die Bezieher*innen der Grundsicherung (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes) nach dem SGB II sind, sind Verfahren festzulegen, die langfristig sicherstellen, dass die zukünftigen Wohnungsmieten nicht die Höchstgrenzen der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung überschreiten. Dennoch vorhandene Mietdifferenzen sind vom derzeitigen Eigentümer (Bayer-Schering AG) unbefristet zu übernehmen.
    4. Die sonstigen üblichen Sozialplanregelungen (z. B.: Aufwendungsersatzanspruch und/oder Entscdigungen, Mietminderung, Umzugsunterstützung und Erstattung von Umzugskosten u. a.) sollen von den o. g. Regelungen unabhängig weiterhin gelten.
    5. Mit der Erarbeitung des Sozialplans/der Sozialpläne ist eine eigentümerunabhängige Mieterberatung zu beauftragen.

 

Begründung: 

 

Vor dem Hintergrund des Versuches, alle rechtlichen Möglichkeiten zum Erhalt der Wohngebäude Fennstraße 33, 34/Tegeler Straße 1 sowie Tegeler Straße 2-7 im Mettmannkiez zu erhalten und die Mieterinnen und Mieter davor zu schützen, ihre bezahlbaren Wohnungen und damit ihren Lebensmittelpunkt zu verlieren, hat die Fraktion Die Linke in der BVV Berlin Mitte ein „Rechtsgutachten betreffend den beabsichtigten Abriss der Wohnbebauung im „Mettmann-Kiez“ im Bezirk Mitte von Berlin (Fennstraße/Tegeler Straße) beauftragt, welches die bisherigen Rechtspositionen des Bezirksamtes Mitte insbesondere zu den Fragestellungen

         Unterliegen die Wohngebäude Fennstraße 33, 34/ Tegeler Straße 1 sowie Tegeler Straße 2-7 dem Zweckentfremdungsverbot-Gesetz (ZwVbG)?

         Ist der Erlass einer Rechtsverordnung gemäß § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 Baugesetzbuch* (sog. Umstrukturierungssatzung) möglich?

juristisch beleuchten sollte.

Das erstellte Gutachten der Kanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll (siehe Anlage) zeigt entgegen der bisherigen Rechtsauffassungen des Bezirksamtes auf dass 

         die Wohnungen in der Tegeler Straße 1-7 sowie der Fennstraße 33 und 34 schützenswerter Wohnraum sind,

         ein Abriss somit nicht bzw. nur unter der Berücksichtigung des Zweckentfremdungsverbot-Gesetz möglich ist,

         der Erlass einer Rechtsverordnung gemäß § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 Baugesetzbuch* (sog. Umstrukturierungssatzung) möglich ist.

Dieses Gutachten stellt die bestehende Praxis des Bezirksamtes bezüglich der oben genannten Wohnungen grundsätzlich in Frage und erfordert daher ein Umsteuern in der Genehmigung des Abrisses der Wohnungen und dem Schutz der Mieterinnen und Mieter vor Verdrängung.

 

Zu: Unterliegen die Wohngebäude Fennstraße 33, 34/ Tegeler Straße 1 

sowie Tegeler Straße 2-7 dem Zweckentfremdungsverbotsgesetz?

Am 20.04.2020 wurden beim Bezirksamt Mitte für die 4 Grundstücke in der Tegeler Straße Anträge auf Abbruch der Wohngebäude eingereicht. Diese wurden mit Datum vom 04.11.2020 genehmigt. Mit Datum vom 29.10.20 wurde für die 4 Grundstücke die Ausstellung von zweckentfremdungsrechtlichen Negativatteste beantragt. Diese wurden am 03.11.2020 erteilt (vergl. Beantwortung der Großen Anfrage DS 3322/V zu „Keine Wohnhausabrisse und Mieter*innenvertreibung in der Tegeler Straße 2-5 sowie Tegeler Straße 6-7 und Tegeler Straße 1/Fennstraße 33/34 durch Bayer-Schering II“ vom 30. Oktober 2021.

Des Weiteren heißt es im Rahmen der Beantwortung der Schriftliche Anfrage DS 1180/V des ehemaligen Bezirksverordneten Frank Bertermann zu 1. u. a.: r die Grundstücke Tegeler Str. 2 - 5 wurden Negativatteste erteilt. Für die restlichen Grundstücke wurden keine zweckentfremdungsrechtlichen Anträge gestellt. Eine Verpflichtung zur {kostenpflichtigen} Beantragung von Negativattesten besteht grundsätzlich nicht, da es sich nicht um Wohnraum im Sinne des ZwVbG handelt.”

Grundlage für die Erteilung der zweckentfremdungsrechtlichen Negativatteste war die Rechtsauffassung des Bezirksamtes, dass es sich bei den Wohnungen nicht um schützenswerten Wohnraum im Sinne des ZwVbG handeln würde. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf die Beantwortung der Schriftliche Anfrage von Niklas Schenker (Die Linke) und Tobias Schulze (Die Linke) DS 19/10998 vom 15.02.2022 zu “Abriss von 140 Wohnungen durch die Bayer AG im Mettmannkiez”

https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-10998.pdf 

Entgegen dieser Rechtsauffassung stellt das Gutachten der Kanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll fest: Demnach dürfte die Auffassung des Bezirksamts, die Wohnungen seien rechtlich nicht zur dauernden Wohnnutzung geeignet, jedenfalls insoweit rechtlich unzutreffend sein, als für die Wohnnutzung in der Vergangenheit tatsächlich Baugenehmigungen erteilt wurden.” 

Im Fazit heißt es dann: Im Ergebnis des Vorstehenden ergibt sich, dass die Wohnungen an der Fennstraße/Tegeler Straße zweifelsfrei als schützenswerter Wohnraum im Sinne des § 1 Abs. 3 S. 1 ZwVbG anzusehen sind, soweit die Wohnnutzung in der Vergangenheit auch vor dem Inkrafttreten des Baunutzungsplans baurechtlich genehmigt worden ist. Dies ist ausweislich der vorliegenden Bauscheine aus den Jahren 1878 bis 1884 jedenfalls für die Gebäude Tegeler Weg 2, 3 und 4 der Fall.”

 

Das Gutachten widerlegt damit die bisherige Rechtsauffassung des Bezirksamtes.

 

Zu: Ist der Erlass einer Rechtsverordnung gemäß § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 Baugesetzbuch* (sog. Umstrukturierungssatzung) möglich?

Die BVV-Mitte hat mit der DS 0266/VI mit der Überschrift “Mieter*innen im Mettmannkiez unterstützen Umstrukturierungssatzung für die Fennstraße 33,34/ Tegeler Straße 1 sowie Tegeler Straße 2-7 erlassen” am 19.05.2022 u. a. beschlossen: Das Bezirksamt wird ersucht unabhängig vom Grundsatz, weiterhin alle planungsrechtlichen Möglichkeiten zum Erhalt der Wohnhäuser einzuleiten (vergl. BVV-Beschluss DS 3312/V) r das Gebiet der Grundstücke Fennstraße 33,34/ Tegeler Straße 1 sowie Tegeler Straße 2-7 zu prüfen, ob eine Rechts-verordnung gemäß § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 Baugesetzbuch* (sog. Umstrukturierungs-satzung) erlassen werden kann.” Im Weiteren werden die dabei zu beachtenden Grundsätze dargestellt, die auch in den hier vorliegenden Antragstext übernommen wurden.

 

Trotz Beschlussfassung hat es das Bezirksamt seit nunmehr 2 Jahren nicht für nötig gehalten, mit Vorlage zur Kenntnisnahme die BVV über eine Beschlussbearbeitung zu informieren, geschweige denn, den Beschluss umzusetzen. Es ist somit davon auszugehen, dass das Bezirksamt der Rechtsauffassung unterliegt, dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Beschlussumsetzung nicht vorliegen würden.

Dieser Rechtsauffassung sind die Aussagen des Gutachtens der Kanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll entgegenzustellen, das diesbezüglich ausweist: Im Ergebnis ist festzuhalten, dass es sich bei den von Bayer zum Abriss bestimmten Gebäuden in der Tegeler Straße im „Mettmann-Kiez“ um schutzwürdigen Wohnraum im Sinne des § 1 Abs. 3 Zweckentfremdungsverbot-Gesetz handelt, sodass dessen Beseitigung der Erteilung einer Genehmigung nach §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 Zweckentfremdungs-verbot-Gesetz bedürfte. Dies gilt uneingeschränkt für die Gebäude Tegeler Straße 2, 3 und 4, für die Baugenehmigungen („Bau-Erlaubnis-Scheine“) aus der Zeit zwischen 1878 und 1884 für die Nutzung zu Wohnzwecken vorliegen. 

glich und zulässig wäre jedoch der Erlass einer Umstrukturierungsverordnung gemäß § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB, um einen den sozialen Belangen Rechnung tragenden Ablauf rechtlich zu sichern. Grundlage wäre wiederum ein auf diesem Wege aufzustellender Sozialplan. Das Bezirksamt kann entweder den Sozialplan selbst erstellen bzw. in Auftrag geben und Bayer die Kosten hierfür auferlegen oder Bayer die Erarbeitung des Sozialplanentwurfs auf eigene Kosten aufgeben. Der weitere Vollzug der Abrissmaßnahme ist dann davon abhängig, dass das Bezirksamt für den Rückbau eine Genehmigung nach § 172 Abs. 5 BauGB erteilt. Voraussetzung für die Genehmigungserteilung wäre jeweils, dass die entsprechenden Auflagen aus dem Sozialplan, z. B. entsprechende Umsetzungswohnungen zu ähnlichen Mieten verfügbar sind, erfüllt sind. 

Im Übrigen erscheint es auch möglich und zulässig, dass das Bezirksamt in dem für das Bayer-Areal aufzustellenden Bebauungsplan für einen Gewerbecampus einen gewissen Anteil von Wohnungen vorsieht und im bebauungsplanbegleitenden Sozialplan vorsieht, dass sich der Bezirk hieran ein Belegungsrecht vorbehält und die durch den Abriss verdrängten Bewohner nach Errichtung der Wohnungen im Bebauungsplangebiet ein „ckkehrrecht“ erhalten, wozu sich Bayer zu verpflichten hätte.” 

 

Dem Schutz der Wohngebäude Fennstraße 33, 34/Tegeler Straße 1 sowie Tegeler Straße 2-7 ist eine hohe Priorität einzuräumen. Eine nochhere Priorität muss jedoch dem Schutz der Mieterinnen und Mieter vor dem Verlust ihrer bezahlbaren Wohnungen eingeräumt werden. 

Es sind daher alle Maßnahmen zu ergreifen, die Mieter*innen und Mieter vor dem Verlust ihres Lebensmittelpunktes bewahren, denn angemessener und bezahlbarer Ersatzwohnraum in halbwegs räumlicher Nähe dürfte leider den “Tatbestand der Illusion” erfüllen. 

 

 
 

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