Auszug - Vergabepolitik des Bezirks sozial vertretbar?  

 
 
18. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin
TOP: Ö 8.5
Gremium: Bezirksverordnetenversammlung Beschlussart: beantwortet
Datum: Do, 13.03.2008 Status: öffentlich
Zeit: 16:30 - 22:00 Anlass: ordentliche Sitzung
0757/3 Vergabepolitik des Bezirks sozial vertretbar?
   
 
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 
Verfasser:Centgraf/Kaas Elias 
Drucksache-Art:Große AnfrageGroße Anfrage
 
Beschluss

Zur Beantwortung Herr BzStR Gröhler:

Zur Beantwortung Herr BzStR Gröhler:

 

Frau Vorsteherin, meine sehr geehrten Damen und Herren, das Bezirksamt darf diese Große Anfrage wie folgt beantworten:

 

Zu 1.

Da fragen Sie ja, nach welchen Regeln und Standards vergibt das Bezirksamt Aufträge in diesem Bereich? Uns erschloss sich bei der Fragestellung oder bei der Beantwortung nicht ganz, was mit in “diesem Bereich” gemeint ist, deshalb lassen Sie mich das umfänglich beantworten. Welche Regeln und Standards gibt es?

Da gibt es erst einmal das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, insbesondere die §§ 97 ff., dann gibt es die Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge. Dann gibt es selbstverständlich EU-Vergaberecht, es gibt die Landeshaushaltsordnung, es gibt die Verdingungsordnung für Leistungen, dann gibt es die Vertragsordnung für Bauleistung und die VOF bzw. HOAI, sofern es sich es um freiberufliche Leistungen handelt von Ingenieuren oder von Architekten. Dann gibt es die allgemeine Anweisung für die Vorbereitung und Durchführung von Bauaufgaben Berlin, kurz ABau genannt. Dann gibt es natürlich auch Rahmenverträge, die einzelne Verwaltungsstellen der Hauptverwaltung aushandeln und wo sich die Bezirke dann mit einbringen können.

 

Zu 2.

Da fragen Sie, ob uns bekannt ist, welche Gehälter und Löhne gezahlt werden. Da muss ich immer für die unterschiedlichen Abteilungen antworten, weil es ja natürlich auch unterschiedliche Auftragssituationen gibt.  Ich fang mal mit der Abteilung Bauwesen an, nicht weil der Esel vorangeht, sondern weil wir wahrscheinlich die meisten Aufträge tatsächlich vergeben. Nach dem Berliner Vergabegesetz sind die Auftragnehmer von Bauleistungen sowie die Auftragnehmer bei Dienstleistungen bei Gebäuden und Immobilien verpflichtet, an ihre Beschäftigten jeweils gültigen Entgelttarife des Landes Berlin zu zahlen. Es hatte allerdings Klagen gegeben, wo Vertragnehmer gegen diese Vorschrift vorgegangen sind, weil sie eine Wettbewerbsverzerrung gesehen haben und auf der Grundlage dieser Entscheidung darf die Regelung bis auf weiteres nur für Hochbauleistungen und für Dienstleistungen an Gebäuden und Immobilien zur Anwendung kommen. Das heißt, alle Aufträge, die wir bei Hochbauleistungen oder z. B. bei der Reinigung vergeben, dort wird eine Tariftreueerklärung erwartet. Bei den Aufgaben im Bereich Hochbau wird das überprüft durch die sogenannte Eingreiftruppe der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, stichprobenartig oder im Verdachtsfalle. Und bei den Aufträgen, die wir im Bereich z. B. Schulreinigung vergeben, machen wir selbst stichprobenartig eine Kontrolle, d. h. das Unternehmen muss einerseits zusichern, dass es Tarife zahlt und zum anderen fordern wir uns von jedem Unternehmen stichprobenartig für ein von uns benanntes Gebäude die entsprechenden Lohnunterlagen für die Mitarbeiter, die in diesem Gebäude eingesetzt werden, an. Also das Unternehmen kann nicht bestimmen, wessen Lohnunterlagen es uns vorlegt, sondern wir verlangen ganz konkret z. B. von den Mitarbeiter y aus der Marie-Curie-Oberschule.

 

Die Abteilung Wirtschaft und die Abteilung Jugend haben mitgeteilt, dass sie keine Kenntnisse über Höhe der gezahlten Löhne und Gehälter haben von Mitarbeitern, die Auftragnehmer sind.

Die Abteilung Soziales hat mitgeteilt, dass sie in erster Linie Aufträge vergibt, die im Bereich Gutachten liegen, wo weniger mit Stundenlöhnen gearbeitet wird, die irgendwo im Bereich der unteren Maße liegen, sondern es handelt sich ja eher um freiberufliche Tätigkeiten oder akademische Leistungen, die sich dann etwas höher bezahlt. Und die Abteilung Finanzen hat mitgeteilt, dass es Aufsichten im Kulturbereich bei Ausstellungen gibt, wo Honorare von durchschnittlich sieben Euro pro Stunde gezahlt werden.

 

Zu 3.

Wenn wir Ausschreibungen durchführen auf der Grundlage der rechtlichen Regeln, die ich vorhin genannt habe, dann finden Plausibilitätsprüfungen über die Angebote statt. Liegen Zweifel der Auskömmlichkeit des Angebotes vor, also liegen Zweifel daran vor, dass derjenige tatsächlich mit dem geforderten Preis auch klarkommen kann, dann fordern wir das Unternehmen auf, seine Kalkulation vorzulegen. Tut es das nicht oder haben wir bei der Überprüfung der Kalkulation den begründeten Verdacht, dass hier manipuliert wird, erfolgt ein Ausschluss, insbesondere dann, wenn wir erkennen können, dass kein Tarif oder kein bestehender, geltender Mindestlohn bezahlt wird. Ein Vergleich mit den Regelsätzen des SGB II darf aber nach jetzigen vergaberechtlichen Bestimmung nicht herangezogen werden. Das gilt für alle Abteilungen, was ich jetzt gesagt habe.

 

Zu 4.

Das Bezirksamt hat keine Möglichkeit auf die Tarifverträge, deren Entwicklung und Aushandlungen der Tarifpartner Einfluss zu nehmen. Wir wissen, dass es im Bereich Reiniger einen Tariflohn gibt, der etwa bei 7,50 Euro liegt. Wir wissen aber auch, dass es im Bereich des Bewachungsgewerbes den Tariflohn gibt, der bei unter 5,50 Euro liegt. Das ist allerdings Tariflohn. Wir sind dann auch verpflichtet, zu diesem Tariflohn abzuschließen, also wir können nicht sagen, das ist aber ein Lohn, der unterhalb des Existenzminimums besteht. So sieht im Moment das Vergaberecht nicht aus und deshalb kann es durchaus sein, dass jemand, der im öffentlichen Gebäude eine Überwachung vornimmt und angestellt ist, Tariflohn bekommt aber ergänzende Leistungen bekommt, weil sein Tariflohn nicht ausreicht und tatsächlich seinen Lebensunterhalt abzudecken, weil das entspricht z. Z. noch dem Vergaberecht.

 

Zu 5.

Das Bezirksamt kann nicht bei zukünftigen Vergaben tatsächlich daran koppeln, ob derjenige über dem Niveau des SGB II bezahlt wird, weil das Niveau des SGB II ist immer vom Familienstand ja auch abhängig und das würde ja auch bedeuten, dass es unterschiedliche Verträge gibt, ob die Leute verheiratete, unverheiratete oder Leute mit mehr Kindern oder weniger beschäftigen. Was wir aber selbstverständlich zusichern, das ist ganz klar, aber ich sage es noch mal, dass es da keinen Zweifel gibt, das Bezirksamt wird sich immer an das geltende Vergaberecht hatten und wenn das Land Berlin ein neues Vergabegesetz macht, wo z. B. bestimmte, höhere Löhne vorgesehen werden, die über dem Tariflohn liegen, ich sage mal Stichwort “staatlich geforderter Mindestlohn”, dann werden wir selbstverständlich, wenn das Vergabegesetz in Kraft ist, dementsprechend auch unsere Ausschreibungen machen und unsere Verträge auf dieser Grundlage zum Abschluss bringen. Etwas anderes wäre auch nicht rechtlich und gar nicht zulässig.

 

 
 

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