Auszug - Tod einer Mutter und ihres Babys  

 
 
15. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin
TOP: Ö 8.1
Gremium: Bezirksverordnetenversammlung Beschlussart: beantwortet
Datum: Do, 13.12.2007 Status: öffentlich
Zeit: 16:30 - 22:00 Anlass: ordentliche Sitzung
0640/3 Tod einer Mutter und ihres Babys
   
 
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Bezirksverordnetenversammlung/alle Mitglieder 
   
Drucksache-Art:DringlichkeitsanfrageDringlichkeitsanfrage
 
Beschluss

Einleitend ist es Frau Bezirksstadträtin Schmiedhofer und mir persönlich als den politisch Verantwortlichen sowie den unmittelbar beteiligten fachlich zuständigen Mitarbeiterinnen des Jugendamtes und des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes (KJGD) sehr

Beantwortung Herr BzStR Naumann:

 

Einleitend ist es Frau Bezirksstadträtin Schmiedhofer und mir persönlich als den politisch Verantwortlichen sowie den unmittelbar beteiligten fachlich zuständigen Mitarbeiterinnen des Jugendamtes und des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes (KJGD) sehr wichtig, unsere Betroffenheit über den Tod der jungen Mutter und ihres Säuglings zum Ausdruck zu bringen. Die nicht einmal sechs Wochen alte Tochter brauchte den Schutz der Erwachsenen: Durch ihre Mutter, durch die Klinik, das Jugendamt und den KJGD, eine aufmerksame Nachbarschaft. Es ist bedrückend, dass der Tod von Mutter und Tochter nicht verhindert werden konnte.

 

Zu 1.:

Hierzu liegt Ihnen die Presseerklärung vom 07.12.2007 der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vor. Wir haben heute noch einmal nachgefragt: Mit dem chemisch-toxilogischen Untersuchungsergebnis ist erst in ca. fünf Wochen zu rechnen.

 

Zu 2. und 3.:

Hierzu liegt Ihnen die ausführliche Pressemitteilung des Bezirksamtes vom 07.12. 2007 vor.

 

Völlig zu Recht wird die Frage nach der entscheidenden Weichenstellung gestellt, Mutter und Kind aus der Klinik in die Wohnung der Kindesmutter zu entlassen. Die für diese Entscheidung verantwortlichen Fachkräfte sowohl der Klinik als auch des Jugendamtes und des KJGD kamen übereinstimmend zu der Auffassung, das Kind nicht von der Mutter zu trennen. Ausschlaggebend hierfür war die gemeinsam gestellte günstige Prognose für Mutter und Kind, die in der engmaschig beobachteten Entwicklung seit der Geburt am 23. Oktober bis zum letzten erfolgreichen Hausbesuch am 26. November ihre Bestätigung fand und keinen Anlass zu Zweifeln gab. Der Säugling entwickelte sich aufgrund liebevoller Zuwendung durch die Mutter gut und altersgerecht. Dies bestätigten die regelmäßig erfolgten kinderärztlichen Untersuchungen.

 

In der Charité entbinden ca. 40 drogenabhängige Schwangere pro Jahr, von denen wiederum 13 % HIV-positiv sind, also rund 5 Frauen. Zwei Drittel werden gemeinsam mit ihrem Kind aus der Klinik nach Hause entlassen. Von diesen leben auch nach einem Jahr noch zwei Drittel mit ihrem Kind zusammen. Dass bei einem Drittel die Kinder aufgrund von Gefährdung fremd untergebracht werden müssen verdeutlicht die Wichtigkeit der fortwährenden engmaschigen Unterstützung und zugleich Kontrolle zur Gewährleistung des Kindeswohls in diesen schwierigen Fällen. Es bleibt also festzuhalten, dass gut die Hälfte der Frauen, die mit diesem Risiko entbinden, ihre Kinder behalten und eigenverantwortlich aufziehen können.

 

Zu 4.:

 

Zusammenarbeit innerhalb des Bezirks:

Die Zusammenarbeit zwischen dem in diesem Fall federführenden Jugendamt konkret das Regionalteam 3/Charlottenburg-West und dem KJGD erfolgte in enger Kooperation und fachlicher Absprache. Sowohl in der Fall-Bewertung als auch in der Festlegung der Auflagen für die Kindesmutter bestand Übereinstimmung. In ihrer jeweiligen Zuständigkeit nahmen die Mitarbeiterinnen ihre Verantwortung in der fachlich gebotenen Weise wahr.

 

Zusammenarbeit mit Anderen, hier insbesondere mit der Klinik

Insbesondere in Auswertung dieses Einzelfalls muss es in die Zukunft gerichtet Verabredungen geben über eine verbindliche Zusammenarbeit, die Verbindlichkeit von Absprachen bzw. der Kontrolle von Auflagen sowie eine unverzügliche gegenseitige Information. Diese Zusammenarbeit ist ebenso wie die mit den niedergelassenen Gynäkolog/innen und Kinderärzt/innen sowie Hebammen noch verbesserungsfähig, denn derzeit fehlen noch die im Netzwerk Kinderschutz angekündigten berlineinheitlichen Rahmenvereinbarungen.

 

Zu 5.:

So unbefriedigend dies angesichts des Todes der Mutter und insbesondere des Säuglings für uns alle ist: Die offenkundig dramatische Entwicklung durch den erneuten Drogenkonsum der Kindesmutter – wahrscheinlich am Wochenende vor dem vergeblichen Hausbesuch am darauffolgenden Mittwoch – mit tödlichem Ausgang für Mutter und Kind beruht nicht auf organisatorischen oder strukturellen Versäumnissen. In diesem Fall hätte eine noch bessere oder engere Zusammenarbeit den tragischen Ausgang nicht verhindern können.

 

Fachlich – strukturelle Verbesserungen

 

Die noch landesweit fehlenden einheitlichen Rahmenvereinbarungen zur Kooperation mit den am Netzwerk Kinderschutz insbesondere aus dem Bereich Gesundheit zu beteiligenden Institutionen müssen abgeschlossen werden.

Nach der Verlagerung des KJGD aus dem Jugendamt in das Gesundheitsamt ist die Zusammenarbeit insbesondere des Regionalen Sozialpädagogischen Dienstes mit dem Haus des Säuglings organisatorisch aufwändiger geworden. Deshalb werden die für die Bereiche Jugend und Gesundheit verantwortlichen Bezirksamtsmitglieder weiterhin dafür Sorge tragen, eine regelmäßige Zusammenarbeit auf der Ebene der Regionalteams als auch künftig auf der Leitungsebene Jugendamt/Gesundheitsamt sicherzustellen. Es ist beabsichtigt, Anfang 2008 die bisherige Zusammenarbeit gemäß der gemeinsamen Kooperationsvereinbarung vom 15. März 2007 zu bewerten und soweit erforderlich weiter zu entwickeln.

 

Personelle Situation

 

Brandschutz ohne Feuerwehrleute ist undenkbar, Kinderschutz ohne Sozialarbeiter/innen und Kinderkrankenschwestern auch nicht!

 

Es ist zunächst positiv zu bewerten, dass das Abgeordnetenhaus von Berlin für die bezirklichen Jugendämter je 2 neue zusätzliche Stellen für die Koordination Kinderschutz ab dem Haushaltsjahr 2008 beschlossen hat. Klärungsbedürftig indes ist, ob und wie diese Stellen sich im Stellenplan des Jugendamtes tatsächlich wiederfinden und - das möchte ich ausdrücklich hervorheben - fachlich gut besetzbar sein werden.

 

Von herausragender Bedeutung jedoch ist, angesichts des längst bereits begonnenen Prozesses des alterbedingten Ausscheidens von berlinweit rund 400 Sozialarbeiter/innen die personelle Basisausstattung endlich durch einen Einstellungskorridor sicherzustellen. Hier haben sich alle Bezirke im Rahmen der Bezirkskonferenz eindeutig gegenüber dem Senat mit ihrer Forderung nach einer jährlichen Besetzung von 50 Stellen eindeutig positioniert.

 

Denn nach einem ¾ Jahr Netzwerk Kinderschutz und der damit einhergehenden erfreulich höheren öffentlichen Achtsamkeit sowie den ersten Erfahrungen mit den strengeren Verfahrensstandards der AV Kinderschutz lässt sich bereits jetzt sagen, dass der Personalaufwand erheblich ist und es aufgrund des Vorrangs des Kinderschutzes bei den übrigen, wohlgemerkt gesetzlichen Aufgaben zu wesentlich längeren Bearbeitungszeiten, ja teilweise zu Qualitätsverlusten kommt. So klagen beispielsweise die Familiengerichte über die langen Bearbeitungszeiten in den Jugendämtern. Aber auch die zeitintensiven Steuerungsbemühungen in der Gewährung der Hilfen zur Erziehung leiden darunter.

 

Finanzielle Situation

 

In der Mitteilung zur Kenntnisnahme an das Abgeordnetenhaus zum Netzwerk Kinderschutz waren außer einem pauschalen Hinweis auf die notwendige personelle Ausstattung finanzielle Mittel lediglich für die technischen Voraussetzungen und vier Personalstellen für die Hotline vorgesehen sowie 300.000 Euro für das Modellprojekt “Aufsuchende Elternhilfe”.

 

Nach Ansicht des Bezirks, der dieses Modell bereits in den 90er Jahren entwickelt hat, bedarf es dringend einer Stärkung der Prävention durch eine Regelfinanzierung von frühen Hilfen, die in die bezirklichen Haushalte einzustellen ist. Diese Hilfen haben vorrangig das wichtige Ziel, die Eltern zu stärken, ihnen Mut zu machen und ihnen eine entlastende soziale Infrastruktur zu bieten.

 

Deshalb, gerade deshalb kommt dem Beschluss der Jugendstadträt/innen parteiübergreifend für alle Bezirke, mit dem diese gemeinsam mit der Landesebene ein Finanzierungsmodell für die präventive Jugendhilfe in den Bereichen Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit und Förderung der Erziehung in der Familie entwickeln wollen, besondere Bedeutung zu. Denn für diese gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben der Jugendhilfe gibt es – anders als in den Hilfen zur Erziehung und in der Tagesbetreuung – bisher im Land Berlin keine verlässlichen, auskömmlichen Finanzierungsgrundlagen. Aber auch die Hilfen zur Erziehung – häufig eine Folge nach Kriseninterventionen zum Schutz von Kindern – müssen auskömmlich ausgestattet sein.

 

So sehr wir uns alle gemeinsam – jede/r in seinem politischen Verantwortungsbereich – stetig um Verbesserungen in der fachlichen Zusammenarbeit ebenso wie in der strukturellen, personellen und finanziellen Ausstattung bemühen müssen, so ist auch gewiss, dass es niemals eine Garantie dafür geben kann, dass Fälle wie dieser für immer verhindert werden können.

 

 

Herr Prof. Dr. Dittberner gibt gem. § 41 GO-BVV eine Erklärung ab:

 

“In der Debatte zur Drucksache Nr. 640/3 wurde mir entgegengehalten, ich hätte den Rücktritt eines Mitglieds des Bezirksamts gefordert und über das Stillen des toten Babys gesprochen.

 

Beides ist nicht der Fall. Vielmehr habe ich meine politisch-fachliche Position nach dem Tod einer Mutter und ihres Babys vorgetragen. Diese ist natürlich der kontroversen Diskussion zugänglich.”

 
 

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