Die Staatsoper Berlin zwischen Tradition und Zukunft

Eine außergewöhnliche Opernstadt ist Berlin mit gleich drei großen Häusern. Und mit der Staatsoper Unter den Linden verfügt die Stadt über eines der ältesten und traditionsreichsten Opernhäuser. Weltstar Daniel Barenboim hat die Staatsoper drei Jahrzehnte lang geprägt. Jetzt gibt es einen Neubeginn mit Stardirigent Christian Thielemann.

Von Volker Blech

Staatsoper Berlin

Die Staatsoper in voller Pracht nach jahrelanger aufwändiger Sanierung.

Die Berliner Staatsoper gehört zu den bedeutendsten, vor allem traditionsreichsten Opernhäusern der Welt. Heute am prächtigen Boulevard Unter den Linden unweit vom Brandenburger Tor gelegen, hatte sie ihre Ursprünge zunächst in einer typisch königlichen Hofoper. Wobei bereits einiges in der DNA des Opernhauses anders angelegt wurde. Selbstredend wollte der preußische König Friedrich II. seine neue Hofoper möglichst nahe an dem von ihm bewohnten Kronprinzenpalais haben. Aber das Opernhaus im friderizianischen Rokoko-Stil wurde nicht wie üblich als Teil einer mehr oder weniger unzugänglichen Schlossanlage errichtet, sondern entstand zwischen 1741 und 1743 als erstes eigenständiges und seinerzeit größtes Theatergebäude Europas. Und das mitten in Berlin.

Vor einigen Jahren rieb man sich in Berlin verwundert die Augen. Natürlich muss jedes historische Gebäude in bestimmten Abständen saniert und modernisiert werden, zumal wenn es von Bränden oder Kriegszerstörungen gezeichnet ist. Die Staatsoper Unter den Linden wurde mehrere Jahre lang aufwändig grundsaniert und erstrahlt heute in höchster Eleganz. Aber während der Sanierung tauchten plötzlich alte Holzpfähle in 17 Metern Tiefe auf. Wie viele Städte ist Berlin an einem Fluss, der Spree, angelegt worden und gewachsen. Der Grundwasserspiegel ist hoch, weshalb in früheren Jahrhunderten Gebäude auf Holzpfählen errichtet wurden. Die tauchten nun unerwartet wieder auf. Manch einem, der daraufhin in die historischen Stadtpläne schaute, wurde bewusst, wie wichtig das Opernhaus für die geistige und kulturelle Entwicklung der Stadtgesellschaft war.

Der Preußenkönig ist uns heute nicht nur als Kriegsherr des 18. Jahrhunderts bekannt, sondern auch als versierter Flötenspieler, der sogar eigene Kompositionen verfasste und im kleinen Kreis aufführte. Seine Hofkapelle hatte sich Friedrich der Große aus der Stadt Rheinsberg, wo er als Kronprinz ein kleines Schloss bewohnte, mitgebracht. Die heutige Staatskapelle Berlin ist also deutlich älter als das 1742 eröffnete Opernhaus. Mit Selbstbewusstsein wird von den Orchestermusikern auf eine alte Kapellordnung aus dem Jahr 1570 verwiesen. Das künstlerische Selbstverständnis hat auch seine Spuren in der Opernhausgeschichte hinterlassen: Es gehört zum Selbstverständnis, dass große Dirigenten den Berliner Musikbetrieb prägen.

Die Staatskapelle auf dem Vorplatz der Staatsoper Unter den Linden.

Die Staatskapelle auf dem Vorplatz der Staatsoper Unter den Linden.

Zuletzt hatte der argentinisch-israelische Pianist und Stardirigent Daniel Barenboim drei Jahrzehnte lang die musikalischen Geschicke der Staatsoper geleitet. Er begann Silvester 1991 mit Beethovens 9. Sinfonie, es folgte im Herbst 1992 Wagners „Parsifal“ als erste Opernproduktion. Seine Bilanz ist beachtlich: Als Chef hat er rund 760 Opern- und Ballettaufführungen und 850 Konzerte dirigiert. Barenboim hatte künstlerisch höchste und strenge Maßstäbe an seine Staatskapelle gesetzt und konnte das im Osten Berlins gelegene Opernhaus nach der deutschen Wiedervereinigung, die am 3. Oktober 1990 vollzogen wurde, in nur wenigen Jahren in den Kosmos der international wichtigen Häuser zurückkatapultieren. Mit einer Premiere am 3. Oktober eröffnet die Staatsoper jeweils ihre neue Spielzeit.

Der 80-jährige Barenboim musste im Januar 2023 aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt erklären. Für seine Leistungen für die Musikstadt wurde Barenboim zum Berliner Ehrenbürger ernannt. Seine Staatskapelle hatte für die Nachfolge am Pult schnell einen Wunschkandidaten. Inzwischen wurde der Berliner Stardirigent Christian Thielemann, der sich vor allem auch als Wagner-Spezialist bei den Bayreuther Festspielen einen Namen gemacht hat, vorgestellt. Er tritt sein Amt gemeinsam mit der neuen Intendantin Elisabeth Sobotka mit Beginn der neuen Spielzeit an.

Er möchte gerne auf verschiedenen Schienen fahren, sagte Christian Thielemann in einem Interview. Aber wie jeder große Dirigent hat er seine musikalischen Vorlieben. „Richard Strauss war 20 Jahre lang hier Hofkapellmeister und hat von 1898 bis 1918 über 1.000 Aufführungen dirigiert. Als Komponist hat er in Berlin interessante Sachen wie ,Elektra‘ und ,Frau ohne Schatten‘ geschrieben. Ich schaue auf Strauss-Opern, die hier länger nicht gespielt wurden.“ Thielemann wird wie Barenboim auch den Titel Generalmusikdirektor (GMD) tragen. Der heute geläufige Titel war erstmals 1819 am Berliner Opernhaus an Gaspare Spontini verliehen worden.

Zu den großen Generalmusikdirektoren des Hauses, die oftmals auch Komponisten waren, zählen neben Spontini auch Felix Mendelssohn Bartholdy, der in Berlin als Jakob Liebmann Meyer Beer geborene und später in Paris berühmt gewordene Giacomo Meyerbeer, der Münchner Richard Strauss oder der Österreicher Erich Kleiber. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten konnte der damalige Generalmusikdirektor Leo Blech noch einige Jahre im Amt bleiben, weil er über eine beachtliche Fangemeinde verfügte. Aber 1937 wurde er als Jude zwangspensioniert und konnte rechtzeitig vor seiner Deportation fliehen.

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, am 20. Mai 1945, wurde ein Brief losgeschickt, um Leo Blech nach Berlin zur Staatskapelle zurückzuholen. Der Brief erreichte ihn leider zu spät in seinem Exil in Stockholm. Jahre später erst kehrte er nach Berlin zurück und wurde Generalmusikdirektor der Charlottenburger Oper im Westteil der Stadt. Heute gibt es in Berlin drei große Opernhäuser, die in einer eigenen Stiftung zusammengefasst sind.

Blick in den Zuschauerraum der Staatsoper Unter den Linden.

Die Staatsoper eröffnet am 3. Oktober 2024 ihre neue Spielzeit mit der Premiere von Verdis „Nabucco“. Eine neue Ära beginnt. „Als künstlerische Leitlinie formuliert: die großartige Tradition des Hauses bewahren und in die Zukunft führen“, sagt Intendantin Elisabeth Sobotka. „In einem Opernhaus begegnen sich Menschen mit sehr unterschiedlichen Erwartungen, erleben in Gemeinschaft eine Vorstellung und jeder einzelne Mensch nimmt etwas anderes mit. Es gibt nicht die eine Wahrheit für alle. Auch das erzählt eine Oper.“

Als Premieren sind György Kurtágs „Fin de partie“ und die deutsche Erstaufführung von Bernard Foccroulles „Cassandra“ angekündigt. Im Spielplan stehen weiterhin Erfolgsinszenierungen von Mozarts „Zauberflöte“, Wagners „Parsifal“ oder Bizets „Carmen“. Für Kinder wird es eine Premiere von Webers „Der Freischütz“ geben. Die Oper war 1821 in Berlin uraufgeführt worden.

„Um die Relevanz von Oper auch für zukünftige Generationen lebendig zu erhalten, gilt ein Schwerpunkt meiner Aufmerksamkeit dem Nachwuchs“, sagt die Intendantin: „Möglichst viele Schulkinder Berlins lade ich in den historischen, atemraubenden Zuschauerraum ein, um eine eigens für sie gestaltete Aufführung erleben zu können.“