Eine neue Verkehrspolitik für Berlin – ohne Autohass und für ein besseres Miteinander

Fahrradstraße mit farblichen Markierungen

Eine beispielhafte Fahrradstraße mit farblich Markierungen für mehr Sicherheit.

Es scheint, als würde ein erbitterter Kulturkampf um die Straßen geführt, der nicht nur die Debatten vergiftet, sondern sogar Pflanzen. Will man Berlin in eine lastenradelnde Hippie-Kommune verwandeln? Nein, wir plädieren für pragmatische Verkehrsreformen, anstatt mit einem großen Wende-Besteck zu operieren: mehr Machertum, Verwaltungskönnen und Ingenieursgeist statt Utopie.

Von Heinrich Strößenreuther und Michael Bukowski

Berlin ist eine Stadt voller Widersprüche. Das gilt auch für den Verkehr. Obwohl die Menge der zurückgelegten Pkw-Kilometer sinkt, obwohl im bundesweiten Städtevergleich hier die wenigsten Haushalte einen eigenen Pkw besitzen, wächst die Anzahl der Autos kontinuierlich an. Über 1,2 Millionen Pkw sind heute in der Hauptstadt unterwegs. Hinzu kommen weitere Sharing-Fahrzeugflotten und mehr Lieferverkehr. Dichtestress, Luft- und Lärmbelastung nehmen zu, vor allem in der Innenstadt. Trotzdem tut sich die Stadtgesellschaft – unabhängig von der jeweiligen Regierung – schwer mit Veränderungen. Auch das von Rad-Aktivisten um Heinrich Strößenreuther erkämpfte Berliner Mobilitätsgesetz – 2018 in Kraft getreten – hat daran noch relativ wenig geändert. Der Ausbau der Radinfrastruktur kommt voran, aber langsam. Obwohl sich Berlin als erste deutsche Metropole ein solches Gesetz gegeben hat, legen andere deutsche Großstädte deutlich mehr Tempo vor.

Woran hakt es? Die häufig geforderte „Verkehrswende“ wird meist als ein „gegen das Auto“ empfunden. Werden zum Beispiel Parkplätze in Radwege umgewandelt, entbrennt lokal ein heftiger Streit um die Fläche. Es scheint, als würde ein erbitterter Kulturkampf um die Straßen geführt, der nicht nur die Debatten vergiftet, sondern sogar Pflanzen. In der Ackerstraße in Mitte wurde kürzlich ein Straßenabschnitt im Rahmen des Konzepts „Sommerstraße“ befristet umgewandelt. Es entfielen Parkplätze zugunsten von Sitzgelegenheiten und Pflanzkübeln, in denen Anwohner Obst und Gemüse zogen. Mehrere Pflanzkübel wurden mittlerweile vergiftet. Legendär ist inzwischen die Friedrichstraße, die in einem Teilstück mehrmals für den Autoverkehr gesperrt und wieder geöffnet wurde – begleitet mit entsprechender medialer Lautstärke und reichlich Verwunderung auf allen Seiten auch außerhalb der Stadtgrenzen.

Wie könnte trotz dieses anscheinend kaum zu überwindenden gesellschaftlichen Grabens eine neue, versöhnende Verkehrspolitik für Berlin aussehen?

In unserem „Verkehrsbuch ohne Autohass“ (erschienen im November 2023) werben wir für ein neues Miteinander, beleuchten nüchtern die blinden Flecken bei allen Beteiligten und nicht zuletzt die Art von Sprache, mit der Gespräche verunglücken. Letztlich klingt unsere Kernthese etwas nach der Quadratur des Kreises, wir halten sie aber für realistisch: Niemandem soll das Auto genommen werden, aber mit weniger Autoverkehr kommen wir alle besser voran.

Fahradfahrer auf einem grün markierten Fahrradweg

Der breitere und besser sichtbare Radweg auf der Holzmarktstarße in Berlin-Mitte.

Beginnen wir bei der Sprache: Je lauter die einen eine oder die Verkehrswende fordern, desto größer die Überforderung bei den anderen. Müssen wir morgen alle Bahn und Rad fahren? Will man Berlin in eine lastenradelnde Hippie-Kommune verwandeln? Nein, wir plädieren für pragmatische Verkehrsreformen, anstatt mit einem großen Wende-Besteck zu operieren: mehr Machertum, Verwaltungskönnen und Ingenieursgeist statt Utopie.

Werfen wir als Nächstes einen Blick auf die blinden Flecken: Verkehrswende-Forderer verstehen oft nicht, warum sie mit vernünftigen Argumenten bei Autofahrern gegen die Wand laufen. Sie blenden die immense Bedeutung von „das Auto“ aus. Auf der anderen Seite wird aus Unverständnis der pure Autohass unterstellt, und Autofahrer sehen ihre Privilegien bedroht. Im Ergebnis werfen sich beide Parteien gegenseitig „Ideologie“ vor, Verständigung ausgeschlossen.

Wie kann das konstruktiver weitergehen? Wenn Parkplätze wegfallen, wird es Streit geben. Unvermeidlich. Hier haben wir aber keinen Kultur-, sondern einen konkreten Konkurrenzkampf um öffentlichen Raum. Dieser Streit lässt sich auch mit egal welcher Art von Kuschelrhetorik oder Partizipationsangeboten nicht beilegen – sondern mit Haltung und Entscheidung für die einen oder die anderen.

Trotzdem lässt sich im Verkehr viel verbessern, das auch Autofahrer begrüßen. Nehmen wir als Beispiel die Parkraumbewirtschaftung in der Stadt. Gut gemacht, heißt das für die Krankenpflegerin, dass sie nach einer anstrengenden Spätschicht nicht mehr übermüdet zigmal um den Block fahren muss, sondern schnell einen Parkplatz findet. Autoverkehr „verflüchtigt“ sich, das Viertel wird ruhiger für alle Anwohner. In den Außenbezirken dagegen lassen sich vor allem autofahrende Eltern von Fahrradwegen überzeugen, wenn sie ihren Nachwuchs aus Sorge nicht mehr im Elterntaxi kutschieren müssen.

Fahrradfahrer auf Fahrradweg am Halleschen Ufer

Auf dem breiten Fahrradweg am Halleschen Ufer entlang.

Um wegfallende Parkplätze wird es weiterhin Streit geben, das steht fest. Aber parallel dazu verläuft eine andere Entwicklung. Alternativen zum eigenen Pkw werden immer zahlreicher und verlockender. Es handelt sich hier um einen schleichenden, aber kontinuierlichen Prozess, der langfristig die Flächenkonflikte entschärft. Denn immer weniger Anwohner beanspruchen ihr Gewohnheitsrecht auf den Parkplatz vor der Haustür mangels eigenem Auto, da sie mit Rad, Bus, Bahn oder Sharing unterwegs sind. Bessere Alternativen holen zudem den Autoverkehr von der Straße, der dort gar nicht sein will. Wer auf das Auto angewiesen ist oder wer eigentlich nur aus Gewohnheit am eigenen Pkw hängt, kann umsteigen. Umsteigende Gewohnheitstiere entlasten auch den verbleibenden Autoverkehr.

In Berlin-Charlottenburg wurde Anwohnern mit Auto folgender Vorschlag gemacht: „Lassen Sie doch einmal für drei Monate Ihr Auto stehen und probieren Sie aus, wie es sich ohne lebt!“

Nach den drei Monaten stieg fast ein Drittel der Anwohner nicht wieder zurück ins Auto. Entscheidend bei diesem Experiment war hier die Beratung, die den Leuten die Scheu vor Apps und Alternativen genommen hat. Dieses Experiment bestätigt die Macht der Gewohnheit und gleichzeitig die Möglichkeit, neue Gewohnheiten anzunehmen, für die es oft nur einen kleinen Anschub braucht.

Mit pragmatischen Verbesserungen, mehr gegenseitigem Verständnis und Empathie statt Poltern können wir die Stadt auf Kurs bringen. Berlin wird nicht über Nacht zu einem neuen Amsterdam oder Kopenhagen werden, aber Stück für Stück können wir Verkehrsfrieden schaffen ohne ideologische Waffen.