Für viele Holocaust-Überlebende ist das Erzählen ihrer Geschichten zu einer Lebensaufgabe geworden – mit dem Ziel, dass so etwas wie der Holocaust nie wieder geschieht. Was kann man aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen? Blicken Sie im Futurium auch zurück?
Das machen wir in der Tat. Wir sehen uns beispielsweise an, welche Erwartungen früher an die Zukunft gestellt wurden, die sich nicht erfüllt haben, wenn wir uns mit dem Begriff der Utopie beschäftigen. Die Utopie ist ja durch die schwer gescheiterten Gesellschaftsutopien des 19. und 20. Jahrhunderts, die in Dystopien umgeschlagen sind, in Verruf geraten. Ich glaube, wir brauchen Utopien trotzdem, um Orientierung zu gewinnen. Man darf die Utopie nur nicht mit einem Masterplan verwechseln. Ein Beispiel: Wenn ich sage, ich habe eine Vorstellung, beispielsweise eine nachhaltige Welt ohne Emissionen, dann ist das erst einmal eine Utopie, die ich aber kritisch reflektierend in einen Pfad übersetzen muss. Da muss ich natürlich über Zielkonflikte reden. Was müssen wir dafür aufgeben, welche gesellschaftlichen und sozialen Debatten müssen wir führen? Es wäre schlimm, wenn man in eine Situation käme, in der sich etwas nur noch diktatorisch umsetzen ließe, in der man sagen
würde, wir brauchen jemanden, der verordnet, dass es so gemacht wird, ob die Leute das jetzt wollen oder nicht. Ich glaube, das ist eine der Lehren, die wir aus der Vergangenheit ziehen können, dass man als Gesellschaft nie den Gestaltungshebel aus der Hand geben sollte. Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, Freiheit und Nachhaltigkeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu bewahren bzw. zu erreichen – es geht ja nicht nur um die Natur, es geht ja auch um einen nachhaltigen, respektvollen und wertschätzenden Umgang miteinander. Wir müssen beides zusammenkriegen, sonst geben wir sehr viel auf.
Seit das Futurium 2019 eröffnet hat, sind viele Dinge geschehen, von denen man noch vor wenigen Jahren gedacht hätte, sie seien total futuristisch, allen voran die Covid-Pandemie. Wie gehen Sie mit diesen Ereignissen um?
Die Themenauswahl bei uns im Haus hat sich als „pandemietauglich“ erwiesen. Zum Beispiel haben wir uns schon vor der Pandemie mit Lieferketten auseinandergesetzt. In unserer Ausstellung zeigen wir, wie angreifbar diese enorm diffizilen globalen Lieferketten sind und geben Denkanstöße, wie regionalere Lösungen aussehen könnten. Diese Debatte wurde durch die Pandemie und auch durch den Krieg in der Ukraine noch einmal verstärkt. Wir zeigen an vielen Stellen, was aus einem Schockergebnis resultiert. Das Schockereignis selbst haben wir zwar nicht vorhergesagt, aber die grundsätzliche Anfälligkeit des Systems aufgezeigt. Insofern würde ich sagen, funktioniert unsere Themenauswahl auch in dieser Welt, in der wir jetzt leben. Natürlich nehmen wir auch direkt Bezug auf aktuelle Ereignisse. In der Natursektion der Ausstellung zeigen wir zum Beispiel, wie Viren durch menschliche Mobilität übertragen und über die Welt verbreitet werden.