Die darauffolgenden Monate verbrachte Lucie Adelsberger als „Staatenlose“ in Amsterdam. In dieser Zeit hielt sie ihre Erinnerungen an Auschwitz schriftlich fest. Im Oktober 1946 emigrierte sie in die USA, wo sie sich in New York als Ärztin niederließ. Sie holte das amerikanische Medizinexamen nach und nahm die US-Staatsbürgerschaft an. Fortan arbeitete sie am Montefiore Medical Center in der Krebsforschung und publizierte auch auf diesem Gebiet. Nebenbei behandelte sie erneut Allergiepatienten in einer kleinen Praxis. Zu einem Herzanfall, den sie bereits 1952 erlitten hatte, kamen immer wieder Selbstzweifel an ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Am 2. November 1971 starb Lucie Adelsberger an den Folgen einer Krebserkrankung – in eben jenem Krankenhaus in der Bronx, in dem sie fast 25 Jahre lang mit großem Einsatz in der Krebsforschung gearbeitet hatte. Sie, die zeit ihres Lebens unverheiratet und kinderlos geblieben war, wurde 76 Jahre alt.
Deutschland hat Lucie Adelsberger nach dem Krieg nie wieder betreten. Ihr 1956 erstmals auf Deutsch erschienenes Buch „Auschwitz – Ein Tatsachenbericht“ wurde 1995 in den USA veröffentlicht und 2001 sowie 2005 von dem Freiburger Medizinhistoriker Eduard Seidler erneut herausgegeben.
In Zeiten des wiederaufflammenden Antisemitismus und Rechtsextremismus in Teilen der deutschen Gesellschaft erscheinen die folgenden Zeilen daraus wie eine aktuelle Mahnung: „Ein bißchen Salonantisemitismus, etwas politische und religiöse Gegnerschaft, Ablehnung des politisch Andersdenkenden, an sich ein harmloses Gemengsel, bis ein Wahnsinniger kommt und daraus Dynamit fabriziert. Man muß diese Synthese begreifen, wenn Dinge, wie sie in Auschwitz geschehen sind, in Zukunft verhütet werden sollen. Wenn Haß und Verleumdung leise keimen, dann, schon dann heißt es wach und bereit zu sein. Das ist das Vermächtnis derer von Auschwitz.“
Zum Weiterlesen:
Eduard Seidler (Hrsg.) (2005) Lucie Adelsberger. Auschwitz – Ein Tatsachenbericht (2. Auflage). Bouvier Verlag: Bonn.
Benjamin Kuntz (2020) Lucie Adelsberger. Ärztin – Wissenschaftlerin – Chronistin von Auschwitz. Hentrich & Hentrich: Leipzig/Berlin (erscheint im November 2020)