Am 18. Januar 1954 wandte sich der Germanist Adolf Leschnitzer in einem kurzen Schreiben an den Präsidenten seiner Universität, des New Yorker City College. Dem Schreiben beigefügt war der von Ernst Hirsch unterzeichnete Einladungsbrief, in dem er darum gebeten wurde, erneut Gastvorlesungen an der Freien Universität Berlin zu halten. Der Rechtswissenschaftler Ernst Eduard Hirsch war im Jahr zuvor zum Rektor der FU gewählt worden und selbst Remigrant. 1933 hatte Hirsch sein Richteramt in Deutschland verloren und war nach Istanbul gelangt, wo er wie einige aus Deutschland vertriebene Akademiker an der dortigen Universität lehren konnte. Seit 1952 war Hirsch an der Freien Universität Berlin – Bürger meister Ernst Reuter, der ebenfalls im Exil in der Türkei gewesen war, hatte Hirsch überzeugt, nach Deutschland zurückzukehren. Hirsch unterstrich in seiner Einladung an Leschnitzer die große Bedeutung, die dessen Vorlesungen ab dem Sommersemester 1952 für die im Aufbau
befindliche Universität hatten – und sprach erneut die große Wertschätzung aus, die Leschnitzers Lehre vonseiten der Philosophischen Fakultät entgegen gebracht werde. Im Gegensatz zu Hirsch hatte Leschnitzer sich dagegen entschieden, ganz nach Berlin zurückzukehren. In seinem Schreiben an Präsident Gallagher unterstrich Leschnitzer je-doch den Umstand, dass die Einladung für ihn die dritte Gastprofessur in Berlin darstelle, und dass er sehr froh sei, auf diesem Wege einen – wenn auch bescheidenen – Beitrag zur internationalen Verständigung zu leisten und ein Zeichen des guten Willens zu geben. Über seine Erfahrungen hatte Leschnitzer Präsident Gallagher in einem Schreiben vom 25. Februar 1953 anlässlich der zweiten Gasteinladung der FU das Folgende geschrieben: „In a city like Berlin, fighting in grim isolation against enormous odds, it is, as I found out last summer, not only a challenging educational task but also an unusually interesting, rather unique, and
highly rewarding social experience to teach at the Freie Universität and to also have an opportunity for addressing various groups.“
Der humanistische Idealismus, der aus Leschnitzers Begründung seiner Annahme der Gastprofessur in Berlin hervorgeht, markiert das Agieren zahlreicher Remigranten. So gilt auch für die Wissenschaft das Diktum des Philosophen Jürgen Habermas, das jener auf die politische Kultur der Bundesrepublik bezogen hatte: „Sie verdankt diesen glücklichen Verlauf vor allem jenen, die großmütig genug waren, in das Land zurückzukehren, aus dem sie vertrieben worden waren.“
Dass dies oft keine einfache Aufgabe war, hat die historische Forschung beeindruckend gezeigt, etwa Marita Krauss in der Studie „Heimkehr in ein fremdes Land. Geschichte der Remigration nach 1945“, München 2001, und auch Irmela von der Lühe, Axel Schildt und Stefanie Schüler-Springorum in ihrem Band „Auch in Deutschland waren wir nicht wirklich zu Hause. Jüdische Remigration nach 1945“, Göttingen 2008.
Und es war nicht allein eine westdeutsche Geschichte. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entschieden sich nach der Katastrophe bewusst dafür, in das ›andere‹ Deutschland zurückzugehen, in den Staat, der im Zeichen des Goethe-Jubiläums 1949 gegründet wurde. Dies gilt etwa für die Juristin und Wirtschaftswissenschaftlerin Helene „Lola“ Zahn, die zunächst nach Paris und dann, unter anderem mit Unterstützung von Heinrich Mann, nach New York emigriert war. 1951 wurde sie auf eine Professur für politische Ökonomie an der Humboldt-Universität berufen. Doch das Versprechen des Universalen wurde im realen Sozialismus nicht immer eingelöst, und so geriet auch die wissenschaftliche Arbeit von Lola Zahn ab 1957 in Bedrängnis. Im selben Jahr löste die Universität – offiziell „auf eigenen Wunsch“ von Lola Zahn – das Arbeitsverhältnis; tatsächlich, so zeigte die Humboldt-Universität in einer Ausstellung, hatte die Universität aus
politisch-ideologischen Gründen die „Auflösung“ ihres Arbeitsvertrags beschlossen. Doch die prägende Wirkung der Wissenschaftlerin konnte dadurch nicht gemindert werden.
Diese beiden Lebenswege sind nur zwei von zahlreichen Beispielen, die zeigen wie der Einsatz von Remigrantinnen und Remigranten den Grundstein für den heutigen Erfolg Berlins als Stadt der Wissenschaft gelegt hat. Für die heutige Wissenschaftsgeneration ist das ehrende Angedenken an diese Arbeit ein zentraler Bestandteil des eigenen Ethos in Lehre und Forschung.