Berliner Luft
Vor 1918 waren es Militärmärsche, Salonkonzerte und die Moritaten des Leierkastenmanns, die den Klangalltag der Reichshauptstadt dominierten.
Erst nach dem Fall des Kaiserreichs entfaltete sich an der Spree eine urbane Musikkultur, mit der Berlin binnen weniger Jahre Wien und Paris den Rang als Musikhauptstadt Europas ablaufen konnte.
Diese Entwicklung verlief am Anfang nicht ohne Hindernisse. Unter den Bedingungen der Hyperinflation wollte kaum ein Musiker von jenseits der deutschen Grenzen in Berlin gastieren. Jazz kannte man nur vom Hörensagen. Man nannte diese Musik, von der Heimkehrer aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft erzählten, Excentric. Die Excentric-Bands schossen wie Pilze aus dem Boden der Etablissements ums Oranienburger Tor. Sie demolierten ihre Instrumente und zelebrierten einfach Krach – nach der Lethargie von Monarchie und Weltkrieg ein musikalischer Befreiungsschlag. Die besondere Attraktion dieser Anarcho-Kapellen war das „Jazz Band“, wie man das damals in
Deutschland noch völlig unbekannte Schlagzeug bezeichnete.
Paul Linckes flottes Operetten-Lied „Berliner Luft“ – bereits 1904 geschrieben, während der Kaiserzeit aber kaum aufgeführt – blies ab 1922 den aristokratischen Mief der Seifenopern Wiener Bauart aus den Kiezen. Claire Waldoffs Couplets kommentierten gewitzt den politischen Alltag, der Charleston eines Julian Fuhs und die Jazz-Schmachter des Stehgeigers Efim Schachmeister machten aus ganz Berlin einen riesigen Dancefloor. Die frechen Gassenhauer der Comedian
Harmonists beförderten die Berliner Klangluft endgültig zum Exportschlager. Untermalt wurde all dies von den Pfeifen der Fabriken, dem Lärm der Baustellen, dem Rumpeln der Straßenbahn und dem Gebrüll der Zeitungsjungen. Industrialisierung und Unterhaltungskultur gingen im Berlin der Goldenen Zwanziger eine untrennbare Symbiose ein.
1933 senkte sich dann ein Vorhang über Berlin. Musiziert wurde zwar bis 1945, wenn auch meist im Dienste der Propaganda, aber Zarah Leanders Wunder geschah nicht. Am Ende sangen nur noch die Sirenen und trommelten die Bombeneinschläge.
Der Neuanfang
Nach dem Krieg und den Leiden der Nachkriegszeit trug Musik nicht unerheblich zur Normalisierung des Lebens bei. Die Berliner wollten Ablenkung und bekamen sie in unverfänglichen Liedern über Banalitäten. Bully Buhlan deutschte schon
1947 die Swing-Hits von Glenn Miller ein und hatte 1951 noch einen Koffer in Berlin, im selben Jahr packte die achtjährige Cornelia Froboess die
Badehose ein und fuhr hinaus zum Wannsee. Man sang nicht nur wieder in Berlin, man sang auch wieder über Berlin.