Zum idyllisch an der Bernsteinküste gelegenen Ort Palmnicken gelangt man von Berlin aus in nordöstlicher Richtung quer durch Polen. Danzig wird südlich umfahren, Kaliningrad passiert, um dann in einem nordwestlichen Bogen zur Ostsee zu schwenken, direkt nach Jantarny, wie das in der russischen Enklave Oblast Kaliningrad gelegene Palmnicken heute heißt. Hier herrschte im Mittelalter der Deutsche Orden, dann mit einigen Unterbrechungen die Preußen, bis der Flecken nach 1945 an die Sowjetunion fiel. Aus westlicher Sicht ein vergessener Ort, wie so viele andere in den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten im Osten, im Gedächtnis geblieben allenfalls durch die Flüchtlingstrecks, die im letzten Kriegswinter vor der heranrollenden Roten Armee durch diese Landschaft flohen.
Lange vergessen schienen auch die dramatischen Ereignisse, die sich in den Wirren der letzten Kriegswochen in Palmnicken zutrugen und die 70 Jahre später, am 25. November 2015, zu einer bewegenden Feierstunde im Berliner Rathaus führten. Die Gedenk- und Forschungsstätte Yad Vashem (Jerusalem) ehrte in Anwesenheit des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller, und des israelischen Botschafters, Yakov Hadas-Handelsman, den damaligen Güterdirektor von Palmnicken, Hans Feyerabend, als „Gerechten unter den Völkern“. Die Yad-Vashem-Medaille nahm Feyerabends Enkelin, Ursula Ahlström, entgegen. Hans Feyerabend selbst hatte seine Rettungsinitiative nicht überlebt. Was war damals geschehen?
Im Januar 1945 hatte die SS Außenlager des KZs Stutthof aufgelöst und die jüdischen Häftlinge, zumeist Frauen, auf einen Todesmarsch nach Palmnicken gezwungen. Dort sollten sie in den Bernstein-Bergwerken ermordet werden. Als der Zug an seinem Bestimmungsort ankam, waren bereits rund 2.000 der 5.000 Opfer gestorben – erfroren, vor Entkräftung liegen geblieben und von der Wachmannschaft ermordet. In Palmnicken taten sich für die Mörder Hindernisse auf. Bergwerksdirektor Landmann gab mit Blick auf die Gefahren für die Wasserversorgung keinen Stollen frei. Dann traf Güterdirektor Hans Feyerabend ein. Ihm musste die SS das Kommando abtreten. Und Feyerabend kannte nur ein Ziel: Die Opfer retten. Solange er lebe, würden die Juden zu essen bekommen und keiner werde umgebracht – dieses Bekenntnis Feyerabends ist vielfach belegt. Er ließ Nahrungsmittel herbeischaffen und wies die Werkskantine an, für die Häftlinge zu kochen. Für die SS war Feyerabend ein schier unüberwindliches Hindernis, um ihren Mordplan umzusetzen. Doch mit einem fingierten Einsatzbefehl für den von ihm befehligten Palmnicker Volkssturm wurde Feyerabend zu einer nahe gelegenen Wehrmachtseinheit kommandiert. Als er den Betrug durchschaute, sah er für sich offenbar keinen Ausweg mehr und erschoss sich vermutlich selbst. Ob es wirklich Selbstmord war, wurde freilich nie untersucht.