Hölzernes Berlin

Die Staatsbibliothek zu Berlin erwirbt das größte Berliner Stadtmodell

von Wolfgang Crom, Staatsbibliothek zu Berlin

Eine andere Perspektive: im „Tiefflug“ über das Stadtmodell

Eine andere Perspektive: im „Tiefflug“ über das Stadtmodell

Stadtgeschichtliche Museen präsentieren gerne frühere Zustände von befestigten Siedlungen, prächtigen Residenzstädten oder selbstbewussten Reichsstädten im Modell. Anhand dieser dreidimensionalen Rekonstruktionen lassen sich städtebauliche Zustände und Entwicklungsphasen leichter ablesen und anschaulich erläutern. Im Zeitalter der digitalen 3D-Stadtmodelle auf dem Bildschirm scheinen sie aber antiquiert zu sein. Doch der Eindruck täuscht.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin hatte sich bereits frühzeitig mit der neuen Technik der 3D-Stadtkartographie befasst und schon vor über 10 Jahren eine amtliche Datenbasis erarbeitet, wodurch das alte Kataster abgelöst wurde. Der Nutzen der automatisierten Liegenschaftskarte ist für Experten sehr hoch, auf dieser Grundlage können leicht verschiedene städtebauliche Planungsvarianten verglichen werden oder es werden damit Szenarien vorausberechnet, mit welchen Folgen bei Naturkatastrophen wie einem Hochwasserereignis zu rechnen ist oder welche Auswirkungen Bauwerke auf Windschneisen haben. Selbst Sicherheits- und Ordnungskräfte können mit den virtuellen Modellen realitätsnahe Einsätze simulieren. Heute stehen Berliner Geodatensätze für alle Interessierten zum Herunterladen frei zur Verfügung. Selbst im Tourismus spielen sie inzwischen eine große Rolle: Auf dem Display des Smartphones helfen sie mit der Anzeige von Grund- und Aufrissen bei der Orientierung im fremden Stadtraum, ohne dass ein großer Plan in die richtige Richtung hin und her gedreht werden muss.

So zeigt das Modell Berlin im Norden vom Rande des Mauerparks bis zum Volkspark Hasenheide im Süden, vom Fennpfuhlpark im Osten bis zum Park Ruhwald im Westen oder aus wirtschaftlicher Sicht betrachtet vom Westhafen zum ehemaligen Görlitzer Bahnhof und vom Bahnhof Lichtenberg zum Messegelände. Das Stadtrelief gibt auf 360 × 120 cm ein sehr detailliertes Bild der Stadt im Maßstab 1:5.000, wie es sich die Planer vorstellten. Es handelt sich dabei um das Berliner Stadtmodell mit der größten dargestellten Fläche von 18 × 6 km. In mehr als 1.500 Stunden schnitt eine CNC-Fräse (Computerized Numerical Control) das 3-D-Modell aus dem stabverleimten Holz einer Elsbeere, zuvor waren nahezu 2.000 Stunden für die Datenbearbeitung und -konvertierung sowie die Maschinenprogrammierung nötig. Vor der abschließenden Endabnahme wurden hervorstehende Gebäude wie der Fernsehturm extra gefräst und per Hand aufgesetzt. Das herausgearbeitete Relief ist nicht überhöht und zeigt damit die richtigen Verhältnisse von Länge, Breite und Höhe der Topographie und der Bebauung Berlins.

Berlin als Stadtmodell im Maßstab 1:5.000

Durch die Montage auf einer Aluminium- Unterkonstruktion erlaubt die selbsttragende, stehende Präsentation eine Betrachtung auf Augenhöhe, so dass der hohe Detaillierungsgrad zur Wirkung kommt. Durch die Verwendung des Holzes der Elsbeere, das sehr dicht und feinfaserig ist und durch seine Härte gute Festigungseigenschaften besitzt, wird der Betrachter des Modells nicht durch das Material mit seiner schlichten Textur und unauffälligen Zeichnung abgelenkt, sondern die städtische Topographie steht im Vordergrund. Beim ersten Blick auf das Relief fällt zunächst das Gewässernetz auf, das durch beschichtete Einlagen hervorgehoben wird. Nähert man sich dem Modell, so treten die großen städtebaulichen Kerne der verschiedenen Entwicklungsphasen Berlins sowie die markanten Großflächen hervor, die der Stadtstruktur ihr Gefüge geben. Die Gliederung durch Magistralen und Straßenschluchten offenbart sich deutlicher als auf einem handelsüblichen Stadtplan, da sie dort aufgrund des nutzungsorientierten Kartenbildes unterdrückt wird. Beeindruckend sind die zahlreichen, gut sichtbaren Brücken über die innerstädtischen Gewässer.

So lädt das Modell zu Spaziergängen ein, bei denen die Stadtviertel mit den Augen durchschritten werden. Ausgehend von markanten Plätzen oder städtebaulichen bzw. architektonischen Ikonen, die schnell gefunden werden, kann die Erkundung beginnen und Überraschendes zutage fördern, denn durch die verwendeten Planungsdaten nimmt das Modell an einigen Stellen die Zukunft vorweg.

Der hölzerne Fernsehturm im Mittelpunkt

Der hölzerne Fernsehturm im Mittelpunkt

Die enorme Fülle der Details zeigt sich am deutlichsten von der Seite. Wie in einem Tiefflug über der Stadt eröffnen sich Perspektiven, die die dritte Dimension sehr beeindruckend hervortreten lassen. Funkturm und Fernsehturm, die Türme mit ihrer Torfunktion am Potsdamer Platz oder an der Frankfurter Allee, aber auch die wahren Dimensionen der markanten Bauwerke Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche oder Brandenburger Tor in ihrem Umfeld, sie alle bewirken beim Betrachter neue Sichtweisen auf die Stadt und seine Bauwerke. Das Besondere dieses Reliefs ist aber die Verbindung dieser vielen einzelnen Elemente in ihrem großen, strukturellen Zusammenhang durch die Größe der dargestellten Fläche. Damit nimmt es die Eigenschaft einer Karte auf, deren Wesen in der Gleichzeitigkeit des Überblicks bei der Vertiefung ins Detail besteht. Aufgestellt vor dem Kartenlesesaal im Haus Potsdamer Straße ist das Stadtrelief für die Besucherinnen und Besucher der Bibliothek öffentlich zugänglich.

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